Wilhelmspalais wird zum Stadtmuseum Stuttgart

Das historische Stuttgarter Wilhelmspalais hatte der Krieg fast vollständig zerstört. Nach dem Krieg hatte man den Neubau für die Stadtbibliothek hinter der noch erhaltenen Fassade eingefügt. Nun hat das Büro Lederer Ragnasdóttir Oei Architekten die historischen Mauern mit dem Stadtmuseum Stuttgart gefüllt.

Im Grunde gab es in diesem Projekt zwei Denkmäler, auf die reagiert werden musste: zum einen, die zu erhaltene Fassade des Stadtpalais von 1834 (das bis vor kurzem noch Wilhelmspalais hieß) und zum anderen der in diese Fassade bereits 1961 eingestellte Bau der Stadtbücherei. Bereits in dem 2010 entschiedenen Wettbewerb wurde klar, dass dieser innere Bau einem Neubau weichen würde, denn die Grundrissorganisation der Stadtbücherei war nicht für die neue Nutzung als Stadtmuseum geeignet. Ein weiteres Anliegen des Architekturbüros Lederer Ragnasdóttir Oei (LRO) war die Orientierung des Gebäudes zur Stadt. Der Beitrag des Büros hätte daher theoretisch bereits an dieser Stelle ausscheiden können, denn im Wettbewerbsverfahren war dies nicht vorgegeben. „Um unseren Entwurf zu verstehen, muss man die Bau- und Stadtbaugeschichte am Standort kennen“, erklärt Klaus Hildenbrand, Projekt- und Teamleiter im Büro LRO. „Für uns war wichtig, die historische Achse, die für den ursprünglichen Entwurf elementar war, wieder aufzugreifen. Daher haben wir das Gebäude mit seiner Erschließung und Öffnung zur Stadt wieder umgedreht.“ Früher hatte eine große Allee von der Stadt auf das Stadtpalais zugeführt. Deren Funktion wurde nach dem Krieg, durch den Bau der Stadtautobahn konterkariert. In Konsequenz dieser städtebaulichen Planung war der Eingang der Stadtbücherei in den 1960er Jahren auf die hintere Seite des Gebäudes verlegt worden. LRO wollten die Idee des Architekten Giovanni Salucci, der im 19. Jahrhundert den Bau im palladianischen Stil für Kaiser Wilhelm I. errichtet hatte, wieder aufgreifen. Das Gebäude war ursprünglich für die beiden Kronprinzessinnen mit einem stark symmetrischen Grundriss und einem großen, offenen Foyer geplant worden. Nach dem Krieg hatte man in die offene Mitte des Gebäudes die Treppenanlage der Bibliothek eingestellt. Heute betritt der Besucher wieder einen freien, offen Raum im Sinne Saluccis.

 

Schnittstelle Fassade

Beim heutigen Stadtmuseum handelt sich also um einen Neubau im Altbau. Für einige Gewerke, wie für die Firma Ries Akustik Innenausbau GmbH beispielsweise, die die vielflächigen, individuellen und hochwertigen Holzbauelemente gefertigt hat, war das Gebäude in Bezug auf die Ausführungsarbeiten ein reines Neubauprojekt. Der große Aufwand entstand bei der Planung der Schnittstellen zum Beispiel für diese Außenwand-Verkleidungen. Problematisch war also der Übergang zwischen den historischen, entsprechend ungeraden Natursteinmauern und der Präzision des Neubaus. „Der Anschluss an den nicht geraden, nicht rechtwinkligen Altbau brachte insbesondere im Hinblick auf die Vorfertigung der Holzelemente einen erheblichen Planungsaufwand mit sich“, bestätigt Hildenbrand. „Aber auch die ungleichen Fensterabstände waren eine Herausforderung. Die Fassade mit ihren Öffnungen hat die Vorgaben gemacht, an die wir uns anpassen mussten, bis hin zum Deckenraster für die Leuchten.“

Zudem sitzt ein Teil der Gebäudetechnik in dieser Schnittstelle zwischen Alt- und Neubau, denn eine weitere Herausforderung waren die Geschosshöhen, die einerseits ebenfalls durch die Fensteröffnungen, andererseits durch die zukünftige Nutzung vorgegeben waren. In der neuen Geschossdecke war dementsprechend wenig Aufbauhöhe, um Leitungen und Rohre aufzunehmen. In den möglichst schlanken Decken liegen nun neben der Betonkernaktivierung, relativ dünne Lüftungsrohre, die die Zuluft der Hauptlüftung auf dem Dach an die Fassadenebene bringen. Durch zusätzliche Lüftungsgeräte unter den Fenstern können nämlich die Temperaturen in den einzelnen Räumen nachjustiert werden. Die Abluft wird allerdings nicht über die Fassade abgeführt, sondern direkt über die Abluftkanäle in den vier Kernen.

