Fugensanierung am Mauerwerk der St. Petri-Kirche in Lübeck mit Hochbrandgips

Seit dem Krieg dient die St. Petri-Kirche in Lübeck nicht mehr als Gotteshaus im eigentlichen Sinne, sondern als Kultur-Kirche. Der für seine Aussichtsplattform bekannte Turm gehört zu den sieben markanten Türmen der Stadt. Sein Mauerwerk wird derzeit in drei Bauabschnitten saniert.

„Stadt der sieben Türme“ wird die Hansestadt im Südosten Schleswig-Holsteins auch genannt. Unter den fünf Hauptkirchen wurde die St. Petri-Kirche dabei lange etwas stiefmütterlich behandelt, da sie nach dem Krieg nie wieder als Gotteshaus diente. Viele Jahre stand sie leer und wurde lediglich als Unterstellplatz für Baumaterial genutzt. Erst 1987 fand sie eine neue, besondere Funktion als Kultur-Kirche in der Stadt. Touristen ist sie zudem als beliebter Aussichtsturm mit Blick über die Altstadt bekannt.

Risse und Abplatzungen

Zwischen 1227 und 1250 wurde die Kirche bereits erbaut und ist damit nach dem Dom das zweitälteste Gotteshaus in Lübeck. Mehrfach musste sie schon saniert und ausgebessert werden. Bereits 16 Bau- und Reparaturphasen werden in der baugeschichtlichen Dokumentation zur Mauerwerksoberfläche von Turm und Westfassade von Dr. Holger Reimers erfasst. Jetzt hatten Ausblühungen und Frostschäden dem Mauerwerk erneut zugesetzt. Die Fassade hatte vermehrt Risse bekommen, und es bestand die Gefahr, dass sich einzelne Steine lösen und Passanten verletzt werden könnten. Die Risse waren teilweise zentimeterdick und drangen bis zu drei Mauerwerkssteine in die Tiefe. Insgesamt mussten 2000 m2 Fuge saniert werden.

Das Besondere des Mauerwerks der Kirche liegt darin, dass es sich bei den vorgefundenen Fugen zu einem großen Teil um Hochbrandgipsmörtel-Fugen handelt.: „Der heute vorhandene Bestand an Mauer- und Fugenmörtel besteht – grob geschätzt – zu 80 Prozent aus Mörteln, die zu großen Teilen aus Hochbrandgips bestehen“, heißt es dazu in der Zusammenfassung der erwähnten baugeschichtlichen Dokumentation. „Damit war für uns klar, dass die neuen Fugen ebenfalls aus Hochbrandgips hergestellt werden sollten“, so Bernd Leinert, Leiter der Kirchenbauhütte des Kirchenkreises Lübeck Lauenburg. „Das ist wichtig, denn der neue Mörtel muss sich natürlich mit dem Bestand vertragen“, so Leinert weiter.

Einmal Hochbrandgips – immer Hochbrandgips

Treffen Gips, Zement und Wasser aufeinander, kann es in den Kontaktzonen zur Freisetzung von so genannten Treibmineralien mit entsprechenden Bau-
schäden kommen. Um solche Wechselwirkungen zu vermeiden, sollte also nach Möglichkeit mit dem jeweils vorgefundenen Mörtel ausgebessert werden. Im Falle der St.-Petri-Kirche wurde daher also entschieden, überwiegend Hochbrandgips zu verwenden. Da dies für alle Beteiligten nicht die gängige Praxis darstellte, wurde zunächst eine Probewand erstellt. Sie diente als Vorlage und Übungswand für die Handwerker, da sich Hochbrandgips bei der Verarbeitung ganz anders verhält als beispielsweise Zementmörtel. Er ist sehr viel pastöser und schwergängiger aufzutragen. Anhand der Modellwand ließ sich recht genau feststellen, wie viel Zeit für die Arbeiten kalkuliert werden musste.

Holzkohle für dunkle Fugen?

Neben der bauhistorischen Untersuchung war auch das Gutachten der Materialprüfanstalt (MPA) in Bremen eine wichtige Grundlage für den Sanierungsplan. Dr. Frank Schlütter, der an der MPA als Naturwissenschaftler tätig ist, hat hierzu die Zusammensetzungen sowohl der vorgefundenen als auch der neuen Mörtel genau untersucht. „Gerade bei historischen Bauten mit Gipsmörtelfugen ist es wichtig, sich frühzeitig Gedanken über die Materialentscheidung zu machen. Im Projekt St. Petri wurden wir als beratende Institution durch die Architekten in vorbildlicher Weise eingebunden“, bestätigt Dr. Schlütter. „Im Endeffekt wurde genau genommen kein reiner Hochbrandgips verwendet. Mit dem HGM 1 und 2 der Firma Casea handelt es sich aber um einen Gipsmörtel, der in seinen Eigenschaften, seiner Gleichmäßigkeit und Farbigkeit optimal zum Bestand passt.“

