Ferien im Silo: Umnutzung eines Getreidestaubsilos in Wismar

Das kleine Silo am Alten Hafen in Wismar diente ursprünglich zum Sammeln und Verladen von Getreidestaub. Fast hätte man es zugunsten eines Wendehammers abgerissen. Die dann realisierte Umnutzung zu Ferienwohnungen war für alle Beteiligten eine große Herausforderung.

Hinter wild wuchernder Vegetation war das kleine Silo am mittelalterlichen, denkmalgeschützten Alten Hafen aus dem Bewusstsein der Bürger Wismars längst verschwunden. Im B-Plan war es schon nicht mehr vorhanden und sollte einem Wendehammer weichen. Gisela Rachui-Stöckl und Paul Stöckl, die darüber in der örtlichen Presse gelesen und das rostige Silo mit den eingeschlagenen Fensterscheiben hinter Büschen und Bäumen versteckt auf einem Spaziergang entdeckt hatten, waren sich schnell einig, dass dieses Zeugnis der Hafengeschichte erhalten bleiben musste. Die Stadt stimmte diesem Ansinnen nur unter der Bedingung zu, dass das Silo an eine andere Stelle (22 m in westlicher Richtung) versetzt würde, damit der Wendehammer realisiert werden konnte. Dies war neben der Umnutzung des Gebäudes zu exklusiven Ferienwohnungen für die mit der Planung betraute ortsansässige Diplom-Ingenieurein Simone Spindler eine der Hauptbauaufgaben. 

Ein Gebäude speziell zum Sammeln von Getreidestaub

Der Handel mit Getreide war für Wismar ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Dies schlug sich in Form von Gebäuden am Alten Hafen nieder: Mitte des 19. Jahrhunderts entstand der so genannte ThormannSpeicher, über ein halbes Jahrhundert später mit dem Kruse- und dem Ohlerichspeicher weitere gigantische Backsteinbauten, die den großen Thormann-Speicher klein aussehen lassen. Das winzige Silo an der Spitze der Speicherkolosse diente dazu, den Staub zu sammeln und zur Verladung bereit zu stellen, der beim Löschen der Getreidelieferungen entstand. Der Getreidestaub wurde mit rüsselartigen Saugrohren ins Silo befördert und mit der dort eingebauten Förder- und Abscheidetechnik in zwei Verladetrichtern bevorratet. Mit Fuhrwerken holten die Bauern den Getreidestaub ab und brachten ihn als Dünger oder Schweinefutter in ihre Dörfer.

 

Versetzen des Silos an seinen neuen Standort

Geprägt wurde das Silo von den beiden stählernen Verladetrichtern und der ebenfalls aus Stahl errichteten und mit Backstein ausgefachten Tragkonstruktion. Dieser industrielle Charakter sollte in Absprache mit der Denkmalpflege auch bei der Umnutzung zu Ferienwohnungen erhalten bleiben. Der alte Backstein war allerdings schon so porös, dass man sich mit dem Denkmalamt darauf verständigte, für die Sanierung neue Ziegel gleichen Formats und gleichen Aussehens zu verwenden. Die Stahlkonstruktion war dagegen noch in einem vergleichsweise guten Zustand, was dem „Transport“ des Gebäudes sehr entgegen kam: „Es musste nichts ausgetauscht werden. Nur für den Kran-transport brauchten wir einen Rahmen aus vier Trägern, um die Füße zu stabilisieren. Die vier Träger haben wir nach dem Transport wieder demontiert“, erinnert sich Simone Spindler. Während die Ziegel-Ausfachung rückgebaut und die Stahlkonstruktion durch Sandstrahlen vom Rost befreit wurde, legten die Rohbauer mit einer Pfahlgründung (12 Betonbohrpfähle) bis in eine Tiefe von 19 m und einer Bodenplatte aus Stahlbeton am neuen Standort die Grundlage für den Wiederaufbau des Silos. Nachdem die Stahlkonstruktion einen mehrschichtigen seewasserresistenten Schutzanstrich in Anthrazit erhalten hatte, wurde sie mit zwei Teleskopkränen auf die neue, 22 m entfernte Bodenplatte gesetzt. Danach konnten die Handwerker mit der Ausmauerung des Stahlfachwerks beginnen.

 

Alte und neue Gebäudeteile vereint

Laut Anforderung des Statikers musste der mittlere Gebäudeteil – dort, wo sich einst der zweite Trichter befand – statisch ausgesteift werden, da an dieser Stelle das neu zu errichtende Treppenhaus anschließen sollte. Daher verwendeten die Maurer hier Betonschalsteine, die sie mit Beton ausgossen, nachdem sie vertikal Stahlarmierungen durch die Schalsteine gesteckt und horizontal in die Fugen gelegt hatten. Wo historisch im Stahlfachwerk Ziegel vorhanden waren, fachten die Maurer mit Ziegeln im gleichen Format und Aussehen aus. Für den Raum im Erdgeschoss unter dem erhalten gebliebenen Trichter verwendeten sie Kalksandsteine. Diese erhielten ebenso wie die Betonschalsteine und das aus Stahlbetonfertigteilen errichtete Treppenhaus ein WDVS, das anschließend in Absprache mit der Denkmalpflege sandgrau gestrichen wurde. So kann man von außen sofort ablesen, was alte und was neu hinzugekommene Gebäudeteile sind.

