Handwerks-System vom Handwerker für Handwerker

Malermeister Christoph Baum hat ein Handwerks-System entwickelt, das Zeit, Geld und Nerven spart und Mitarbeiter und Kunden zufriedener macht. Dadurch kann er sich wieder auf seine eigentliche Leidenschaft konzentrieren: Planung, Marketing und Verkauf – und auf seine neue Firma, die das System vermarktet.

Kommt Ihnen das bekannt vor? Morgens als erster im Betrieb, um alles vorzubereiten, damit die Mitarbeiter pünktlich auf der Baustelle sind. Den restlichen Tag arbeiten als Feuerwehrmann – überall brennt es: Material fehlt, Mitarbeiter krank, Angebot ausarbeiten, Rechnungen schreiben, Baustellen planen, ... Nach 12 bis 16 Stunden Feierabend. Nicht weil die Arbeit geschafft ist, sondern Sie! Selbst am Wochenende bleibt kaum Freizeit. Trotz dieses enormen Aufwands ist der Gewinn – wenn es denn überhaupt einen gibt – mager. Die meisten Inhaber von Handwerksunternehmen haben solche Zeiten schon erlebt. Oder sie stehen ihnen noch bevor. Falls dann noch etwas Unvorhersehbares passiert – Zahlungen bleiben aus, ein Großauftrag geht verloren oder der Chef wird krank – steht der Betrieb ganz schnell auf der Kippe.

Wenn Handwerksunternehmen in eine Krise geraten, ist die fast immer hausgemacht. Ursache ist in der Mehrzahl der Fälle ein total überlasteter Inhaber, der vom Tagesgeschäft so sehr vereinnahmt wird, dass er sich nicht mehr um seine eigentlichen Aufgaben kümmern kann: Das große Ganze im Auge behalten und strategische Entscheidungen treffen. Auch Christoph Baum bildet da keine Ausnahme. Erst als seine Malerfirma kurz vor der Pleite und er selbst kurz vor dem Zusammenbruch stand, schaffte er es, die Notbremse zu ziehen und seinem Unternehmen, aber auch seinem persönlichen Leben eine ganz neue Richtung zu geben. Heute läuft sein Handwerksbetrieb nahezu automatisch, was ihm Zeit und freie Energie verschafft, sich um seine neue Firma Novus Worksystem und eine Vielzahl weiterer Ideen und Projekte zu kümmern.

Aus der Krise zum Erfolg

Dass ein Handwerksunternehmen Krisen durchstehen kann, hatte Christoph Baum zuvor schon aus der Nähe beobachten können. Noch vor der „Wende“ hatte sein Vater Peter Baum 1989 in Wernigerode am Harz den ersten Malerbetrieb gegründet, wobei er einige Hürden überwinden musste, denn in der ehemaligen DDR war es schwierig, die Erlaubnis für ein selbständiges Gewerbe zu bekommen. Dafür konnte er nach der Wiedervereinigung aber auch gleich durchstarten und von dem Bauboom profitieren. 1996 geriet das Unternehmen dann in die erste Krise als zwei große Bauträger, für die der auf mittlerweile 25 Mitarbeiter gewachsene Malerbetrieb hauptsächlich arbeitete, pleite gingen. Auch als Christoph Baum 2000 als Lehrling in den väterlichen Betrieb einstieg, war die Ursache für die Schieflage nicht beseitigt. Zwar war die Auftragslage recht gut, es wurden aber hauptsächlich Aufträge wie Fassadenanstriche und Fußbodenverlegung ausgeführt. Die bekam nur, wer einen möglichst niedrigen Preis anbot. „Von Marketing keine Spur, wir hatten nicht mal Werbung auf den Autos“, erinnert sich Christoph Baum. 2006 entdeckte er schließlich sein Talent dafür, Abläufe zu strukturieren und wirtschaftlicher zu machen, als er einen Großauftrag über 14 000 m2 Fassadenbeschichtung so gewinnbringend organisierte, dass das Unternehmen anschließend schuldenfrei war. 2012 übernahm der frischgebackene Malermeister schließlich den väterlichen Betrieb. Die ersten zwei Jahre liefen ganz gut, im dritten Jahr als Chef begann dann die Krise, die den Ausgangspunkt für den heutigen Erfolg bildet: „Wir haben zwei große Aufträge nicht bekommen, es gab Zahlungsausfälle, ich musste Leute entlassen, ich habe gerackert wie ein Wilder, war gestresst und hatte keinen Spaß an meinem Unternehmen. Der finanzielle Druck hat sich negativ auf meinen Führungsstil ausgewirkt“, bringt es Christoph Baum auf den Punkt.

