Moderner Stampflehmbau
Ein uralter Baustoff ist zum Bestandteil moderner Architektur geworden

Stampflehm ist zwar ein uralter, aber aufgrund seiner gestalterischen Ausdruckskraft heute wieder gefragter Baustoff: In Kombination mit moderner Architektur und High-Tech-Baustoffen ergeben sich spannende Kontraste. Aber auch das vorteilhafte Raumklima spielt bei der Verwendung von Stampflehm eine große Rolle.

Nicht zuletzt die beeindruckende Erscheinung der Stampflehmwand eröffnet neue Anwendungen, die an japanische Vorbilder anknüpfen – ob im Neubau oder bei der hochwertigen Sanierung alter Bausubstanz, als tragende Wand oder als klimatisierende Vorsatzschale. War der historische Stampflehmbau meist eine versteckte Größe, so steht heute seine wuchtige Erscheinung als architektonisches Element im Vordergrund. Architekten und das gestaltende Handwerk inszenieren die Stampflehmwand als optisches Zentrum im Raum. Die Elemente zeigen, dass ihre Errichtung Schicht für Schicht Handarbeit ist.

Fundament der Baugeschichte

Historisch blieb der Baustoff unsichtbar, auch wenn er das Fundament des modernen Bauens ist. Die ersten großen repräsentativen Gebäude der Menschheit werden oft aus Lehm gewesen sein. Deren Mauern wurden in einer Schaltechnik gestampft, die sich vom heutigen Betonbau im Prinzip nicht unterscheidet. Die ältesten Lehmbauten aus der Jungsteinzeit zwischen 10 000 bis 3000 v. Chr. waren meist Stampflehm-Konstruktionen – Mitte des 20. Jahrhunderts stießen britische Archäologen bei Ausgrabungen im anatolischen Hochland auf die Stadt Catal Hüyük, die fast ausschließlich aus Lehm bestand und die in die Zeit von 7000 bis 8000 v. Chr. datiert wird. Aus Holz und Lehmziegeln errichtete man in der jemenitischen Stadt Shibam sogar bis zu 30 m hohe Hochhäuser – und das bereits ab dem 16. Jahrhundert. Die verwendeten Lehmziegel müssen allerdings in regelmäßigen Anständen erneuert werden. Die Lehmstadt in der Wüste gehört zum UNESCO Weltkulturerbe.

Stampflehmbau findet sich auf allen Kontinenten, seitdem die Menschen bauen, und er war die Grundlage für Befestigungsanlagen und für den frühen Hochbau. Die chinesische Mauer mit ihrem Kern aus Stampflehm ist ein bis heute beeindruckendes Beispiel. Die alten Römer haben den Stampflehmbau aus Nordafrika nach Europa gebracht und viele Bauten überall in ihrem Siedlungsgebiet in dieser Technik errichtet. Ein bemerkenswertes Stampflehmgebäude jüngeren Datums – mit sechs Vollgeschossen das höchste dieser Bauart in Deutschland – wurde um das Jahr 1830 errichtet und kann im hessischen Weilburg bewundert werden.

Stampflehm-Bautechnik heute

„Auch heute können Gebäude mit bis zu zwei Vollgeschossen ohne aufwendige Zustimmung im Einzelfall tragend in Stampflehm errichtet werden,“ betont Prof. Dr.-Ing. Christof Ziegert, Inhaber des auf Lehmbau spezialisierten Planungsbüros ZRS und Obmann des DIN-Ausschuss Lehmbau. Jedoch würde wohl kein Bauherr mehr die beeindruckende Erscheinung mit einer Rohdichte des Materials von bis zu 2200 kg/m³ hinter Putz und Wandverkleidung verstecken, so wie das bei vielen Bestandsgebäuden häufig der Fall ist.

In der Regel entstehen die Stampflehmelemente vor Ort, geschalt wird hier mit handelsüblichen Schalungssystemen. Gestampft wird meist mit pneumatischen oder elektrischen Stampfern, natürlich ist auch das rein manuelle Stampfen möglich. Ein präziser Entwurf, wie das Ergebnis aussehen soll, und Akkuratesse bei der Arbeit sind Grundvoraussetzungen für ein gelungenes Ergebnis. Lage für Lage wird das erdfeuchte Material mit 10-15 cm Höhe in eine Schalung geschüttet und etwa auf ein Drittel verdichtet. So entstehen die Schichten, von denen jede einzelne erkennbar ist. Weil nach dem Ausschalen keine Korrekturen möglich sind, ist eine sorgfältige Planung und Ausführung unabdingbar. Viel mehr als bei anderen Bautechniken bedarf es der Übung und Erfahrung, um schön gezeichnete Oberflächen zu erhalten.

Fertigteile aus Stampflehm

Bei der Ausführung vor Ort wirken zusätzlich zum Gewicht des gestampften Materials immense Kräfte beim Verdichten auf den Baukörper, und besonders die verhältnismäßig langen Trocknungszeiten müssen in den Bauablauf eingeplant werden. All dies zusammen lässt sich nicht auf jeder Baustelle ohne weiteres realisieren. Daher wurden schon in der Vergangenheit kleinere Elemente wie zum Beispiel Theken für eine exklusive Ladenausstattung extern gefertigt und im Raum aufgestellt.

