Wohnen im Bunker
Umnutzung eines Münchner Hochbunkers zum Wohnhaus

In München haben die Architekten vom Büro raumstation für ihren Bauherrn Euroboden das schier Unglaubliche geschafft: Sie haben einen Hochbunker in ein Wohn- und Geschäftshaus mit vier Wohnungen umgewandelt. Hierzu mussten sich die Handwerker Stück für Stück durch 2 m dicken Stahlbeton schneiden.

In Vorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg begann man in Deutschland schon in den 1930er Jahren mit dem Bau von Schutzräumen für die Zivilbevölkerung. Ab 1940 wurde mit dem so genannten Führer-Sofortprogramm daraus ein wahrer Bauboom. Dieser hinterließ in allen deutschen Großstädten zahlreiche Luftschutzbunker. Allein in München entstanden während des Zweiten Weltkriegs insgesamt 40 Hochbunker. Bereits 1942 waren die meisten von ihnen fertiggestellt. Der Hochbunker an der Münchner Ungererstraße ist so gesehen ein Nachzügler. Dafür handelt es sich bei dem 1943 erbauten siebengeschossigen Hochbunker um ein besonders aufwendig gestaltetes Exemplar. Sicher einer der Gründe dafür, weshalb man ihn 2010 unter Denkmalschutz stellte. Deutlich zu erkennen ist der Wille zur Gliederung der Fassaden mit Gesimsen und Eckbossierungen aus Naturstein, die formal der Renaissance entlehnt sind. Es gibt außerdem Türgewände aus Muschelkalk und geputzte Fenstergewände, auch wenn in diesen Rahmen keine Öffnungen in der Außenwand zu finden sind. Neben einer Anpassung ans Stadtbild hatte man damals vor allem eines im Sinn: Im Visier der feindlichen Bomber sollte der Bunker kaum von einem der benachbarten Wohnhäuser zu unterscheiden sein.

Wandlung vom Hochbunker zum Wohnhaus 

Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ließ man die Hochbunker als Zeugen unserer jüngeren Geschichte stehen. Wobei der Zeugniswert sicher nicht das vordringliche Erhaltungsziel war: Es ist einfach sehr teuer die Hochbunker abzureißen. Funktionslos im Stadtraum verstreut, erlaubte erst die Aufhebung der Zivilschutzbindung vor gerade mal sieben Jahren eine neue Nutzung dieses Gebäudetyps im „großen Stil“. Doch diese fällt schwer: Maximal massiv aus Stahlbeton gegossen bleibt für die meisten der fensterlosen Kolosse nur eine Nutzung als Lager, Archiv oder Ausstellungsraum. Der Hochbunker selbst wird häufig auch auf die Funktion als Sockelbau für Aufstockungen mit hochwertigeren Nutzungen reduziert. Allein in Bochum stockte man im vergangenen Jahr zwei Hochbunker um bis zu 15 Geschosse auf. Aus dem Rundbunker in Bochums Zentrum wurde so das höchste Bürohaus der Stadt. Wir berichteten ausführlich über das „Exenterhaus“ und das „Zentralmassiv“ in bauhandwerk 7-8.2013.

In München setzten die Architekten vom Büro raumstation im Auftrag ihres Bauherrn Euroboden nach Abbruch des bestehenden Walmdachs lediglich ein Staffelgeschoss als gläsernes Penthouse auf den Hochbunker und bauten – und das ist das Herausragende am Münchner Projekt – das komplette Innere des Hochbunkers zu vier Wohnungen sowie Büro- und Ausstellungsräumen um. Gerade die zivile Anmutung des Hochbunkers machte eine solche Umnutzung für den Bauherrn Stefan F. Höglmaier, Gründer und Alleingesellschafter der Euroboden GmbH, vorstellbar.

Licht ins Dunkel der Geschichte

Ein zentrales Thema bei der Umnutzung des Hochbunkers an der Münchner Ungererstraße war – wie bei grundsätzlich allen Bunkerbauten – das fehlende Tageslicht im Gebäudeinneren. Unter den nicht für den ständigen Aufenthalt von Menschen erbauten Gebäuden sind gerade die Bunker das extremste Beispiel für den Verzicht auf Maueröffnungen.

