Altbauten in Neu-Ulm werden zu Effizienzhäusern Plus

In Neu-Ulm modernisierten zwei Teams unabhängig voneinander erstmals jeweils ein mehrgeschossiges Wohnhaus so, dass es nach Abschluss der Arbeiten mehr Energie erzeugt, als es selbst verbraucht.Das ist sowohl einer modernen Gebäudetechnik als auch der hochwertigen Dämmung zu verdanken.

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In Neu-Ulm wurden Anfang Mai die ersten modernisierten Mehrfamilienhäuser eingeweiht, die mehr Energie erzeugen, als sie selbst verbrauchen. Mit dem vom Bundesbauministerium geförderten Modellvorhaben hält der Effizienzhaus Plus Standard nun erstmals Einzug in die Sanierung mehrgeschossiger Wohnungsbauten. Wir von der Redaktion der Zeitschrift bauhandwerk haben uns zur offiziellen Einweihung der beiden modernisierten Altbauten aus den 1930er Jahren auf den Weg nach Neu-Ulm gemacht, um uns mit eigenen Augen vom Modellvorhaben zu überzeugen und uns mit den Projektverantwortlichen der beiden Teams vor Ort zu unterhalten.

Ein Bestandstyp – zwei Sanierungs-Teams

Die Planung eines Neubaus mit Effizienzhaus Plus Standard ist überschaubar. Bei der Ertüchtigung eines Altbaus auf einen solch hohen energetischen Standard warten auf die Architekten, Fachingenieure und Handwerker allerlei Hindernisse und Überraschungen. Daher war bereits 2012 im Auftrag des Bundesbauministeriums ein Wettbewerb ausgelobt worden, der das Konzept des Effizienzhauses Plus durch Förderung mit Mitteln der Forschungsinitiative Zukunft Bau und des Energie- und Klimafonds sowie des BMVS auf den mehrgeschossigen Wohnbestand übertragen sollte, um daraus Erfahrungen für vergleichbare Sanierungsprojekte zu gewinnen. Die beiden Wettbewerbssieger, die Teams um Prof. Grinewitschus, HRW Mülheim / Werner Sobek Stuttgart GmbH und  Prof. Hegger, TU Darmstadt / o5 architekten bda, sollten jeweils eine Gebäudezeile so ertüchtigen, dass sie mehr Energie erzeugt als sie verbraucht. Zur Reduzierung des Energiebedarfs waren zwei Aspekte wesentlich: Zum einen wurde die Gebäudehülle der Bestandsgebäude aus dem Baujahr 1938 hochwertig gedämmt, zum anderen stattete man sie mit moderner Gebäudetechnik zur Nutzung erneuerbarer Energien aus. „Mit der Sanierung gehören die fast 80 Jahre alten Gebäude nun zur neuesten Generation der Effizienzhäuser Plus. Die Wohnungsgesellschaft der Stadt Neu-Ulm GmbH (NUWOG) und die Mieterinnen und Mieter beweisen Pioniergeist. Den Teams der beiden von der NUWOG beauftragten Generalplaner, Werner Sobek GmbH (Pfuhler Str. 4-8) und o5 architekten bda (Pfuhler Str. 10-14) ist eine energieeffiziente und baukulturell gelungene Modernisierung geglückt. Neu-Ulm ist um eine bauliche Attraktivität reicher, die wichtige Signale für unser Ziel eines nahezu klimaneutralen Gebäudebestands im Jahr 2050 setzt“, sagte Florian Pronold, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbauministerium, bei der offiziellen Einweihung am 2. Mai in Neu-Ulm.

Die Ergebnisse der beiden Modernisierungen könnten optisch allerdings unterschiedlicher nicht sein – man mag kaum glauben, dass in den energetisch ertüchtigten Gebäudehüllen der gleiche Bestand steckt. Mit der Einweihung im Mai begann auch eine zweijährige Monitoringphase, die wirtschaftliche, ökologische und soziokulturelle Aspekte berücksichtigt. Die Energieerträge und -verbräuche werden erfasst und mit den zuvor berechneten Werten verglichen.

