Aktuelles rund um das Bauprodukt Wärmedämm-Verbundsystem (WDVS)

Anpassungen des deutschen Baurechts an europäische Normen machen auch vor dem WDVS nicht halt. Die deutsche Praxis, CE-Kennzeichnungen durch nationale Zusatzanforderungen zu ergänzen, ist nicht mehr zulässig. Das hat Planer und Handwerker verunsichert.

Durch das EuGH Urteil C-100/13[1] wurde klar, dass Deutschland sein Baurecht grundlegend anpassen und dabei die europäischen Rechtsgrundsätze implementieren muss. Der Europäische Gerichtshof hatte entschieden, dass die deutsche Praxis, nationale Zusatzanforderungen an Bauprodukte mit CE-Kennzeichnung zu stellen, unzulässig ist.

Ein wesentlicher Teilaspekt ist dabei die Trennung von der technischen Deklaration der Leistung eines Bauproduktes und den technischen Anforderungen an ein Bauwerk oder an ein Bauteil, sprich den Zustand, wenn die Bauprodukte zu einer Bauart zusammengefügt oder einfacher gesagt, gemeinsam eingebaut wurden. Das hört sich erst einmal sehr kompliziert an, ist es aber eigentlich nicht.

Bauprodukte nach harmonisierten Europäischen Normen oder Bauprodukte, die über eine Europäisch techni­sche Bewertung (ETA) verfügen, tragen ein CE-Zeichen und verfügen dementsprechend über eine Leistungserklärung oder eine Declaration of Performance (DoP). Diese weist aus, welche technische Leistung, zum Beispiel Druckfestigkeit, Wasseraufnahme, Brandklasse, dieses Bauprodukt erfüllt. Bauprodukte, für die es keine allgemein anerkannten Regeln der Technik gibt, die aber zur wesentlichen Funktion des Bauwerks beitragen, werden vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) in Berlin zugelassen und erhalten eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) [2] .

Deutsche Praxis war rechtswidrig

In der bisherigen Praxis wurden durch das deutsche Baurecht gezielte Anforderungen an die Leistungsmerkmale von Bauprodukten gestellt. In Verbindung mit CE-gekennzeichneten Bauprodukten führte diese Praxis teilweise dazu, dass die geforderten Leistungsmerkmale nicht immer Bestandteil der Leistungs­erklärung oder der DoP gewesen sind, da diese Leistungsmerkmale normativ oder in einer ETA nicht erfasst waren und zum Teil bis heute noch nicht sind. Diese Praxis wurde mit dem Urteil des EuGHs für rechtswidrig erklärt, da bei CE-gekennzeichneten Bauprodukten Mitgliedsstaaten der europäischen Union keine zusätzlichen Anforderungen an Leistungsmerkmale für Bauprodukte stellen dürfen [1].

Auf dieser Grundlage wurde die Musterbauordnung grundlegend überarbeitet und durch das DIBt die Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) [3] neu geschaffen, welche die bisherige Bauregelliste in weiten Teilen ersetzt. Außerdem wurde in diesem Zusammenhang auch der bestehende Aufbau der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen auf den Prüfstand gestellt.

Was dies alles nun für das Bauprodukt WDVS bedeutet

Für das Bauprodukt Wärmedämmverbundsystem (WDVS) existiert bisher weder eine harmonisierte europäische, noch eine deutsche Norm. Daher handelt es sich bei einem WDVS um ein Bauprodukt, für das es keine allgemein anerkannten Regeln der Technik gibt.

Insofern kann auf europäischer Ebene eine ­Europäisch technische Bewertung (ETA) nach den Zulassungsleitlinien „European Technical Approval Guide­line for External Thermal Insulation Composite Systems with Rendering (ETAG 004)“[4] der European Organisation for Technical Assessment (EOTA) oder auf nationaler Ebene in Deutschland eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung, gemäß den Zulassungsgrundsätzen des DIBt, für WDVS erteilt werden. Damit das Bauprodukt WDVS in Verkehr gebracht werden darf, muss der Systemhalter mindestens über eine der beiden Varianten verfügen.

Worin sich WDVS nach ETA und abZ unterscheiden

Das Bauprodukt WDVS unterscheidet sich erst einmal nicht voneinander. Jedoch ist der Inhalt erheblich differenziert. Während die ETA nur einige wesentliche Grundmerkmale zu den Leistungen des Bauproduktes WDVS enthält, umfasst die abZ auch alle wesentlichen Informationen zur Planung, Anwendung und Bemessung eines WDVS im Sinne der Bauwerksanforderungen des deutschen Baurechts.

Wurden bis dato ETAs für WDVS durch ein nationales Anwendungsdokument ergänzt, so ist diese Praxis heute nicht mehr möglich. Wichtig ist jedoch, dass bestehende ETAs für WDVS, die über ein nationales Anwendungsdo­kument verfügen, in ihrer Gänze weiterhin gültig bleiben! Für WDVS mit ETA, die nicht über ein na­tionales Anwendungsdokument verfügen, wurden anwendungsbezogene Anforderungen an das Bauteil Fassade, hier die Bauart WDVS, im Rahmen der MVV TB definiert [5] .