Freilich hat man in München nun nicht einfach die Stahlbetonaußenwände in den blinden Fenstern durchbrochen, um Tageslicht in die sonst fensterlosen Räume zu bekommen. Dies hätte nur einen geringen „schießschartenhaften“ Einfall von Tageslicht erlaubt. Stattdessen schnitten die Handwerker 2,2 m x 3,6 m große Öffnungen je Geschoss auf jeder Gebäudeseite in die Außenwände. Im wahrsten Sinne des Wortes arbeiteten sich 14 Handwerker fast sieben Monate lang mit Wand-, Tauch- und Seilsägen Stück für Stück durch die 2 m dicken Außenwände. Nachdem die richtige Methode gefunden war, brauchten die Handwerker für eine Fensteröffnung rund sieben Arbeitstage. „Das war schon aufwendig genug. Aber auch die Entsorgung hatte es in sich. Da unter dem Gelände die U-Bahn verläuft, konnten wir das Abbruchmaterial nicht einfach in großen Blöcken nach unten fallen lassen. Wir mussten es in Quader sägen und dann durch einen Abwurfschacht nach unten befördern“, so Tim Sittmann-Haury vom Architekturbüro raumstation. Einige dieser Quader befinden sich heute im Vorgarten an der Ungererstraße. Das meiste vom Bauschutt lud jedoch ein Bagger in Container, die zum Teil mehrmals am Tag ausgetauscht werden mussten.

Den Architekten ist mit diesen Öffnungen in der Außenwand eine erstaunliche Fassadengestaltung gelungen, bei der die erhalten gebliebenen Reihen „schießschartenartiger“ Fenstergewände in Kombination mit den großen dreigeteilten Blockfenstern aus Aluminium wie nun endlich zu Ende gebaut wirken. Dazu trägt sicher auch die rahmenlose Optik der Blockfenster bei, da bei diesen der Setzrahmen den Flügelrahmen komplett überdeckt. „Außerdem haben wir den Setzrahmen eingeputzt. Dadurch entsteht von außen rechts und links des sichtbaren Öffnungsflügels der Eindruck einer Festverglasung, obwohl man auch diese Flügel öffnen kann“, sagt Tim Sittmann-Haury. Mit Blick auf den Denkmalschutz ist es schon erstaunlich, dass Tageslicht sogar in die Ausstellungsräume im Erdgeschoss dringt, obwohl die Handwerker hier keine zusätzlichen Öffnungen in den Sockel schneiden durften. Das Tageslicht gelangt durch die um 45 Grad angeschrägte Fensterbank der neuen Fenster im Obergeschoss wie durch einen Lichtschacht indirekt bis ins Erdgeschoss.

Fassadensanierung am Putz und Muschelkalk 

Zur denkmalgerechten Sanierung der Natursteinelemente der Fassade bürsteten die Handwerker den Muschelkalk ab und entfernten lediglich lose Steinteile, die nicht mehr halten wollten. Dort, wo durch die Schneidarbeiten in der Außenwand Schneidwasser über die Fassade gelaufen war, spritzten sie dieses mit Wasser zur Reinigung der Natursteinoberflächen ab. Zum Teil ließ man den Schmutz der Jahrzehnte aber auch einfach am Muschelkalk sitzen, wie zum Beispiel die schwarzen Verkrustungen am oberen Kranzgesims. „Es ging uns nicht darum, den Stein hübsch herzurichten, sondern ihn lediglich zu sichern“, meint Architekt Sittmann-Haury.

Auch was den alten Putz anbelangt, suchten die Handwerker ihn zunächst nach Hohllagen ab, entfernten ihn dort, wo sie fündig wurden mit dem Hammer und brachten an diesen Stellen den neuen Kalkzementputz bis auf die alte Putzschichtdicke auf. „An der Wetterseite mussten wir allerdings den kompletten Altputz entfernen“, erinnert sich Maurermeister Johann Lerchl, Inhaber der Johann Lerchl GmbH für Innen- und Außenputze aus Großberghofen. Hier brachten seine Leute nach einem Vorspritz mit anschließender Spachtelung den Kalkzement-Leichtputz MEPit vom Typ II der Firma Schwenk, den ein hoher Anteil an Polystyrol-Kügelchen besonders leicht macht, in der Fläche mit der Putzmaschine auf. „Der Zusatz ,it‘ steht in der Produktbezeichnung für ,intelligente Technologie‘, was für uns bedeutet, dass der Putz in der halben Zeit im Vergleich zu herkömmlichem Material abbindet“, erklärt Maurermeister Lerchl. Anders mussten die Handwerker an den geputzten Gewänden der Scheinfenster vorgehen. „Diese stehen nur 3 cm aus der Oberfläche heraus. Hier war Handarbeit gefragt. Wir haben die Gewände nach Hohlstellen hin untersucht und dort wo wir fündig geworden sind sie mit dem über Bretter angeschlagenen Leichtputz wieder in den Urzustand versetzt“, erläutert Johann Lerchl, dessen Betrieb hauptsächlich an denkmalgeschützten Gebäuden tätig ist. Dies erforderte von den Handwerkern eine große Präzision bei der Arbeit. „Wir müssten eigentlich Feinmechaniker sein. Da ist genau noch nicht genau genug“, meint Maurermeister Lerchl, der auf der Baustelle konstruktiv und gut mit Volker Thun, dem Bauleiter des Architekturbüros raumstation, zusammenarbeitete. Den Abschluss bildet an der Fassade ein zweifacher Anstrich mit einer Silikonharzfarbe.

