Bauen mit Pilzen im Fokus des Karlsruher Instituts für Technologie

Baustoffe sind knapp. Selbst Holz ist davon betroffen. Am Karlsruher Institut für Technologie forscht man an kreativen Alternativen. Eine davon ist ein Baustoff, der aus den Wurzeln von Pilzen in allen möglichen Formen wächst. Bauphysikalische Eigenschaften wie Dichte und Festigkeit lassen sich dabei steuern.

Rohstoffe für die Herstellung von Baustoffen werden zusehends knapper. Selbst der nachwachsende Rohstoff Holz ist auf deutschen Baustellen nur unzureichend vorhanden. Dadurch steigen auch die Preise für Baumaterial. Erschwerend kommt hinzu, dass man sich hierzulande in der Baubranche auf wenige Werkstoffe konzentriert hat. Kein Wunder, dass die Baustoffforschung ihren Fokus darauf gelegt hat, innerhalb homogener Materialgruppen physikalische Eigenschaften in bestimmte Richtungen zu optimieren. Heute ist die Forschung längst auf dem Gebiet der Verbundwerkstoffe angekommen. Und kein Weg führt künftig mehr am Recycling, Urban Mining und an Cradle-to-Cradle-Ansätzen vorbei. Die an der Forschung, Planung und Ausführung neuer Bauformen und Baumaterialien Beteiligten sind dazu aufgerufen, kreative Alternativen zu klassischen Baustoffen zu finden.

Forschung in Karlsruhe, Zürich und Singapur

Schon seit einigen Jahren ist man am KIT (Karlsruher Institut für Technologie) auf dem Gebiet Nachhaltiges Bauen unter Leitung von Prof. Dirk E. Hebel auf der Suche nach solchen Alternativen, um das Zeitalter des Rohstoffabbaus hinter sich zu lassen. Ähnlich wie bei den nachwachsenden Baustoffen Holz, Schilf und Stroh will man auch dort Rohstoffe ernten, nur dass man diese gezielt züchtet: die Ressource der kultivierten Baumaterialien. Hierbei handelt es sich um Pilze, genauer gesagt das Myzelium, also Wurzelwerk des Pilzes.

Schon nach kurzer Zeit gucken die Fruchtkörper der Pilze aus den Flaschen heraus Schon nach kurzer Zeit gucken die Fruchtkörper der Pilze aus den Flaschen heraus
Fotos: Carlina Teteris

Schon nach kurzer Zeit gucken die Fruchtkörper der Pilze aus den Flaschen heraus
Fotos: Carlina Teteris
Während man mit dem Wort Pilz meist den Fruchtkörper meint, lebt der größte Teil des Pilzes unterirdisch. Dort bildete er aus zahllosen Fäden, den so genannten Hyphen, ein feines Geflecht, das Myzel. Das des Dunklen Hallimasch (Armillaria ostoyae) im Malheur National Forest in Oregon (USA) ist zum Beispiel 9 km2 groß (mehr als 1200 Fußballfelder). Damit ist der rund 2400 Jahre alte Pilz das größte Lebewesen der Welt. Das Myzelium bestimmter Pilzsorten, insbesondere der Austernpilze, allen voran aber das des Glänzenden Lackporlings (Ganoderma lucidum), kann organische Abfallstoffe wie Sägespäne oder Abfälle aus der Landwirtschaft in Baustoff verwandeln. Der Pilz ernährt sich dabei von der Cellulose, dem Hauptbestandteil pflanzlicher Zellwände, und wandelt sie in Chitin um. Das Myzelium verwebt dabei das Ausgangsmaterial zu einem druckfesten Baustoff – eine Art pflanzlicher Faserverbundwerkstoff. Bauphysikalische Eigenschaften wie Dichte und Festigkeit lassen sich bei diesem Prozess steuern und man kann den natürlichen Baustoff in allen möglichen Formen wachsen lassen.

Nun können die Sägespäne in die digital hergestellten perforierten Kunststoffformen für die Pilzbausteine gefüllt werden Nun können die Sägespäne in die digital hergestellten perforierten Kunststoffformen für die Pilzbausteine gefüllt werden
Foto: Carlina Teteris

Nun können die Sägespäne in die digital hergestellten perforierten Kunststoffformen für die Pilzbausteine gefüllt werden
Foto: Carlina Teteris
Hierzu werden Sägespäne mit Pilzsporen durchsetzt, in Flaschen gefüllt und angefeuchtet. Schon innerhalb weniger Tage wächst in den Flaschen eine schwammähnliche Substanz heran. Diese lässt sich gut in digital hergestellte perforierte Kunststoffformen füllen, in denen sich das Material über einige Tage weiter verdichtet und abschließend getrocknet wird, um den Pilz abzutöten. Heraus kommt dabei ein gut isolierender, leichter Baustein, der nach seiner Nutzungsdauer wieder vollständig kompostiert werden kann. Der Werkstoff würde so einen geschlossenen Materialkreislauf ermöglichen. Darüber hinaus kann man das Material überall lokal anbauen, wodurch lange Transportwege entfallen. 