Die Ziegelschale wurde von innen mit 170 mm Mineralwolle gedämmt. Den Abschluss bildet eine Gipskartonschale, auf der die Handwerker die mit eingefrästen Rohren versehenen Gipsfaserplatten für die Wandflächenheizung montierten. Die Oberfläche bildet eine mit Gewebe armierte, vollflächige Spachtelung, die anschließend einen weißen Anstrich erhielt.

 

Techniken und Produkte aus dem Schiffsbau

„Bei einem solchen Projekt gab es viele Bedenken wegen Kältebrücken und Schwitzwasserbildung, die eine solche Stahlkonstruktion mit sich bringt“, so Simone Spindler. Um solche bauphysikalischen Probleme zu lösen, bediente man sich beim Schiffsbau. So wurden die Innenseiten der Stahlträger zur Raumseite hin mit Nähgewirkmatten gedämmt. Der Bauherr wendete sich hierzu direkt an die Firma Wismarer Korrosionsschutz, die sich um Korrosionsschutz im Schiffsbau kümmert, und die Wärme isolierenden und Schwitzwasserbildung vermeidenden Matten verlegte. Auf das einschalige Stahlblech des runden Trichters, in dem sich das Badezimmer der obersten Ferienwohnung befindet, klebten die Handwerker eine 19 mm dicke, gummiartige Armaflex-Matte – ein Material, das man im Dampfrohrleitungsbau als Isolierung verwendet. „Das war für den Trichter genau das Richtige“, meint Bauherr Paul Stöckl. Auf der Armaflex-Dämmung verlegten die Handwerker eine aus Platzgründen nur 5 cm dicke Steinwolledämmung. Eine besondere handwerkliche Herausforderung war für die Trockenbauer der innere Abschluss der Badezimmerwand mit einer der Behälterrundung folgenden Gipskartonschale. Diese montierten die Trockenbauer aus drei Lagen 8 mm dicker Gipskartonplatten, welche sie auf der Rückseite einschlitzten, um sie besser biegen zu können. Die Badezimmerfenster sind in Absprache mit der Denkmalpflege im Stahltrichter so positioniert, das man sie von außen nicht direkt sehen kann.

Um in dem nach unten spitz zulaufenden Trichter überhaupt ein Badezimmer einbauen zu können, schweißten die Handwerker in den Stahlbehälter vier Träger ein und verlegten darauf 35 mm dicke OSB-Platten, eine Trittschalldämmung und einen Fließ-estrich als Fußbodenaufbau. Für die übrigen Decken konnten die Handwerker die im Silo noch vorhandenen alten Riffelbleche als verlorene Schalung für den 8 cm dicken Fließestrich verwenden. Nur im Mittelteil des Gebäudes gibt es zwei Stahlbetondecken.

 

Maritimer Charakter der Ferienwohnungen

Auch in den Ferienwohnungen tauchen an vielen Stellen aus der Seefahrt entlehnte Bauteile auf. So bildet ein dickes Tau den Handlauf für die Treppe, die die beiden Ebenen der obersten und mittleren Ferienwohnung miteinander verbindet. Das Blatt der aus Platzgründen gebogen konstruierten Schiebetüren in der Ferienwohnung darunter hat der Tischler aus Streifen von OSB- und MDF-Platten zusammengeleimt und daran Bauteile als Türgriffe geschraubt, die man auf Segelschiffen zum Vertäuen der Seile verwendet. „Wir haben jeden Zentimeter ausgenutzt“, freut sich Bauherrin Gisela Rachui-Stöckl über solche gelungenen Detaillösungen und den insgesamt maritimen Charakter ihrer Ferienwohnungen „chalet nautique“.

Das Silo blieb so als Teil der Geschichte des Alten Hafens in Wismar erhalten. Eine halbe Million Euro investierten Gisela Rachui-Stöckl und Paul Stöckl in die drei Mitte 2007 fertig gestellten exklusiven Ferienwohnungen auf fast 300 m2 Bruttogeschossfläche – ein mutiger Schritt, der sich sowohl für die Stadt als auch für die dort ihren Urlaub verbringenden Touristen lohnt.

Fast hätte man das Getreidestaubsilo zugunsten eines Wendehammers abgerissen

Pläne

Hier finden Sie weitere Pläne des zu Ferienwohnungen umgebauten Getreidestaubsilos in Wismar.

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