Geteilte Last für Holzbalkendecken

Am Lindauer Yachthafen entstehen derzeit Luxuswohnungen. Die Villa Kalkhütte, ehemals ein Schulgebäude, wird saniert und baulich ergänzt. Dabei kommt den Holz-Beton-Verbunddecken eine Schlüsselrolle zu. Neben der Villa entsteht ein Neubau nach dem Entwurf des verstorbenen Architekten Prof. Ernst Kasper.


Am Rand der historischen Inselstadt Lindau steht die 1907 erbaute Villa Kalkhütte. Sie wurde in unmittelbarer Nähe zur ehemaligen Barfüßerkirche aus dem 13. Jahrhundert als Ergänzungsbau zu dem dort angesiedelten Schulzentrum errichtet. Erdgeschoss und vier Obergeschosse bieten 2500 m2 Nutzfläche. Diese werden in zwölf großzügige Wohnungen umgebaut und durch einen zur Seeseite vorgestellten, viergeschossigen Wintergarten erweitert.

Der Neubau bietet – als modernes Gegenstück der Villa – Platz für weitere 20 Wohnungen und Gewerbeeinheiten im Erdgeschoss. Direkt am Bodensee und mit Blick auf die Vorarlberger Alpen entsteht hier Wohnraum auf mehr als 3500 m2 Fläche. Ergänzt wird das Ensemble aus Alt- und Neubau durch eine Tiefgarage mit insgesamt 49 Stellplätzen.

In der rund 100 Jahre alten Villa entstehen Wohnungen in Luxusstandard. Voraussetzung dafür sind ebene und schwingungsfreie sowie schalldichte Zwischendecken. Vorhandene Stützen mussten dem angestrebten großzügigen Wohngefühl weichen. Die Vorgaben des Denkmalschutz und der Kostenrahmen führten zu der Entscheidung, die Decken durch eine Holz-Beton-Verbundkonstruktion zu ertüchtigen. Die Vorteile dieser Sanierungsvariante: Die bauphysikalischen Bedingungen können damit kostengünstig erfüllt werden, das Niveau ausgeglichen sowie schnell und substanzschonend gebaut werden.

 

Bauliche Situation in der Villa Kalkhütte in Lindau

Über Streifenfundamenten sind die Außenmauern der Villa im Erdgeschoss aus Beton, darüber aus Vollziegeln gemauert. Das nahezu ebenerdige Erdgeschoss war ursprünglich ein Untergeschoss. Durch Ausbau der massiven Bestandsdecke und Einbau einer neuen Leichtbetondecke mit integrierten Sanitärleitungen wurde die für die künftige Nutzung erforderliche Raumhöhe erreicht.

Die Geschossdecken vom ersten bis zum vierten Obergeschoss sind als Holzbalken-Decken über drei Felder mit Spannweiten von 6,55-3,20-6,55 m ausgeführt. Die Balken haben Querschnittsabmessungen von b/h = 17,5/24 cm und liegen im Abstand von 80 cm. Die wechselseitige Stoßanordnung auf den beiden Mitteltragwänden hat zur Folge, dass jeder zweite Balken im großen Feld ein Einfeldträger ist. Dieses machte sich daher schon bei der Bestandsdecke durch Schwingungsanfälligkeit bemerkbar. Durch den Rückbau der zahlreichen gemauerten Kamine in allen Geschoss-
ebenen mussten weitere neue Holzbalken zum Teil als Einfeldbalken eingebaut werden. Im Hinblick auf die Lasten aus neuen Bodenaufbauten, notwendigen F 90-Unterdecken und Leichtbautrennwänden auf den Decken, war eine Balkenverstärkung unumgänglich. Außerdem mussten Höhenabweichungen der Balken-
oberkanten bis zu 14 cm ausgeglichen werden.

 

Ertüchtigung der alten Holzbalkendecken

Nach verschiedenen Planungsüberlegungen war der Lösungsansatz des Planungsbüros Fecher Rundel Partner aus Lindau eine Holz-Beton-Verbund-Konstruktion. Damit konnten die verschiedenen Anforderungen an die Decken wie Lastaufnahme, Steifigkeit, Scheibenwirkung, Höhenausgleich, Schallschutz und Brandschutz erfüllt werden. Eine eigene erste Vordimensionierung mit einer 6 cm dicken Betonplatte, mit den Holzbalken verdübelt, ergab ausreichende Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit.