Verantwortung auf Mitarbeiter übertragen

Genervt von der schlechten Laune des Chefs kündigten fachlich hervorragende Mitarbeiter. „Ich habe mit meinem Team gesprochen, und die waren brutal ehrlich zu mir. Ich konnte gar nicht fassen, was ich alles falsch gemacht haben sollte.“ Als Konsequenz holte sich Baum externe Hilfe. Ein Coach öffnete ihm die Augen dafür, wie wichtig Marketing für die Gewinnung neuer Kunden und Mitarbeiter ist und dass man dafür das eigene Unternehmen zur Marke machen muss. Da er kein bestehendes System fand, das er einfach für seine eigene Firma hätte übernehmen können, entwickelt er auf Basis seines neu gewonnen Wissens ein eigenes Baustellensystem, das aus einer Reihe von Dokumenten und Checklisten besteht, mit denen sich alle Abläufe kontrollieren lassen. Im Zentrum steht die Idee, als Chef  Verantwortung und Kompetenzen auf die Mitarbeiter zu verlagern. „Wir schmeißen die Mitarbeiter jeden Tag ins kalte Wasser: Auf der Baustelle müssen ihnen die Kunden erklären, was zu tun ist, weil sie mit zu wenig Informationen losgeschickt wurden. Dauernd gibt es Leerfahrten und unnötige Verzögerungen, weil Material oder Werkzeug fehlt. Weder die Mitarbeiter noch der Chef wissen, ob die Baustelle stundenmäßig im Soll oder schon unwirtschaftlich ist. Kunden ärgern sich und rufen beim Chef an, der Chef reicht die schlechte Laune an seine Handwerker weiter – ein Teufelskreis“, meint Christoph Baum.

Sein System, das er mittlerweile mit einer eigenen Firma – Novus Work System – vermarktet, besteht in der Grundversion aus Vorlagen, mit denen man sich eine Baustellenmappe ausdrucken kann (eine voll digitale, Cloud-basierte Version steht kurz vor der Fertigstellung). „Ich habe das System einfach in einem laufenden Projekt aufgesetzt und es hat praktisch auf Anhieb funktioniert“, berichtet Baum. Auch die Mitarbeiter waren sofort begeistert, denn sie können sich jetzt viel besser vorbereiten. Zwar haben sie jetzt mehr Verantwortung, aber sie haben es auch selbst in der Hand, eine Baustelle möglichst erfolgreich abzuwickeln. „Sie sind keine stumpfen Weisungsempfänger, sondern haben jeden Tag die Motivation, selbst gesteckte Ziele zu erreichen. Und sie bekommen dafür auch direkt das Lob vom Kunden. So kommen sie mit einem besseren Gefühl zur Arbeit und gehen abends zufriedener nach Hause.“ Neben diesen ideellen Erfolgen werden sie darüber hinaus aber auch finanziell am Erfolg beteiligt. „Ich bin komplett raus aus der Baustelle. Ich gebe am Anfang eine Mappe raus, die ich zum Abschluss des Projekts zurückbekomme – fertig! Seit der Einführung haben alle Baustellen im Plus abgeschnitten, insgesamt stieg der Ertrag um 140 Prozent“, freut sich Baum.