Wohnwertverbesserung dank Tageslicht und Balkon

Teurer als ein nach der aktuellen EnEV errichteter Neubau sollte die Sanierung der auf den Effizienzhaus Plus Standard ertüchtigten Altbauten allerdings nicht werden. Daher wurde der Wettbewerbsentwurf vom Team um Prof. Manfred Hegger vom Büro o5 Architekten aus Frankfurt am Main so modifiziert, dass der vorgegebene Kostenrahmen eingehalten werden konnte. Einzig die Kosten für die Sanierung der sehr maroden Keller wurden von dieser Kalkulation ausgenommen. Aufgrund des Kostenrahmens mussten die Planer die Eingriffe in den Bestand auf ein Minimum reduzieren. Daher brachen die Handwerker nur wenige Innenwände heraus, damit die Wohnzimmer und Küchen der Wohnungen zusammengelegt werden konnten. Diese erhalten viel Tageslicht durch die nun bodentiefen Fenster, für deren Einbau das alte Brüstungsmauerwerk weichen musste. Weiteres Tageslicht gelangt durch die Dachfenster des nun ausgebauten Dachgeschosses und durch die in Teilen geöffnete oberste Geschossdecke ins Haus. Hier entfernten die Handwerker auf Teilflächen die Brettschalung der Holzbalkendecken, was gestalterisch die Offenheit der im Ober- und Dachgeschoss nun entstandenen Maisonettewohnungen für die Mieter erlebbar macht. Eine wesentliche Wohnwertverbesserung ist auch die Montage der Balkone aus Holzprofilen, die sich auf der Straßenseite als Kuben aus dem Obergeschoss zu schieben scheinen, und der Anbau in Holzrahmenbauweise auf der Gebäuderückseite. Im Erdgeschoss gelangt man durch Balkontüren direkt nach draußen.

Energetische Ertüchtigung

Um den Standard eines Effizienzhauses Plus zu erreichen, musste die gesamte Gebäudehülle gedämmt werden. Zur Herausforderung wurde die energetische Ertüchtigung durch die im Wettbewerb geforderte Ökobilanz. Ruben Lang vom Büro o5 Architekten wollte mit Blick auf eine ressourceneffiziente Recyclingfähigkeit der Baustoffe daher auf eine Verdübelung der Dämmplatten des WDV-Systems ebenso wie auf ein Armierungsgewebe im Oberputz verzichten. Handwerklich wäre dies möglich gewesen – allein vom Hersteller war hierfür keine Zulassung zu bekommen. Letztendlich befestigten die Handwerker auf den Ziegelaußenwänden 20 cm dicke Mineraldämmplatten und brachten darauf Kalkzementputz auf. Diese mine­ralische Dämmung kommt der geforderten Ökobilanz noch am nächsten. Dach und Anbau konnten dagegen mit Holzwerkstoffplatten und einer Einblasdämmung auf Holzfaserbasis gedämmt werden, was bei einem Abriss eine materialgerechte Trennung erlaubt.

Zur Dämmung der Gebäudehülle kommt eine einfache und daher robuste Haustechnik. Komplexe Steuerungen gibt es nicht. Die Heizenergie wird über eine Sole-Wasser-Wärmepumpe aus Erdwärme gewonnen, für deren Helixsonden die Handwerker 30 Löcher etwa 6 m tief in den Boden bohrten. Für die Warmwasserbereitung wird die Abluft aus Küche und Bad genutzt, im Sommer schaltet man auf die wärmere Außenluft um. Komplett wird das Energiekonzept durch die Photovoltaikanlage auf dem mit Dachsteinen neu eingedeckten Satteldach.

„Eigentlich war das ein ganz normales Bauprojekt, mit den alltäglichen Problemen, wie man sie auf Baustellen von vielen Bestandssanierungen antrifft“, meint Ruben Lang. Eine Herausforderung war die Sanierung allerdings in der Zusammenarbeit aller am Bau Beteiligten.