Die Tragwerksplaner schlugen daraufhin dem Bauherrn vor, die Holzbalkendecken in vier Geschossen durch das Holz-Beton-Verbundsystem zu ertüchtigen. Punktlasten aus Dachgeschosspfosten sowie Linienlasten aus massiven Wänden werden durch zusätzliche Stahlträger zwischen den Deckenbalken abgetragen. Die Gesamtlast auf die Fundamente wurde gegenüber dem Altbaubestand nicht überschritten, da die ursprüngliche 12 cm dicke Kiesschüttung in den Fehlböden ausgebaut wurde. Der Schallschutz der neuen Decken wurde vom Bauphysiker als ausreichend nachgewiesen. 


Niveauausgleich im System gelöst

Bis zu 14 cm Gefälle in den Decken müssen die Handwerker ausgleichen. Der Niveauausgleich erfolgt im System durch Betonriegel. Dazu erhalten die Balken Schalungen und werden in einem Zug zusammen mit der Decke ausbetoniert. Den schubfesten Verbund zwischen Holztragwerk und Betondecke stellen pro Geschoss rund 5000 geschraubte Elascon Schubfix-Verbinder her.

Die alte Balkenlage wurde vollständig entkernt. Seitlich angeschraubte OSB-Platten dienen als Schalung für die balkenverstärkenden Riegel. Zwischen den Balken verlegten die Handwerker balkenwaagrecht einen neuer Schalungsboden.

Auf dem so vorbereiteten Boden wurden die Einschraubpunkte für die Schubverbinder mit Schablonen und Farbe aus Sprühdosen markiert. Anschließend legten die Handwerker auf dem Holztragwerk eine Folie aus, um ein Durchsickern der Zementmilch zu verhindern. Im nächsten Schritt wurden die Schubfix-Schubverbinder TC II 7.3/150 mm im 45-Grad-Winkel ohne Vorbohren eingeschraubt. Ein definierter Anschlag sorgte für die richtige Einschraubtiefe.

Auf Abstandhalter legten die Handwerker die Armierung aus Betonstahlmatten Q 188 auf und setzten die Bewehrungsbügel für die Riegel in die Schalungen ein. Eine mindestens 6 cm dicke Betonplatte wurde in der Qualität C 25/30 eingebaut und abgezogen. Die Decken erhielten während des Betoniervorganges unterseitig in Feldmitte eine Abstützung. In Verbindung mit Auflagernischen in den Außenwänden erfuhr das gesamte Gebäude durch die neuen Deckenscheiben eine Stabilisierung und Aussteifung.

 

Lastverteilung im Verbund

Kern dieser Holz-Beton-Decke ist der Schubfix Schubverbinder, eine bauaufsichtlich zugelassene Spezialschraube. Sie verbindet Holzbalkendecke und Betonscheibe zu einem elastischen Verbundtragwerk. Der nichtbrennbare und druckfeste Beton liegt in der Druckzone und nimmt hohe Lasten auf. Er dämpft Schwingungen, reduziert die Schallweiterleitung und erhöht die Brandsicherheit. Das leichte und zugfeste Holz liegt in der Zugzone.

Die Schubverbinder verteilen die anfallenden Lasten zwischen den beiden Tragwerken. Die Spezialschrauben sind auf die auftretenden Knick- und Schubbelastungen ausgelegt. Ihre Geometrie verhindert Ausreißen und sichert eine definierte Einschraubtiefe. Punktuelle Lasten werden auf mehrere benachbarte Tragwerksbalken verteilt. Die lastverteilende Funktion ermöglicht eine Verdoppelung bis Verdreifachung der Verkehrslast. Das Ergebnis des Elascon Holz-Beton-Verbunds sind Decken mit hoher Tragfähigkeit, die in Bezug auf Schallschutz, Brandschutz und Schwingung sehr gute Werte erzielen.

Die bauaufsichtlich zugelassenen Schubfix-Schubverbin­der können unabhängig von den Umgebungsbedingun­gen sicher verbaut werden. Mit dem Setzen der Schrauben, Verlegen einer Bewehrung auf Abstandshalter und Einbringen des Aufbeton ist das Verfahren mit nur wenigen Arbeitsschritten sicher und wirtschaftlich.

 

Exakte statische Berechnung

Mit dem für die Deckensanierung der Villa eingesetzten Planungssoftware Easycon zur statische Berechnung elastischer Verbundkonstruktionen ist erstmals eine wirklichkeitsnahe Abbildung der Verbundwirkung und des Schubverlaufs möglich. Auf bisherige aufwendige Rechenmethoden, die abschnittsweise ansetzen, wie FEM- oder Stabwerksmodelle, kann verzichtet werden. Die genaue Erfassung und Berechnung veränderlicher Gleichlasten, Punktlasten oder Querschnittsänderungen ist erstmals auf Basis des Querkraftverlaufs im System möglich.


Die Kombination aus Holz und Beton in den Decken stabilisiert das gesamte Gebäude

Spezialschrauben verbinden Holzbalkendecke und Betonscheibe zu elastischem Verbundtragwerk

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