Die modernste Form des Einsatzes von Stampflehm befreit die Baustellen von Schmutz, Lärm und Feuchtigkeit: Heute können aus Claytec-Stampflehm fertige Bauteile und Elemente nach Kundenvorgaben hergestellt werden. Möglich wurde das durch die enge technische Kooperation mit dem österreichischen Ziegelwerk Eder, einem Spezialisten für Sonderlösungen im Beton- und Schalungsbau. Stampflehmbauteile lassen sich Dank elektronisch gesteuerter Schalungsherstellung in nahezu jeder beliebigen Größe und Form exakt nach Plan fertigen. Neben Wandscheiben und Vorsatzplatten sind Elemente wie Sitzbänke, Tresen, Reliefs und vieles mehr in frei gestalteter Formgebung realisierbar. Heizungsrohre, Öffnungen und andere Sonderdetails können ohne Schwierigkeiten integriert werden.

Besonders die fertigen Vorsatzplatten sind gefragt. Sie können ab einer Mindestdicke von 8 cm hergestellt werden. Die Dimensionen sind allein durch den Transport, die Situation auf der Baustelle und durch die statische Belastbarkeit des Gebäudes begrenzt. Elemente mit bis zu 5 t Gewicht sind bei normal zugänglichen Baustellen in der Regel gut handhabbar. Vorgefertigte Stampflehmteile lassen sich mit festen Preisen und Lieferterminen kalkulieren. Ungleich einfacher als bei örtlicher Ausführung, erlauben sie die exakte Planung der Kosten, Bauzeiten und Bauabläufe. Mit der Vorfertigung entfallen Bauzeitverzögerungen durch Trockenzeiten, ebenso Lärm- und Erschütterungsbelastungen durch das Stampfen auf der Baustelle.

Keine allergischen Reaktionen

Lehm hat eine enorme Kapazität als Wärmespeicher, wirkt kühlend im Sommer sowie wärmend im Winter und ist hervorragend zur Regulierung der Raumluftfeuchte geeignet. Neben den gestalterischen Möglichkeiten und der Klimatisierung von Räumen dürften Lehmbaustoffe das gesündeste Baumaterial sein, das auf dem Markt zu finden ist. Bis heute sind keinerlei allergische Reaktionen bekannt.

Das Material entsteht während eines Millionen Jahre dauernden Verwitterungsprozesses: Wind und mechanische Belastung zermahlen feldspatreiche Gesteine immer feiner, bis schließlich als kleinstes Mineral das Tonmineral übrig bleibt. Lehm ist ein Gemisch dieser Tonminerale und sandigen bis steinigen Bestandteilen, wobei der Ton die Funktion eines Bindemittels übernimmt. Lehm kommt als Naturprodukt überall auf der Welt vor, in vielen Gärten schon wenige Zentimeter unter der Oberfläche.

Das Tonmineral als Bindemittel für Sand und Steine besteht aus Silikatplättchen mit einem Durchmesser von weniger als einem Tausendstelmillimeter. Bringt man Wasser zwischen diese winzigen Plättchen, dann fungiert es als Gleitmittel; die Plättchen können sich aufeinander bewegen. Dadurch entsteht die Plastizität des Baustoffs – der Lehm wird verarbeitbar. Trocknet das Wasser aus, dann ziehen sich die Plättchen untereinander an. Bei diesem Trocknungsprozess handelt es sich um einen rein physikalischen Prozess, der die Endfestigkeit des Materials ausmacht. Der Vorgang der Trocknung ist reversibel, durch die Zugabe von Wasser kann der Lehm wieder gelöst und geschmeidig gemacht werden. Lehmbaustoffe sind reine Natur, und das macht sie neben ihrer Wohngesundheit vollkommen umweltverträglich.

Natürliche Farben

Stampflehm ist ein Blickfang. Er zeigt sein Gewicht, seine Materialität und die Verarbeitung und ist daher nichts für den Hintergrund geeignet. Deshalb spielt die Farbgebung der charakteristischen Linienführung eine zentrale Rolle. Claytec-Technikleiter Dipl.-Ing. Ulrich Röhlen: „Fertig zur Verarbeitung geliefert, stehen Stampflehme in fünf natürlichen Farben der Erde zur Verfügung, so wie sie am häufigsten vorkommen. Zusätzlich kann Lebendigkeit mit schmalen, bis zu
2 cm breiten Adern mit feinen Yosima Lehm-Designputzmörteln eingearbeitet werden, die ihre Farbigkeit, wie der Stampflehm, ohne Pigmente aus natürlichen Sanden und Tonen erhalten. So stehen zusätzlich 140 Farbvarianten für eine große Gestaltungsvielfalt zu Verfügung.“ Moderne Lehmbaustoffe sind zwar sehr natürlich, sie zeichnen sich aber auch durch hohe Präzision und Zuverlässigkeit in der Komposition aus. Mit moderner Technik, Analyse und Mischanlagen kann eine für Naturprodukte ungewöhnlich hohe Standardisierung erreicht werden, die für eine durchgeplante Baustellenlogistik entscheidend ist.

Autor

Dr. Michael Willhardt ist Inhaber der Agentur Willhardt & Wosnitzka Œffentlichkeitsarbeit in Duisburg.

Stampflehm verlangt Sorgfalt: Nach dem Ausschalen sind keine Korrekturen mehr möglich

Mit Stampflehmfertigteilen lässt sich eine hohe Standardisierung im Bauablauf erreichen

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