Ein System für alle Gewerke

Anfangs war ihm der Erfolg fast unheimlich, wenn er tagelang nichts von seinen Mitarbeitern hörte, weil sie die Projekte vollkommen autark abwickeln konnten. Aber mittlerweile genießt er es, nicht mehr in der Firma sein zu müssen, damit es läuft und viel Zeit und Energie für seine eigentliche Leidenschaft zu haben: „Ich arbeite an meinem Unternehmen, nicht in“, beschreibt er seine neue Tätigkeit. Als seine Mitarbeiter auf der Baustelle von den Mitarbeitern eines befreundeten Klempnerbetriebs auf das eigentlich ja zunächst nur für den Eigenbedarf entwickelte Handwerkssystem angesprochen wurden – und sie und ihr Chef nach einem Test genauso begeistert waren – , kam Baum auf die Idee, das System zu vermarkten. Dazu gründete er die Firma Novus Work System und sicherte sich die Unterstützung von Robert Otte. Der studierte Sprachwissenschaftler, der zuvor im operativen Marketing eine südkoreanischen Elektronikkonzerns gearbeitet hatte, hilft nicht nur beim Texten, sondern auch dabei, über verschiedene Kanäle wie YouTube, Facebook, Xing oder einen Podcast-Kanal eine Handwerker-Community aufzubauen, die als Plattform für den Austausch von Wissen und Erfahrungen, aber auch als Basis für die Vermarktung zukünftiger Produkte und Dienstleistungen wirkt.

Sich nicht-vergleichbar machen

Ein bereits funktionierendes Projekt ist der so genannte Wohnstilfinder. Den setzt Christoph Baum zur Kundenberatung ein und vermarktet ihn mit seiner dritten Firma, der Interior Designagentur. Vorab beantworten die Interessenten online neun psychologisch ausgetüftelte Fragen, die teilweise auf den ersten Blick gar nichts mit Gestaltung zu tun haben, zum Beispiel nach dem Lieblingsessen. So werden die bewussten und unbewussten Vorlieben des Kunden ermittelt. „Ich brauche dann bei der Beratung nicht zehn Kataloge, sondern nur vier ausgedruckte Seiten“. Weil er so besser den Geschmack seiner Kunden trifft und seine Angebote dadurch zugleich nicht mehr mit denen der Konkurrenz vergleichbar sind, sind die Kunden auch eher bereit, mehr Geld auszugeben. „Wir machen Marketing nicht, um möglichst viele, sondern die richtigen Kunden zu bekommen“, erklärt Robert Otte. Ziel sei es, möglichst nur ein einziges Beratungsgespräch führen zu müssen und danach wieder automatisierte Abläufe wirken zu lassen. Ganz nebenbei erzielt Christoph Baum auch Umsätze fast ohne eigenes Zutun, wenn Kunden online Möbel oder Dekoration kaufen, die ihnen als zu ihrem Wohnstil passend empfohlen wurden. Affiliate Marketing nennt sich diese Vertriebsmethode, bei der ein Verkäufer Provisionen für Empfehlungen gewährt.

Keine Software – ein System!

„Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass mein Betrieb auch dann weiterläuft, wenn ich mal eine zeitlang ausfalle oder mir eine Auszeit nehme“, freut sich Christoph Baum. Er verkaufe keine Software, sondern ein System, dem man anmerke, dass es von einem Handwerker für Handwerker entwickelt wurde. Das Novus Worksystem ersetze auch keine kommerzielle Handwerkersoftware, sondern ergänze sie. Auf die Idee, dass Christoph Baum eine Auszeit nötig haben sollte, kommt man angesichts der Energie und der sprudelnden Ideen allerdings nicht. „Der Mensch gewöhnt sich leider schnell an gute Dinge und nimmt sie für selbstverständlich. Das Einzige, was einem immer wieder aufs neue einen Kick gibt, ist der eigene Erfolg. Und das gilt sowohl für den Firmeninhaber als auch für die Mitarbeiter“, weiß er aus eigener Erfahrung.

Autor
Thomas Schwarzmann ist Redakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.

Ich arbeite AN meinem Unternehmen, nicht IN.

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