MycoTree – praktische Anwendung der Forschung

Soweit so gut. Aber kann man mit den Pilzen wirklich bauen? Mit dem so genannten MycoTree wurde dies vor rund vier Jahren unter Beweis gestellt: eine verzweigte Tragstruktur die – wie der Name schon vermuten lässt – an einen Baum erinnert. Der MycoTree ist das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen dem KIT und der Block Research Group der ETH Zürich (Eidgenössische Technische Hochschule. Hergestellt wurden die Pilzsteine in Singapur und Bandung in Indonesien und anschließend nach Soul geschickt. Dort wurden sie im Rahmen der Ausstellung „Beyond Mining – Urban Growth“ auf der Seoul Biennale of Architecture and Urbanism 2017 in Korea montiert.

Der MycoTree ist ein Beispiel für die praktische Anwendung des Bauens mit Pilzen: ein leichtes, wie ein Baum verzweigtes Tragwerk aus Pilz-Myzelium-Baublöcken Der MycoTree ist ein Beispiel für die praktische Anwendung des Bauens mit Pilzen: ein leichtes, wie ein Baum verzweigtes Tragwerk aus Pilz-Myzelium-Baublöcken
Foto: Carlina Teteris

Der MycoTree ist ein Beispiel für die praktische Anwendung des Bauens mit Pilzen: ein leichtes, wie ein Baum verzweigtes Tragwerk aus Pilz-Myzelium-Baublöcken
Foto: Carlina Teteris
Der MycoTree wird aus den direkt in Form gewachsenen Pilz-Myzelium-Baublöcken über Bambus-Steckverbindungen montiert. Dieses Tragwerk ist trotz des relativ weichen Baumaterials aus Pilzgeflecht erstaunlich stabil. Um die statischen Eigenschaften, die Druck- und Zugbelastbarkeit, des eher schwachen Materials zu optimieren, wählte man für den MycoTree eine Polyederform, die dem Kraftverlauf folgt und lediglich Druckkräfte auftreten lässt. Mithilfe moderner Software entwarfen die Wissenschaftler am KIT und der ETH Zürich eine dreidimensionale grafische Statik. Diese ermöglichte es, aus dem Myzelium und Bambus tragfähige Leichtbauelemente herzustellen. Aufgespannt wird das Tragwerk von einem Gitterrostgeflecht aus Bambus oberhalb der Pilzbausteine, das durch sein Gewicht die Struktur stabilisiert.  

Vielfältige Anwendungen

In Rumänien gab es über Jahrhunderte hinweg ein heute so gut wie ausgestorbenes Handwerk, das aus Zunderschwamm, einem Baumpilz, pflanzliches Leder fertigte (zum Beispiel Zvander). Eine Anwendung des modernen Pilzmaterials ist heute ebenfalls wieder ein pflanzlicher Lederersatz (zum Beispiel Mylea von Mycotech) für Schuhe und Taschen. Vor allem findet der Werkstoff auf Pilzbasis aber als Verpackungsmaterial Anwendung. So ersetzt der Computer-Hersteller Dell beispielsweise bereits seit längerem seine Styroporecken der PC-Verpackungen durch Produkte aus dem leichten Pilzmaterial. Weitere Unternehmen folgen diesem Beispiel und verpacken ihre Produkte in recyclebarem Verpackungsmaterial. Nach dem Auspacken der Ware kann das Verpackungsmaterial ganz einfach kompostiert oder in die Biotonne gegeben werden. Am Bau gibt es erste Anwendungen als Dämmstoff in Form von Plattenmaterial. Bei Osaka Living & Design werden Möbel aus Pilzplatten hergestellt und im Projekt Batam Housing in Indonesien wurde das Material als Wandverkleidung verbaut. Gleichwohl sind die Pilzsteine ein hervorragendes Leichtbaumaterial, das bei entsprechend ausgebildeter Statik auch einiges tragen kann. Ihr Potential muss nur noch entdeckt werden. 

Rück- und Ausblick

In der vorigen Ausgabe der bauhandwerk 7-8.2021 haben wir uns an dieser Stelle in der Titelstory Baustoff mit dem kreativen Recycling von Ziegelschutt, Glas und einem sortenrein rückbaubaren WDVS beschäftigt: handgeformte Ziegelsteinen werden durch Langlöcher auf Stangen zu einer mörtellosen Wand aufgefädelt, Glasscherben zu Scheiben gesintert, deren unregelmäßige Struktur im Innenausbau vor allem mit einer Hinterleuchtung zur Geltung kommt.

In der kommenden Ausgabe der bauhandwerk 10.2021 wird es an dieser Stelle in der Titelstory Baustoff um den 3D-Druck gehen. Dass man mit Kunststoffen dreidimensional drucken kann, ist hinlänglich bekannt. Am Bau spielt vor allem der 3D-Druck mit Beton eine zunehmend wichtige Rolle. Gebäude und Bauteile lassen sich aber auch aus Lehm und Holz drucken. Wir geben einen Überblick über die Voraussetzungen und Verfahren.

 

Autor

Dipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.

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