Zeichenhaft
Neubau einer Synagoge in Mainz

Die neue Synagoge der Jüdischen Gemeinde Mainz ist eine gleichermaßen außergewöhnliche wie symbolträchtige Architektur. Für den Innenausbau war Stuckateurmeister Martin Ranft verantwortlich, der die Wände und Decken des Neubaus mit speziell gefertigten Flachreliefplatten und hebräischen Schriftzeichen gestaltete.

Der 2000 m2 große Neubau des jüdischen Gemeindezentrums in Mainz fasst etwa 400 Besucher und wurde genau dort errichtet, wo die 1938 zerstörte Hauptsynagoge aus dem Jahr 1912 stand. Der Entwurf stammt vom Basler Architekten Manuel Herz und ist stilistisch völlig unabhängig vom Ursprungsbau.

Schrift als Entwurfskonzept

Das rund 6 Millionen Euro teure Gebäude des Jüdischen Gemeindezentrums thematisiert das Motiv der Schrift. Der Baukörper selber wird durch eine stark mäandrierende Silhouette geformt, die in abstrakter Art die fünf Buchstaben des hebräischen Wortes „Keduschah“ (Heiligkeit) nachzeichnet. Es ergibt sich ein eindrucksvolles Bild, das dennoch – durch das Aufgreifen der Blockrandbebauung als städtebauliches Motiv für den Baukörper – einen wohlgeordneten Straßenraum entstehen lässt.

Das Thema der Schrift setzt sich im Innenraum des Gemeindezentrums fort. Die Wandflächen der Synagoge sind durch ein mosaikartiges Relief gestaltet, das sich aus hunderttausenden dicht aneinander gereihten hebräischen Buchstaben zusammensetzt, die jedoch keinen lesbaren Text ergeben. An manchen Stellen lichtet sich diese Buchstabendichte und es werden so genannte „Piyutim“ (religiöse Dichtungen) lesbar, die von Mainzer Rabbinern während des Mittelalters geschrieben wurden. Diese Piyutim verweisen auf die zentrale Rolle der jüdischen Gemeinde Mainz im Mittelalter.

Millimeterarbeit für filigrane Reliefplattenabgüsse

Die Technik zur Herstellung der Buchstaben und Ornamente hat Stuckateurmeister Martin Ranft speziell für dieses Bauvorhaben entwickelt. Als optimal erwies sich der Einsatz eines Laserschneidegerätes, mit dem die einzelnen Buchstaben aus 3 mm dickem Holz exakt ausgeschnitten werden konnten. Von diesen Muttermodellen wurden Silikonkautschukformen zur Herstellung der hauchdünnen Ornamentplattenabgüsse genommen. „Die Abgüsse waren nur 3 mm ohne beziehungsweise einschließlich der erhabenen Buchstaben 6 mm dick und wurden von uns wie rohe Eier behandelt“, sagt Martin Ranft. Die Buchstaben stehen etwas hervor und haben eine glatte Oberfläche, während die Zwischenräume eine raue Oberfläche haben. Durch die Beschichtung mit einer glänzenden Farbe und die unterschiedliche Re­flexion der Oberflächen entsteht somit ein Raumeindruck, der sich im Tagesverlauf und je nach Position und Blickrichtung ständig verändert. „Als Farbton wurde eine Farbe gewählt, die zwischen Gold, Silber und Bronze liegt“, so Architekt Manuel Herz. „Auf der einen Seite wird somit eine Pracht in den Innenraum gebracht, gleichzeitig vermeidet man jedoch eine einfache Bedeutungsebene, die beispielsweise Gold erzeugt hätte.“

Unterkonstruktion gegen Rissbildung

Bevor die Reliefplatten auf die Wände aufgebracht werden konnten, galt es, ein geeignetes System für ihre Montage zu finden. „Die Platten durften auf keinen Fall direkt auf den Beton aufgeklebt werden“, so der Stuckateurmeister. „Das Risiko, dass sich Risse bilden oder Platten sich komplett lösen und herabfallen, wäre zu groß gewesen.“ Zudem sei der frisch gegossene Betonkörper der Synagoge noch voller Feuchtigkeit gewesen.

Martin Ranft entschied sich deshalb für eine verlässliche Vorsatzschale, die den Kraftübertrag auf die sichtbaren Teile der Innenbekleidung mindern und damit Rissbildung verhindern sollte. Mit Direktabhängern brachten die Handwerker zunächst eine Profil-Unterkonstruktion an, die sie am Baukörper zusätzlich mit Winkeln sicherten. Dabei stellte die Ausbildung der durch die außergewöhnliche Architektur des Gebäudes vorgegebenen Wand- und Dachschrägen für das Team um Martin Ranft eine besondere Herausforderung dar. Für die Beplankung wählte der Stuckateurmeister Rigidur H-Gipsfaserplatten, auf welche die Flachreliefplatten später direkt aufgeklebt und durch zusätzliche Verschraubungen gesichert wurden. Aufgrund ihrer Materialeigenschaften empfahl sich die Gipsfaserplatte als idealer Untergrund. „Wenn man mit filigranen Reliefplatten arbeitet, muss man bei der Verschraubung absolut unabhängig von der Unterkonstruktion sein. Die Rigidur H zeichnet sich durch eine große Härte und besonders hohe Belastbarkeit aus – mit ihr als Untergrund können wir überall dort schrauben, wo es erforderlich und auch vom Ornament her sinnvoll ist und nicht nur dort, wo sich ein Ständerprofil befindet“, sagt Martin Ranft.

