In 26 Jahren CO2-neutral
Umbau und Erweiterung einer Doppelhaushälfte in Hamburg zum Plus-Energiehaus

Der tatsächliche Energiebedarf beim Bau und beim Betrieb eines Hauses rückt selten in den Fokus. Eine wissenschaftliche Studie begleitete zu diesen Fragen den Umbau eines Siedlerhauses in Hamburg zum LichtAktiv-Haus. Dieses produziert im Betrieb mehr Energie als es verbraucht und ist in 26 Jahren CO2-neutral.

Wie sieht die Zukunft des Bauens aus energetischer Sicht aus? Das Ende der Fahnenstange ist, soviel lässt sich mit Sicherheit sagen, nicht beim Passivhausstandard erreicht. Dabei geht die Diskussion – egal ob bei Bestands- oder Neubauten – in vielen Fällen nicht weit genug. Nämlich dann, wenn nur der Betrieb des Hauses beim Feilschen um den Energieverbrauch genannt wird und nicht etwa auch der Bau, die Instandhaltung und letztlich die Entsorgung von Baumaterial beim Abreißen eines Hauses. Denn erst mit diesen Daten lässt sich der wahre Bedarf an Primärenergie berechnen, der für das Gebäude während seiner Lebenszeit aufgewendet werden muss. Diese wahre Bedarfsberechnung an Energie von Bauteilen von der Wiege bis zur Bahre (Ökobilanzierung) wurde beim Velux LichtAktiv-Haus in Hamburg angewandt. Die TU Darmstadt hat das umgebaute Siedlerhaus aus den 1950er Jahren genau unter die Lupe genommen und kommt zu einem erstaunlichen Schlusse: Aus der Studie, welche die Betrachtung des gesamten Gebäudezyklus vornimmt, lässt sich zum Beispiel entnehmen, dass eine umfangreiche Sanierung von Bestandsgebäuden Vorteile gegenüber einem Neubau hat. „Die Energieeinsparung im Gebäudebetrieb lässt sich mit einem deutlich kleineren Ressourcenaufwand und geringeren Umweltwirkungen als im Neubau realisieren“, schreibt deren Verfasser, Joos Hartwig.


Ausgangssituation: eine unsanierte Doppelhaushälfte

Den Ausgangspunkt bildete eine unsanierte Doppelhaushälfte in Hamburg-Wilhelmsburg. Um zusätzliche Wohn- und Nutzfläche zu gewinnen, wurde ein alter Anbau durch einen neuen Erweiterungsbau ersetzt und das Bestandsgebäude umfassend modernisiert.

So kommt es auch, dass beim so genannten LichtAktiv-Haus im Betrieb weniger Energie verbraucht wird, als produziert wird – dank der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach. Dazu kommt ein ausgeklügeltes Lichtkonzept mit vielen Dachfenstern, das seinerseits elektrische Energie spart. Rechnerisch gesehen ist das Haus deshalb ein Plus-Energiehaus. Bei einer angenommen Nutzungsdauer von 50 Jahren (analog zu den Vorgaben der DGNB) ergibt sich ein Energieüberschuss von 132,270 kWh.


Anbau trägt zum guten Abschneiden bei

Interessanterweise schneidet das LichtAktiv-Haus im Vergleich zu einem DGNB-Referenzgebäude in allen Wirkungskategorien besser ab. Zurückzuführen ist dies laut Studie unter anderem auf die Nutzung der vorhanden Primärstruktur des Bestandsbaus und auf die Ausführung des Neubaus als Holzbau. Im Gebäudebetrieb hilft beim LichtAktiv-Haus vor allem die Qualität der Gebäudehülle und die Nutzung der Umweltenergie (Solarthermie und Wärmepumpe). Rein rechnerisch ergibt sich ein erfreuliches Ergebnis: Durch die Mehrproduktion an Energie durch die PV-Anlage hat das LichtAktiv-Haus nach 26 Jahren die Treibhausgasemissionen, die bei der Herstellung, Instandhaltung und Entsorgung des Hauses anfallen, wieder eingespart. Der Autor kommt zum Schluss, dass „eine Reduzierung des Energiebedarfs in Kombination mit niedrigen Umweltwirkungen aus der Gebäudekonstruktion und der Erzeugung von regenerativer Energie im Gebäude zu einem neutralen Treibhauspotential führen kann.“ Die Nutzung vorhandener Gebäudestrukturen und die Verwendung nachwachsender Rohstoffe habe deutliche Vorteile gegenüber einem konventionellen Neubau.

Kritik wurde bei der Vorstellung des LichtAktiv-Hauses am DGNB laut. Wie kann es sein, dass das Referenzgebäude des DGNB so viel schlechter abschneidet als das LichtAktiv-Haus? „Dazu muss man wissen, dass es derzeit noch wenig Vergleichsmöglichkeiten gibt“, erläutert Andreas Buchholz von der DGNB. Der Wert sei ein rechnerischer Wert für ein Bürogebäude, das unter den heutigen Möglichkeiten bei herkömmlicher Bauweise unter Anwendung der EnEV 2009 gebaut wurde. Eine Arbeitsgruppe erarbeitet derzeit einen Referenzwert für Einfamilienhäuser. Ein solches Referenzgebäude würde mit Sicherheit besser abschneiden, sagt Buchholz.

Letztlich sagen die Vergleichswerte der DGNB also relativ wenig aus, außer, dass noch viel Luft nach oben ist. Wichtig ist nur, zu wissen, dass es Möglichkeiten gibt, Plus-Energiehäuser (mit entsprechenden Baustoffen) zu bauen. Das sollte das übergeordnete Ziel für die kommenden Jahre sein.


Autor


Rüdiger Sinn ist verantwortlicher Redakteur der zur bauhandwerk gehörenden Zeitschrift dach+holzbau.

Gerechnet werden sollte der Energieverbrauch eines ganzen Lebenszyklus

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