Die innenseitige Verkleidung der Außenwände mit vorgefertigten Holzelementen sitzt etwa einen halben Meter vor der historischen Wand, wodurch an den Fenstern in den 80 bis 200 cm dicken Mauern innenseitig sehr große Laibungstiefen entstehen. Die Holzverkleidung sitzt hier wie ein Kasten inklusive Klappläden, Sonnenschutz und Lüftungsöffnungen in den Laibungen.

Wie aber ist der Neubau konkret an der alten Fassade befestigt worden? „Die Frage muss eigentlich lauten, wie ist die Fassade an dem Neubau befestigt worden“, so Andreas Rümmelin, der seinerzeit das Projekt bei der ausführenden Firma Wolfer Goebel Bau GmbH betreut hat. „Es durften keine Kräfte in die historische Fassade eingebracht werden. Im Gegenteil, der Neubau hält die Fassade sozusagen fest. Daher war auch unsere erste Aufgabe in dem Projekt, die Fassade zu sichern.“ Ursprünglich sollten hierfür riesige Last-türme errichtet werden. Die Baufirma machte einen Gegenvorschlag mit einem in sich selbst verspannten Stahlskelettgerüst, das für die gesamte Logistik die einzig praktikable Lösung darstellte. Nachdem bis auf die gesicherte denkmalgeschützte Fassade das alte Bibliotheksgebäude im Inneren abgebrochen wurde, musste zunächst in einem Teilbereich im leeren Kern des Gebäudes der Verbau für ein zusätzliches Technikgeschoss erstellt werden. Dann konnte mit dem eigentlichen Neubau begonnen werden. „Hierfür wurde zunächst das historische Mauerwerk energetisch nach den Anforderungen der EnEV und anschließend jedes Anschlussdetail gemäß der brandschutztechnischen Vorgaben ertüchtigt“, so Oberbauleiter Rümmelin. „Das brachte für uns veränderte Bauabläufe und viele Überschneidungen mit anderen Gewerken mit sich. Zum Beispiel mussten noch vor den Rohbauarbeiten Putz- und Foamglas-Dämmarbeiten an der Innenseite der denkmalgeschützten Fassade ausgeführt werden, um die neuen Decken und Wände nach den Vorgaben des Brandschutzes an den Bestand anbetonieren zu können.“ Anschließend wurden unter den Decken T-Winkel mit langem Fuß an die Decken gedübelt und mit bis zu 1 m langen Edelstahlgewindestangen in der Fassade verankert.

 

Die Fassadensanierung

Diese Verbindungs-Dollen haben einen Durchmesser von 10 mm und übertragen ausschließlich horizontale Lasten in beide Richtungen. Der Abstand des neuen Rohbaus zur Bestandswand wurde möglichst gering gewählt, um der Knickproblematik der Dollen bei Druckbelastung gerecht zu werden und den Dollen-Querschnitt gering zu halten. Bauphysikalisch sind diese Anschlussbereiche mit relativ geringen Dämmdicken von hier 6 cm (gegenüber sonst 12 cm) unpro-blematisch. Hingegen stellen die Dollen selbst Wärmebrücken dar (daher die Materialwahl Edelstahl), weshalb der kleinstmögliche Querschnitt gewählt wurde. Geringe Tauwasserbildungen an den Gewinde-stäben können dank einer Hinterlüftung der Innenfassade abgetrocknet werden.

Die Außenwände des Bestands waren durchgehend mit behauenen Sandsteinen ohne Füllmauerwerk gemauert. Das Gebäude war im Krieg völlig ausgebrannt und hatte für die nächsten 20 Jahre, also von Mitte der 1940er bis Mitte der 1960er Jahre, nur provisorisch gesichert, als Ruine leergestanden und war somit entsprechend durchnässt worden. „Die Fassade, die wir vorgefunden haben, war in einem sehr guten Zustand. Wir hatten es hier mit einer extrem guten Bausubstanz zu tun und die Ergänzungen der 1960er Jahre waren sehr sauber ausgeführt worden“, so Hildenbrand. Der Sandstein wurde nicht sandgestrahlt, sondern lediglich durch Abwaschen mit warmem Wasser gereinigt.  „Wir mussten im Prinzip nur eine Briefmarkensanierung durchführen, also wirklich nur dort sanieren, wo auch Schäden waren“, sagt Klaus Hildenbrand. Das Büro strebewerk. Architekten GmbH aus Stuttgart hatte im Projekt die Schadenserfassung und Kartierung der Natursteinfassaden übernommen und bestätigt die vorsichtige Herangehensweise, bei der versucht wurde, möglichst wenig in die historische Bausubstanz einzugreifen. „In erster Linie wurde versucht, den Zustand durch Fugenerneuerungen, Mörtelergänzungen, Festigungen und Hohlrauminjektionen zu konservieren“, so Fassadengutachter Till Läpple. „Nur bei starken Schäden mussten Teilerneuerungen durchgeführt werden. Im Bestand gab es vor allem im Sockelbereich einige Steinerneuerungen auf Grund älterer Hydrophobierungsschäden. Außerdem musste der Sockel bedingt durch die Absenkung zum Teil ganz neu ergänzt werden.“

Während die Natursteine aus der Erbauungszeit nach dem Krieg sehr gut ergänzt worden waren, war die Putzfläche nicht mehr original, sondern stammte aus den 1960er sowie einer weiteren Sanierung in den 1980er Jahren. Der Putz wurde nicht komplett erneuert, sondern nur ergänzt. „Wir wollten dem Gebäude keine Zuckergussfassade überstülpen, sondern die Geschichte lesbar machen und sichtbar belassen“, so Architekt Hildenbrand.