Große Maßhaltigkeit für Ornamentplatten

„Beim Aufbringen der Ornamentplatten auf die großformatigen Wandflächen war ein immenses Maß an handwerklicher Präzision erforderlich“, so Stuckateurmeister Ranft. „Wir hatten es teilweise mit mehr als 16 m langen Fugen zu tun.“ Erschwert wurde die Ausführung auch dadurch, dass das Wandbild aus hebräischen Buchstaben in vielen Bereichen von Platten mit lesbaren Textpassagen unterbrochen wird, die aus einer Vielzahl einzelner hebräischer Buchstaben gebildet werden. Die Platten wurden zunächst mit einer durch 3 mm dickes Schleifpapier provozierten rauen Oberfläche gegossen. Anschließend tupften die Handwerker den hebräischen Text mit Trockenfarbe im Maßstab 1:1 auf. Die Außenkubatur der einzelnen Buchstaben sägten die Stuckateure dann im Feinschnittverfahren aus den normalen Ornamentplatten heraus. Nachdem die rauen Stucktafeln mit den aufgestupften Texten in diese Ornamentplatten eingearbeitet waren, arbeiteten die Spezialisten Buchstabe für Buchstabe mit Rigidur Nature Line-Kleber an. Die aufwendigste Arbeit erfolgte im Anschluss: „Bevor die filigranen Gipsplatten ihre glänzende Farbe erhielten, haben wir im Bereich der Stöße unzählige einzelne Buchstaben nachgeschnitzt, um überall einen möglichst fließenden Übergang zu schaffen.“ Dabei seien zahlreiche Wandbereiche nur schwer zugänglich gewesen. „Wir mussten in den unmöglichsten Positionen arbeiten, im Stehen oder Liegen, unter dem meterhohen Glasdach der Synagoge mit Geschirr gesichert und unter klimatisch widrigsten Bedingungen.“

Farbauftrag in Spritztechnik

Zum Schluss brachte das Atelier für Wandmalerei die Farbe per Spritztechnik auf die Wandoberflächen. Alexandre N. Osipov vom Frankfurter Atelier für Wandmalerei probierte zunächst an zahlreichen Mustern die ideale Spritztechnik aus. „Wir entschieden uns dann für das Hochdruckspritzen, trotz möglicher Probleme mit Spritznebel, weil anders kein schöner Glanz zustande gekommen wäre“, erläutert Alexandre N. Osipov. Der Designer und zwei seiner Mitarbeiter spritzten dann ganz dünn, drei bis vier Mal, je nach Glanzgrad und ließen die Farbe zwischendurch immer wieder trocknen. Auch machten sie immer wieder Pausen, damit nicht zuviel Spritznebel entstehen konnte.

Die gesamten Arbeiten an der Innenwand dauerten von März bis kurz vor der Eröffnung Anfang September 2010. Trotz oder vielleicht auch gerade wegen der vielen Herausforderungen und Unwägbarkeiten sind alle Beteiligten zufrieden mit den Arbeiten und begeistert vom Ergebnis. „Es war eine spannende Sache und eine echte Herausforderung im künstlerischen und handwerklichen Sinne, aber ich würde es sofort wieder machen“, sagt Martin Ranft rückblickend. Und auch Alexandre N. Osipov, der schon häufiger mit dem Stuckateur zusammenarbeitete, bestätigt: „Es hat alles sehr gut geklappt und die Arbeit hat mir viel Spaß gemacht.“

Dieser Ansicht war auch die Jury der Rigips Trophy ´2011 und kürte Martin Ranft aufgrund der teils schwierigen Ausbildung vieler Wand- und Dachschrägen sowie aufgrund der handwerklichen Präzision beim Aufbringen der für das Verarbeiterteam ungewohnten Ornamente zu einem würdigen Gewinner im Leistungsbereich Premiumsysteme: Eine Meisterleistung in der Ausführung, die zu einem meisterlichen Gesamtbau geführt hat.


Autoren

Martin Büsch ist Leiter Kommunikation und Marketing, Karin Melder Projektmanagerin für Messen, Events und Promotion bei der Saint-Gobain Rigips GmbH in Düsseldorf.

„Beim Aufbringen der Ornamentplatten auf die Wandflächen war ein immenses Maß an handwerklicher Präzision erforderlich“

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