Ergänzung eines Gründerzeitensembles in Wittstock und einen Kita-Neubau aus Ziegeln

Für die Ergänzung eines Gründerzeit-Ensemble um einen Kita-Neubau in Wittstock erhielten die Architekten Mitte Oktober den Baukulturpreis Brandenburg. Das Relief- und Filtermauerwerk des Neubaus erforderte von den Maurern Präzisionsarbeit, denn die Ziegel liegen zum Teil nur wenige Zentimeter auf.

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Wittstock an der Dosse liegt rund 130 Kilometer nordwestlich von Berlin in Brandenburg. Wie viele dünn besiedelte Gemeinden in Deutschland kämpft die Kleinstadt gegen Wegzug und Leerstand. Um die von mittelalterlichem Fachwerk und Tuchfabriken aus der Gründerzeit geprägte Altstadt zu beleben, werden in Wittstock nur Bauprojekte im Stadtkern gefördert. Als die Kita, Teil einer Plattenbausiedlung aus den 1970er Jahren, sanierungsbedürftig war, entschied sich die Stadt, die Kinder in zwei denkmalgeschützten Gründerzeit-Schulbauten im Zentrum unterzubringen.

Mädchen- und Knabenschule wird Kita

Die Knabenschule von 1839 und die Mädchenschule von 1894 standen seit Jahren leer. Sie liegen gegenüber der Marienkirche, einer dreischiffigen Hallenkirche aus der Backsteingotik. Die beiden zweigeschossigen, traufständigen Schulhäuser sind durch die Küsterstraße getrennt, den Durchgang vom Wohnhaus des Küsters zur Kirche. Um die Weg- und Blickachse zur Marienkirche nicht zu verstellen, überspannten kleyer.koblitz.letzel.freivogel.architekten aus Berlin die Straße mit einer Glasbrücke im ersten Obergeschoss, die die beiden Altbauten verbindet. An der Stirnseite ergänzten sie das Ensemble um einen dritten Mauerwerkskörper. „Die Altbausubstanz ist sehr gut erhalten. Da das so bleiben sollte, haben wir die haustechnisch anspruchsvollen Sanitärräume, den Aufzug und das notwendige Treppenhaus im Neubau untergebracht“, sagt Architekt Timm Kleyer.

Die Eingriffe in den Bestand beschränken sich auf ein Minimum. Die Original-Holztüren wurden umgesetzt, die Holzbalkendecke im Erdgeschoss entfernt und eine Betonsohle sowie ein Estrich mit Fußbodenheizung und neue Bodenbeläge verlegt. An den Innenseiten der Außenwände schlugen die Maler den Putz ab, verkleideten die Wände mit Kalziumsilikatplatten und strichen sie mit einer dampfdiffusionsoffenen Silikatfarbe. Die Fenster aus den 1970er-Jahren wurden gegen denkmalgerechte Holzfenster mit Isolierglasscheiben ersetzt. Neue Sanitär-, Garderoben- und Kücheneinbauten sind von Wänden und Decken abgerückt, so dass die ehemaligen Klassenräume in ihrer Dimension erfahrbar bleiben.

Filtermauerwerk als Sonnenschutz

Mindestens ebenso interessant wie die Sanierung ist die Ziegelfassade des Neubaus, die sich an der benachbarten Jungenschule orientiert, wodurch sich die Fassa­de harmonisch in die Umgebung einfügt. Die Archi­tek­ten griffen Motive des Nachbarbaus auf und interpretierten sie mit verschiedenen Mauerwerks­varianten neu.

Beide Schulhäuser besitzen eine für die Region und das 19. Jahrhundert typische monolithische Ziegelfassade. Der Neubau wurde dagegen zweischalig gemauert: Das tragende Mauerwerk aus Kalksandstein-Plansteinen beklebten die Handwerker mit zwei Schichten 8 cm dicker Mineraldämmplatten und verkleideten diese mit einer hinterlüfteten Vormauerschale. Diese besteht aus roten Wasserstrichziegeln im Normalformat von 24 x 11,5 x 7,1 cm, deren Oberfläche und Farbgebung dem Bestand entspricht – ein Stein, der für Sanierungen in Norddeutschland häufig verwendet wird.

Die Ziegelfassade greift Dachneigung, Trauf- und Sturzhöhen, Pfeiler und Fassadenfelder der Jungenschule auf. Die glatten, geschlossenen Flächen führten die Maurer der Firma Schiewe Bau aus Wittstock im wilden Verband mit Fugenglattstrich aus. Vor den Fenstern an der Ostfassade zum Kirchplatz vermauerten sie ein Filtermauerwerk als Sonnen- und Sichtschutz. Dabei versetzten sie die Läufer jeweils um die Breite eines Binders gegeneinander.