Mit vorgefertigten Konstruktionen Kosten sparen

Einen ganz anderen Weg ging das Team um Prof. Werner Sobek in der Pfuhler Str. 4-8. Um die Kosten der energetischen Sanierung niedrig zu halten, setzte man beim Nachbar­gebäude auf vorgefertigte Konstruktionen. „Wir benötigen einen höheren Vorfertigungsgrad und höhere Stückzahlen ebenso wie den gezielten Einsatz spezialisierter Handwerksbetriebe, um baulich schneller und preislich attraktiver zu werden“, sagte Werner Sobek auf der offiziellen Einweihung in Neu-Ulm. Daher montierten die Handwerker vor die alte Ziegelfassade ein aus Stegträgern in Holzbauweise vorgefertigtes Fassadensystem. Dies ließe sich im Falle eines Rückbaus auch vergleichsweise leicht wieder vom Bestand trennen und in seine Einzelkomponenten zerlegen, was der geforderten Ökobilanz entgegenkommt. Zudem nimmt das Fassadensystem die vertikalen Lüftungsleitungen auf, da in den niedrigen Geschossen ohnehin kein Platz vorhanden war, um diese horizontal in einer abgehängten Decke zu führen. Wegen der daraus resultierenden vielen Durchdringungen muss das Fassadensystem revisionierbar ausgeführt werden, damit man eventuelle Undichtigkeiten korrigieren kann.

Was den tatsächlichen Grad an Vorfertigung anbelangt, musste man wegen der erheblichen Maßtoleranzen des Altbaus und dem für ein Forschungsprojekt eng gesteckten Kostenrahmen, allerdings deutliche Abstriche machen.  Die ursprünglich revisionierbar geplante Fassadenbekleidung wurde aus Kostengründen durch eine Putzfassade ersetzt.

Anfänglich sollte das Fassadensystem komplett vorgefertigt vor die abgedichtete Ziegelaußenwand gestellt werden. Dies war zum einen deshalb nicht möglich, weil das Ziegelmauerwerk im Sockelbereich, wo die neue zweite Fassadenebene auf Konsolen gestellt werden sollte, hierfür viel zu wenig Festigkeit aufwies.  Zum anderen ist die Putzfassade des Altbaus Bestandteil der luftdichten Ebene. Die Dichtigkeit der Durchdringungen musste bei einer Putzfassade vor dem Schließen der Fassade erfolgen. Eine Putzfassade ist im Vergleich zu den im ersten Entwurf vorgesehenen Verkleidungselementen nicht revisionierbar. Daher stellten die Zimmerleute die vorgesetzte Dämmschale auf einen Setzbalken mit mehreren Befestigungspunkten. Neben einer bis zu 40 cm dicken Mineralwolldämmung der WLG 035 zwischen den Stegträgern des Fassadensystems sorgt eine 6 cm dicke Holzfaserputzträgerplatte für den gewünschten Wärmeschutz. Die Putzträgerplatte erhielt anschließend einen mineralischen Außenputz und einen Anstrich mit einer ebenfalls mineralischen Farbe. Die neue Gebäudehülle erreicht einschließlich der gedämmten Kellerdecke und dem gedämmten Dach einen u-Wert von 0,1 W/m2K.

Den maroden Dachstuhl entfernten die Handwerker komplett und bauten ihn aus vorgefertigten Dachelementen ebenfalls mit Stegträgern in Holzbauweise mit Mineralwolldämmung wieder auf und setzten ihn auf den vorab neu aufgemauerten Drempel. Der durch den neuen Drempel entstandene Kniestock nimmt die vertikalen aus dem vorgesetzten Fassadensystem kommenden Leitungen auf. Mit dem neuen Drempel erreichte man zudem eine Raumhöhe, die den Einbau von zwei Wohnungen im Dachgeschoss erlaubte.

Auf den mit Folie abgedichteten Dachelementen montierten die Handwerker auf einer Fläche von 214 m2 die Unterkonstruktion für die monokristallinen Photo­voltaikelemente. Für den geringen Heizenergiebedarf sorgt eine geothermische Brunnenanlage in Verbindung mit einer Wärmepumpe. Viel Tageslicht gelangt durch die in das Satteldach eingebauten Dachfenster und durch die neuen bodentiefen Fenster mit Dreifachverglasung.

Beide Projekte beweisen anschaulich, dass der Effizienzhaus Plus Standard selbst unter schwierigen Bedingungen auch im Bestand von mehrgeschossigen Wohnungsbauten möglich ist. Will man die Ziele des Klimaschutzplans 2050 tatsächlich erreichen, so gibt uns das Beispiel der beiden energetischen Sanierungen in Neu-Ulm ein Modell an die Hand, das auch auf andere mehrgeschossige Wohngebäude übertragen werden muss.

Autor
Dipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.
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