 

Brückenverstärkung mit 310 Baumstämmen

Eine gute Lösung brauchten Architekten und Ausführende außerdem im Hinblick auf die Baustellenlogistik: Um die Materialmassen des Abbruchs aus dem Gebäude heraus und die neuen Baumaterialien wieder hereinzubekommen, entschloss man sich nach langer Diskussion, eine der historischen Säulen im Erdgeschoss für die Bauphase wegzunehmen. Dabei stellte sich heraus, dass diese Idee offensichtlich bereits bei der Sanierung in den 1960er Jahren genauso umgesetzt worden war!

Zudem wurde eine Brücke vor dem Gebäude, die ebenfalls unter Denkmalschutz steht, unter anderem mit 310 Baumstämmen mit einer Länge von 2,5 m und einer Tragkraft von je über 90 kN, verstärkt.

 

Autorin

Dipl.-Ing. Nina Greve studierte Architektur in Braunschweig und Kassel. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Lübeck (www.abteilung12.de) und ist unter anderem für die Zeitschriften DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau tätig.

Baubeteiligte (Auswahl)

Bauherr Landeshauptstadt Stuttgart,

www.stuttgart.de

Architektur Lederer Ragnasdóttir Oei Architekten (LRO), Stuttgart, www.archlro.de

Statik Ingenieurbüro Knippers Helbig, Stuttgart, www.knippershelbig.com

Rohbau und Fassadensicherung Wolfer & Goebel Bau GmbH, Stuttgart, www.wolfer-goebel.de

Innenausbauarbeiten Ries Akustik Innenausbau, Alerheim, http://riesakustik.de

Trockenbauarbeiten Rossaro Baugruppe, Aalen, www.rossaro.de

Restaurator für Naturstein strebewerk. Architekten, Stuttgart, www.strebewerk.de

Natursteinsanierung Steinmetz und

Restaurierungen Markus Heller, Stuttgart,

www.steinmetz-heller.de

Herstellerindex (Auswahl)

Wärmedämmung Deutsche Foamglas, Hilden,

https://de.foamglas.com

Universalmörtel Saint-Gobain Weber, Düsseldorf, www.de.weber

Weitere Informationen zu den Unternehmen
x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 11/2018

Ist Denkmalpflege von der Gesellschaft überhaupt noch gewünscht?

Thomas Wieckhorst, Chefredakteur der bauhandwerk, im Hotel Nassau in Breda (ab Seite 24) Foto: Gonni Engel Kontakt: 05241/801040, thomas.wieckhorst@bauverlag.de

im Umgang mit Baudenkmalen steht hierzulande der Substanzerhalt im Vordergrund. Von so manchem Denkmal-Eigentümer wird dies als Last und Kostentreiber empfunden. Dies führt bei der Denkmalpflege zu...

mehr
Ausgabe 3/2021

Reprofilierung einer historischen Fassade in Bremen

Die Historisches Fassade um 1880  Foto: Bildfund

Vielerorts fielen historische Schmuckelemente an Fassaden den puristischen 1960er Jahren zum Opfer. Zurück blieben „moderne“ Fassaden, glatt, ungegliedert und ihrer Ästhetik beraubt. Das war in...

mehr
Ausgabe 7-8/2022

Fassadensanierung und Dämmputz im Olympischen Dorf Elstal bei Berlin

Das zwischen 1934 und 1936 in Betonskelett-Bauweise errichtete Ensemble mit großflächiger Glasfassade ist bis heute ein Bauwerk von Weltrang und stellt ein wertvolles Zeugnis der Bauhaus-Architektur...

mehr
Ausgabe 06/2022

Energetische Fassadensanierung an den Gebäuden der Dombibliothek in Freising mit „Aeroputz“ von Proceram

Die Geschichte des Dombergs geht bis auf das 8. Jahrhundert zurück. Der dortige Mariendom war über tausend Jahre die Kathedrale des früheren Bistums Freising. Im Jahr 2014 wurde im Erzbistum...

mehr
Ausgabe 3/2014

Dekorative Malerei Sanierung und Restaurierung des Breslauer Hauphtbahnhofs

Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt der königliche Architekt Wilhelm Grapow den Auftrag, einen neuen Bahnhof für Breslau zu bauen. Von 1855 bis 1857 entstand das 180 m lange schlossähnliche...

mehr