„Die Frage war: Wie bekommt man das zum Halten?“, erinnert sich Timm Kleyer. „Wir hätten Formsteine verwenden und das ganze Feld bewehren können, aber das hätte einer Zulassung im Einzelfall bedurft.“ Stattdessen entschieden sich die Architekten für eine Konstruktion aus Edelstahlprofilen: An Stahlbetonsturz und Bodenplatte verschraubten die Handwerker raumhohe, 60 x 40 mm große Rechteckrohre, an denen später von innen auch die zweiflügeligen Fenster montiert wurden. Auf die Rohre schweißten sie Halfenschienen, an denen sie die Maueranschlussanker befestigten. Diese wurden jeweils mit einem 4 mm breiten Dorn in den Ziegel gebohrt.

An Sockeln, Mittelstreifen und Stürzen hinterfüllten die Maurer das Verblendmauerwerk mit Beton als verlorene Schalung. Darauf montierten sie die Fenster­bank als Fertigteil aus WU-Beton mit anbetonierten und zuvor ausgeschnittenen Formziegeln. „Das Filtermauerwerk steht auf der Fensterbank und wird nur durch die Anker gegen Kippen gesichert“, sagt Timm Kleyer. Die bis zu 3 m breiten und 300 kg schweren Stürze wurden ebenfalls aus WU-Beton mit einer Rollschicht aus Formziegeln vorgefertigt. Vor Ort brachte sie ein Autodrehkran mit Kipparm in Position, dann verschraubten die Maurer sie mit Einzelkonsolankern am Betonsturz.

Neuland für die Maurer

Das Filtermauerwerk war für die Maurer völliges Neuland: „Es gab keinerlei Vorbilder“, sagt Bauingenieur Reiner Schiewe von der Firma Schiewe Bau. „Das Mauern war extrem zeitaufwendig: Durch die fehlenden Steine gibt es keine durchgehenden Lagerfugen, das erschwert das Verfugen. Die Steine liegen nur

3 bis 4 cm auf zwei kleinen Lagerfugen auf. Um sie präzise waagerecht zu vermauern, müssen Fugendicke und Mörtelkonsistenz genau passen.“ Für die 12 mm dicken Fugen verwendeten die Maurer einen Vor­mauermörtel für stark saugende Ziegel, der trotz der Wasseraufnahme der Steine eine hohe Haftschlüssigkeit und Dichtigkeit garantiert. Damit das Filtermauerwerk entwässern kann, vermauerten sie die untersten Steinlagen mit offenen Stoßfugen.

Regenfallrohre und Blitzschutz werden verdeckt in den Mauerwerkspfeilern geführt; die Zwischenräume verfüllten die Handwerker vollflächig mit hydrophobierter Mineralwolle. Die Dachrinne aus Kupfer wurde auf einer Sperrholzunterkonstruktion mit Repanol ausgeklebt und im Dach versenkt. Die naturroten Glattziegel des Daches ähneln dem Farbton des Mauerwerks, Dach und Wand gehen nahtlos ineinander über.

Im Gegensatz zur Straßenfassade schmückt die Giebelseiten ein Reliefmauerwerk aus Läufern und Köpfen. Die Köpfe stehen jeweils 3 cm vor und überziehen die Fassade mit einem flirrenden Spiel aus Licht und Schatten, das an den Backsteinexpressionismus der 1920er Jahre erinnert. Ein schöner Kontrast zu den ruhigen, geschlossenen Giebel- und Wandpartien, die bis zu 6 cm vorspringen und das Relief wie ein Bild einfassen. „Auch für diese Fassade hatten wir keine Vorbilder“, sagt Reiner Schiewe: „Meine Handwerker mussten sehr vorsichtig mauern und verfugen, um zu vermeiden, dass herabfallender Mörtel die hervorlugenden Steine beschmutzt.“ Pro Etage und Seite brauchten die Maurer etwa zwei Wochen. Hintere und vordere Steinlage wurden mit Schnüren exakt eingemessen.

Auf der Hofseite kombinierten die Architekten das Backsteinrelief mit einem „falschen“ Filtermauerwerk, das eine dahinterliegende Treppe verbirgt. Statt die Köpfe wie auf der Straßenseite wegzulassen, sägten die Maurer sie ab, so dass sie 6 cm gegenüber den Läu­fern zurückspringen.

Die unterschiedlichen Mauerwerksverbände zeigen, wie vielfältig sich zeitgemäße Backsteinarchitektur umsetzen lässt. Das Gebäude wirkt neu und dennoch vertraut, der handliche Stein verknüpft es mit seiner Umgebung.

Autor
Dipl.-Ing. Michael Brüggemann studierte Architektur in Detmold und Journalismus in Mainz. Er arbeitet als Redakteur und schreibt außerdem als freier Autor unter anderem für stern, DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau.
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