Innen montierten die Handwerker auf den Stahlbetonaußenwänden eine 5 cm dicke Wärmedämmung aus Mineralplatten, die nicht nur den Wärmeeintritt in die massive Wand verzögert, sondern vor allem für ein besseres Raumklima sorgt. Darauf folgte ein glatter Kalkgipsputz und abschließend ein Anstrich mit Silikatfarbe.

Deckendurchbruch ins Penthouse 

Insgesamt schafften die Handwerker rund 2000 Tonnen Stahlbeton aus dem Hochbunker heraus. Der überwiegende Teil davon stammt von den neuen Fensteröffnungen. 35 Tonnen steuerte allein die Öffnung in der obersten Decke für den Einbau einer Wendeltreppe bei, auf der man vom obersten Bestandsgeschoss ins Penthouse auf dem Bunkerdach gelangt. Selbstverständlich besteht auch die neue Wendeltreppe aus Stahlbeton. Die kreisrunde Öffnung mit einem Durchmesser von 3 m mussten die Handwerker Stück für Stück aus der 2 m dicken Stahlbetondecke schneiden, da man mit einem Ausschnitt im Ganzen die Tragfähigkeit der Bestandsdecke darunter überschritten hätte. „Das Gewicht war eine Sache. Normale Kreisseilsägen sind für Durchmesser bis 2,5 m gedacht. Wir mussten unser Werkzeug mit einem Arm verlängern, um einen Durchmesser von 3 m sägen zu können“, erinnert sich Kay Ziegler, Geschäftsführer der Beton Bohr- & Säge Service GmbH aus Stendal.

Wohnen im Schutzraum

Die durch die raumhohen Öffnungen in der Außenwand entstehende Leibungstiefe von 2 m führt in den Wohnungen zu vier den Räumen angefügten inneren Erkern, die mit einer Fläche von über 6 m2 zum Beispiel nach Südosten als Loggia genutzt zusätzlichen Wohnraum bieten, der den massiven Charakter des Bunkers spürbar werden lässt. Überhaupt beweist der Umgang des Bauherrn und der Architekten mit diesem durch seine Vergangenheit belasteten Zeugen des Zweiten Weltkriegs viel Mut, ist er doch ein Bekenntnis zum Charakteristischen der Funktion eines Schutzraums und zu einer Art der Ästhetik, die nun wirklich nicht jedermanns Sache ist. So sollte von den ursprünglichen Grundrissen und von der originalen Bausubstanz möglichst viel erhalten bleiben. Dies zeigt sich zum einen an der vertikalen Erschließung: Eine Außentreppe führt auf der Gebäuderückseite zunächst bis ins erste Obergeschoss. Von dort aus geht es komfortabel im Aufzug oder durch das innere Treppenhaus nach oben, das weitgehend im Originalzustand erhalten blieb und an dessen lediglich sandgestrahlten Oberflächen Gebrauchsspuren an die Vergangenheit des Gebäudes erinnern. Zum anderen wurden für den Einbau der Wohnungen die Eingriffe im Inneren des Hochbunkers auf ein Minimum reduziert. Auch die nach Anforderungen des Denkmalschutzes sichtbar belassenen Betonoberflächen der Wohnungsdecken gehören zu dieser Art der Ästhetik dazu. Sie werden entlang dem Deckenrand von schmalen Streifen abgehängter Gipskartondecken gerahmt, in denen die Versorgungsleitungen verlaufen.

Und trotzdem: Umnutzen lohnt sich 

Nach über zwei Jahren Bauzeit war in München für rund fünf Millionen Euro zu Beginn dieses Jahres die Umnutzung des Bunkers an der Ungererstraße geschafft: Mittlerweile sind bis auf eine alle Wohnungen bezogen. In der obersten Wohnung mit Penthouse genießt Stefan F. Höglmaier nun den Blick über die Stadt mit Frauenkirche und Allianz-Arena bis hin zu den Alpen. „Wir haben immer gewusst, dass man in diesem Gebäude wohnen kann. Es hat uns nur niemand geglaubt“, meint Tim Sittmann-Haury. Die Büros sind bezogen und in den Ausstellungsräumen und vor dem Gebäude wird Kunst gezeigt.

Sicher hätte ein vergleichbarer Neubau nur etwa die Hälfte gekostet. Trotzdem hat sich die Umnutzung des Münchner Hochbunkers für alle Beteiligten – Bauherr, Architekten und Handwerker – gelohnt, haben diese doch gemeinsam das schier Unglaubliche geschafft, nämlich aus einem durch die Nazizeit belasteten Gebäude durch eine geschichtsbewusste Transformation wieder einen Teil unserer Gegenwart zu machen.

Autor

Dipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.

„Wir haben immer gewusst, dass man in diesem Gebäude wohnen kann. Es hat uns nur niemand geglaubt“

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