Die Untersuchungen des Kirchenmauerwerks hatten auch ergeben, dass man speziell im Bauabschnitt II, also an der Westwand der Turmanlage, in großen Teilen einst grau verfugt und für die Einfärbung des Mörtels teilweise Holzkohle verwendet hatte. Um sich dem historischen Vorbild nicht nur farblich, sondern auch strukturell anzunähern, versuchte man nun, den vorgefundenen Grauton ebenfalls mit Holzkohle nachzustellen. Hierfür hat sich die Restauratorin Magdalena Jakubek gemeinsam mit dem Leiter der Kirchenbauhütte intensiv mit dem Mörtel beschäftigt. „Wir haben versuchsweise anfangs mit der Kaffee­mühle, später mit dem Betonmischer Holzkohle zermahlen und eingearbeitet“, erzählt Maurermeister Bernd Leinert. „Abschließend konnte aber mit dem Holz­kohlezusatz kein Ergebnis erzielt werden, das für eine so große Fläche, wie sie an der Kirche notwendig gewesen wäre, zufriedenstellend war.“ Im Endeffekt wurde dem historischen Gipsmörtel daher Eisenoxyd beigemischt, um möglichst nah an den Farbton heranzukommen. Der historische Mörtel ist allerdings durch seine ­deutlich gröbere Struktur schnell zu erkennen. „Für die denkmalpflegerische Zielsetzung stand allerdings auch nicht die ästhetische Schönheit im Vordergrund“, erklärt hierzu Architekt Christoph Diebold, der das Projekt betreut. „Erste Priorität der Instandsetzung hatte die Wiederherstellung einer intakten Gebäudehülle. Dabei sollte möglichst wenig historisches Material zerstört werden. Was im Zuge unserer Reparaturarbeiten als Material hinzukam, ist als solches erkennbar und die Maß­nahme bleibt auch für spätere Generationen nachvollziehbar.“ Nicht ganz sicher ist übrigens auch, warum die Fugen an dieser Stelle und in jener Sanierungsphase des 19. Jahrhunderts in Grau gehalten waren, obwohl eigentlich weißer Mörtel üblich war. Möglicherweise handelte es sich um eine gestalterische Mode oder um die Idee, so zu tun, als sei es Zementmörtel.

Erfahrungsschatz der Kirchenbauhütte

Selbstverständlich war die Reparatur der Mörtelfugen nicht die einzige Maßnahme, die vorgenommen werden musste. Auch 40 000 Klosterformat- und 4500 Formsteine sowie 75 schmiedeeiserne Maueranker mussten ausgewechselt oder überarbeitet werden. „Das war übrigens auch ein Punkt, für den es gerade in Bezug auf die Zeit- und Kostenplanung sehr gut war, die Kirchenbauhütte mit ihrem langjährigen Erfahrungsschatz dabei zu haben“, erzählt Architekt Diebold. „Sie hat uns darauf hingewiesen, rechtzeitig die Steine sicherzustellen, die noch als Vorlage dienen und an die Ziegelmanufaktur geschickt werden konnten. So standen uns dann zum notwendigen Zeitpunkt die nachgebrannten Ziegel zur Verfügung.“ Die großen Eckquader aus Naturstein mussten nicht ausgewechselt werden. Aber diverse Gesimse wurden komplett erneuert und in die Fassade eingearbeitet. „Spannend war für uns bereits das Aufstellen des Gerüstes“, so Diebold. „Für die Arbeiten am oberen Teil des Turms im ersten Bauabschnitt mussten wir zunächst mehrere große Stahlfachwerkträger durch die Fenster des Turms stecken, um die Gerüstebenen darauf aufzubauen, beziehungsweise daran abzuhängen.“

Fassade ähnlich wie Stadtplan aufgeteilt

Interessant war auch die Idee, für die leichtere Kommunikation zwischen Architekturbüro, Auftraggeber und ausführenden Handwerkern die zu sanierende Fassade, ähnlich wie einen Stadtplan, in ein Raster zu gliedern. So bedeutete beispielsweise das Kürzel 2BAW08B: 2. Bauabschnitt, Westfassade, 8. Etage, vertikaler Abschnitt B. Die am Bau Beteiligten konnten dadurch immer sicher sein, über den gleichen Fassadenabschnitt zu sprechen. Zudem erleichtert dies noch immer die Dokumentation der Arbeiten des Architekturbüros. Während der Arbeiten am Außenmauerwerk stellte sich heraus, dass auch das Gewölbe über dem Café in der Kirche Risse aufwies und umgehend saniert werden musste. „Die Reparatur der Kuppel war schon sehr anspruchsvoll“, so Hüttenmeister Leinert. „Zum einen kommt es heutzutage selten vor, dass wir Gewölbe mauern müssen, zum anderen gab es auch früher für diese Arbeiten Gewölbemaurer, die speziell dafür ausgebildet worden waren.“

Inzwischen sind die Risse im Inneren behoben und der erste und zweite Bauabschnitt sind vollbracht. In diesem Jahr folgt noch der dritte und vorerst letzte Bauabschnitt, womit dann Turm und Turmanlage saniert sind. Konkrete Pläne für weitere Fassadenabschnitte des Kirchenschiffs gibt es bislang nicht.

Autorin

Dipl.-Ing. Nina Greve studierte Architektur in Braunschweig und Kassel. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Lübeck (www.abteilung12.de) und ist unter anderem für die Zeitschriften DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau tätig.

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