Wie das Bauprodukt WDVS zu verstehen ist
und was dazu gehört

Häufig wird vergessen, dass es sich bei einem WDVS um ein Bauprodukt handelt, die aus Komponenten besteht. Diese Komponenten stellen im Sinne der Bauproduktenverordnung [6] keine eigenständigen Bauprodukte dar, sondern sind durch die gemeinsame Ausweisung von Leistungsmerkmalen zu einem Bauprodukt, dem WDVS, verschmolzen [7] . Die Juristen sprechen dabei häufig von „Auflassung“ des ursprünglichen Bauproduktes, hin zur Komponente eines neuen Bauproduktes. Das Bauprodukt selber wird dabei von dem Systemhalter definiert und besteht immer aus den für die Gesamtfunktion und Leistung wesentlichen Bestandteilen sowie den nötigen ergänzenden Komponenten, die zur Sicherstellung der Funktion erforderlich sind. Das bedeutet, dass neben dem Klebe- und Armierungsmörtel, dem Dämmstoff, dem Armierungsgewebe und Gewebeeckwinkel, den mechanischen Befestigungsmitteln wie Dübel oder Schienen – sofern vorgesehen und erforderlich – auch die Zubehörteile wie Sockel-, Abschluss- und Anputzleisten sowie Fugendichtbänder und weiteres Zubehör durch den Systemhalter des WDVS definiert werden müssen

Was man bei der WDVS-Auswahl beachten muss

Bei der Auswahl des WDVS man darauf achten, dass, je nachdem, ob eine ETA nach ETAG 004 oder eine ETA mit ergänzendem Anwendungsdokument oder eine abZ vorliegen, das System so ausgewählt wird, dass es den Anforderungen der jeweils gültigen Landesbauordnung sowie dem Anhang 11 der MVV TB genügt. Dabei ist es durchaus möglich, dass ein WDVS nur ein sehr begrenztes Anwendungsspektrum aufweisen kann, dies betrifft vor allem die WDVS, die unter die Regelungen des Anhang 11 der MVV TB fallen.

Sofern Unsicherheiten hinsichtlich des Anwendungsgebiets bestehen, sollte unbedingt die quali­fizierte Beratung des für das WDVS zuständigen Systemhalters in Anspruch genommen werden.

Die Zukunft des Bauproduktes WDVS

Die Europäische Kommission hat mit Mandat M/489 [8] das Europäische Komitee für Normung (CEN) beauftragt eine Expertengruppe einzusetzen und das Bauprodukt WDVS in eine harmonisierte Europäische Norm zu überführen. Die Working Group 18 des Technical Commitee TC 88 „Thermal insulating materials and products“ bei CEN hat den Auftrag zur Normerarbeitung übernommen und ist bereits sehr weit in dem Prozess fortgeschritten. Die Hauptnorm unter der Bezeichnung „ETICS Spezification“ EN 17237 wird in Zukunft das Bauprodukt WDVS regeln. Mit einer Einführung der ETICS Spezification als harmonisierte Europäische Norm wird, nach heutiger Einschätzung, zum Jahresbeginn 2020 zu rechnen sein.

Fazit: Keine Sorgen um die Zukunft machen

Es hat sich viel bewegt, allerdings ist irgendwie auch alles beim Alten geblieben. So haben sich Namen und Fundstellen für Leistungsanforderungen an Bauteile verändert. Die Anforderung an Planer und Fachhandwerk, die richtigen Systeme den jeweiligen Anforderun­gen der Bauwerke zuzuordnen, ist dabei jedoch gleich geblieben. Daher müssen sich die am Bau Beteiligten auch keine Sorgen um die Zukunft machen, sondern sich lediglich informieren, wo sie zukünftig die benötigten Informationen finden. Dabei leisten neben den beteiligten Branchenverbänden aus Fachhandwerk und Industrie, insbesondere die Systemhalter mit ihren fundierten Beratungsunterlagen, den Fach- und Objektberatern sowie den Technikern eine wertvolle Unterstützung, damit auch Ihre Fassade mit einem WDVS ein optischer und technischer Erfolg wird.

Autor

Kay Beyen ist Leiter der Bereiche Produktmanagement, Bauberatung und Technische Dienste bei der Baumit GmbH mit Sitz in Bad Hindelang, sowie öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für das Stuckateurhandwerk (HWK Düsseldorf) mit Tätigkeitsschwerpunkt Innen- und Außenputz, WDVS und Innendämmung. Darüber hinaus ist er Obmann für das RAL Gütezeichen Innendämmung und das RAL Gütezeichen Werktrockenmörtel (WTM) bei der GG-Cert in Köln und Mitglied in nationalen und europäischen Normungsgremien.


Literaturverzeichnis/Fußnoten

[1] Urteil des Europäischen Gerichtshof (Zehnte Kammer) in der Rechtssache C-100/13 vom 16. Oktober 2014, Dokument ECLI:EU:C:2014:2293 Fassung: Deutsch,

http://curia.europa.eu/juris

[2] Musterbauordnung (MBO) in der Fassung vom November 2002 zuletzt geändert durch Beschluss der Bauministerkonferenz vom 13.05.2016 - §16b Absatz 1, §17 Absatz 1 Punkt 1, § 18 Absatz 1

[3] Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) - (Ausgabe 2017/1 vom 31. August 2017 mit Druckfehlerkorrektur vom 11. Dezember 2017) veröffentlicht am 19. Dezember 2017 durch das DIBt; http://www.DIBt.de

[4] ETAG 004 - European Technical Approval Guideline: External Thermal Insulation
Composite Systems with Rendering; Ausgabe 27/06/2013 Sprachfassung: Englisch;

http://www.eota.eu

[5] Anhang 11 - WDVS mit ETA nach ETAG 004 -Stand: Februar 2017 der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) - (Ausgabe 2017/1 vom
31. August 2017 mit Druckfehler­korrektur vom 11. Dezember 2017) veröffentlicht am 19. Dezember 2017 durch das DIBt; www.DIBt.de

[6] EU-Bauproduktenverordnung (EU-BauPVO) - Verordnung (EU) Nr. 305/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 89/106/EWG des Rates; http://www.bmub.bund.de

[7] OLG Stuttgart, Urteil vom 31.03.2015 – 10 U 46/14

[8] European Commission - Enterprise and Industry Directorate-General - M/489 EN – “MANDATE TO CEN CONCERNING THE EXECUTION OF HARMONISATION WORK FOR HARMONIZED STANDARDS ON EXTERNAL THERMAL INSULATION COMPOSITE SYSTEMS/KITS WITH RENDERING (ETICS)”;

Ref. Ares(2011)258584 - 09/03/2011; http://ec.europa.eu/growth

Klarstellung

Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Autor die Zusammenfassung der bauordnungsrechtlichen Regelungen und des EuGH C-100/13, innerhalb des Artikels, lediglich in einer verkürzten und in keinem Falle vollständigen Gesamtdarstellung ausgeführt hat. Bei der Kurzfassung wurden vorrangig die technischen Aspekte im Hinblick auf das Bauprodukt WDVS hervorgehoben und solche, die für ein Grundverständnis des Sachverhaltes aus Sicht des Autors wesentlich sind.

Literaturverzeichnis/Fußnoten

[1] Urteil des Europäischen Gerichtshof (Zehnte Kammer) in der Rechtssache C-100/13 vom 16. Oktober 2014, Dokument ECLI:EU:C:2014:2293 Fassung: Deutsch,

http://curia.europa.eu/juris

[2] Musterbauordnung (MBO) in der Fassung vom November 2002 zuletzt geändert durch Beschluss der Bauministerkonferenz vom 13.05.2016 - §16b Absatz 1, §17 Absatz 1 Punkt 1, § 18 Absatz 1

[3] Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) - (Ausgabe 2017/1 vom 31. August 2017 mit Druckfehlerkorrektur vom 11. Dezember 2017) veröffentlicht am 19. Dezember 2017 durch das DIBt; http://www.DIBt.de

[4] ETAG 004 - European Technical Approval Guideline: External Thermal Insulation Composite Systems with Rendering; Ausgabe 27/06/2013 Sprachfassung: Englisch;

http://www.eota.eu

[5] Anhang 11 - WDVS mit ETA nach ETAG 004 -Stand: Februar 2017 der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) - (Ausgabe 2017/1 vom 31. August 2017 mit Druckfehler­korrektur vom 11. Dezember 2017) veröffentlicht am 19. Dezember 2017 durch das DIBt; www.DIBt.de

[6] EU-Bauproduktenverordnung (EU-BauPVO) - Verordnung (EU) Nr. 305/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 89/106/EWG des Rates; http://www.bmub.bund.de

[7] OLG Stuttgart, Urteil vom 31.03.2015 – 10 U 46/14

[8] European Commission - Enterprise and Industry Directorate-General - M/489 EN – “MANDATE TO CEN CONCERNING THE EXECUTION OF HARMONISATION WORK FOR HARMONIZED STANDARDS ON EXTERNAL THERMAL INSULATION COMPOSITE SYSTEMS/KITS WITH RENDERING (ETICS)”;

Ref. Ares(2011)258584 - 09/03/2011; http://ec.europa.eu/growth

x

Thematisch passende Artikel:

Bauindustrie nimmt Stellung zur EU-Verordnung zur Kennzeichnung von Bauprodukten

„Gute und solide Bauwerke benötigen gutes, solides Material. Wichtig ist, dass dieses Material transparent und umfassend gekennzeichnet wird. Das ist auf EU-Ebene nicht immer der Fall“, heißt es...

mehr
Ausgabe 03/2010

Technische Systeminfo 6 „Brandschutz“

Die Technische Systeminfo?6 „Brandschutz“ des Fachverbands WDVS bietet Handwerkern und Architekten auf 32 Seiten einen umfangreichen Überblick zum Thema. Erstellt wurde die Systeminfo vom...

mehr