Energie-Monster
IBA Hamburg: Wilhelmsburger Flakbunker wird Energiespeicher

In Hamburg Wilhelmsburg verwandelten Ingenieure und Handwerker für rund 26,7 Millionen Euro einen einsturzgefährdeten Flakbunker in ein Öko-Kraftwerk, das mehrere tausend Haushalte mit Wärme und Strom versorgen wird. Die Bauarbeiten waren abenteuerlich: Wie bringt man 40 000 Tonnen Schutt aus einem fensterlosen Quader, von dem es keine Baupläne gibt?

Der Flakbunker in Hamburg Wilhelmsburg: ein schwarzer, fensterloser Quader, 42 m hoch und 57 x
57 m breit. Einer von acht Flakbunkern, die Hitler nach 1940 errichten ließ. Bis zu 30 000 Menschen fanden hier Schutz vor den Luftangriffen der Alliierten. Gleichzeitig gehörte der Bunker zur deutschen Kriegsmaschinerie: Auf den vier Flaktürmen befanden sich Gefechtsstände. Nach dem Krieg sprengte die britische Armee 1947 den Innenraum. Sechs der acht Etagen stürzten ein – nur die Außenhülle mit ihren bis zu 3 m dicken Wänden und 4 m dicken Decken, die oberen beiden Etagen und die Flaktürme hielten stand. Seitdem war der Koloss einsturzgefährdet und bis auf wenige Nebenflächen ungenutzt. Mehr als 60 Jahre ragte er als Mahnmal zwischen den Wohnhäusern des Stadtteils hervor.

Metamorphose zum Energie-Bunker

Erst 2009 erwachte der Bunker als Projekt der Internationalen Bauausstellung (IBA) zu neuem Leben. Die HHS Planer + Architekten AG aus Kassel baute ihn zum „Energiebunker“ um, den man seit März dieses Jahres auch besichtigen kann: Ein Nahwärmekraftwerk und ein Pufferspeicher im Inneren für bis zu zwei Millionen Liter Wasser sollen ab 2015 rund 3000 Wohnungen im nahegelegenen Reiherstiegviertel mit Wärme versorgen. Die nötige Energie steuern ein Holzhackschnitzel-Kessel, ein Biomasse-Blockheizkraftwerk und eine auf dem Dach montierte Solarthermieanlage bei, der Rest kommt als Abwärme aus benachbarten Industriebetrieben. Zusätzlich deckt eine Photovoltaikanlage an der Südfassade den Strombedarf von 1000 Haushalten.

Um Platz für das Öko-Kraftwerk zu schaffen, wurde das Gebäude entkernt. Der neu geschaffene Luftraum reicht über acht Geschosse: Von einer Plattform in 10 m Höhe schauen Besucher auf den gigantischen Pufferspeicher. In einem der Geschütztürme auf dem Dach entstand ein Café: Die 3 m dicken Betonwände wurden zum Teil gesprengt, um eine Glasfassade einzuziehen. Die umlaufende, 5 m weit auskragende Terrasse eröffnet spektakuläre Blicke über den Hamburger Hafen. Eine Freiluftausstellung informiert über die Geschichte des Bunkers und seine Transformation.

Wege durchs Schuttlabyrinth

Vor dem Umbau war der Bunker mit schwarzer Tarnfarbe gestrichen und von Moos und Kletterpflanzen überwuchert. Risse, die die Sprengung hinterlassen hatte, zogen sich durch die Fassade, Bewehrungseisen standen heraus. Im dunklen, nur provisorisch mit Strahlern ausgeleuchteten Innenraum stießen die Ingenieure auf tonnenweise Betontrümmer, Stahldrahtgewirr und Geröll. Da keine Baupläne existierten, musste der Bunker zunächst mühsam erkundet und vermessen werden. „Wir haben uns mit Taschenlampen einen Weg durch das Schuttlabyrinth gebahnt“, erinnert sich Projektleiter Guido Höfert von HHS Planer + Architekten. Von den sechs Betonpfeilern, die ursprünglich das Bunkerdach stützten, hingen nur noch 2 mal 2 m große und 7 m lange Stümpfe in 25 m Höhe von der Decke, die über Unterzüge verbunden waren. Die beiden Zwischendecken unterhalb des Bunkerdachs waren unbeschädigt und hielten sich nur noch mühsam an der Bewehrung der hängenden Stützen.

Damit die Arbeiter nicht befürchten mussten, dass der Beton über ihnen zusammenbricht, wurden Stümpfe und Zwischendecken an 16 Zugstangen aus Stahl von der 3,7 m dicken Bunkerdecke abgehängt. Die Notsicherung führte die Ingenieurgesellschaft für Experimentelle Statik (IGES) des Bremer Professors Marc Gutermann durch. Zunächst bohrte das IGES-Team Löcher in die Zwischendecken und ließ durch die Bunkerdecke pro Stütze je zwei beziehungsweise vier Zugstangen (Ø 30 mm) ein. Die Zugstangen wurden über Stahl-Traversen verbunden, die die Unterzüge halten und damit die anormale Zugbelastung der Stützen durch Vorspannen verringern. Als Stützen und Decken gesichert waren, befreiten Baukletterer die Zwischendecken vollständig vom Schutt.

Zwei Meter dicke Betonwände

Insgesamt fielen rund 40 000 Tonnen Schutt an. Um ihn herauszuschaffen, stemmte die Abbruchfirma Ehlert & Söhne einen 7 m breiten und 15 m hohen Zugang in die Seitenwand. Ein 65-Tonnen-Kettenbagger meißelte mit einem Hydraulikhammer die 2 m dicken Betonwände auf. Dann wurde der Sturz mit drei hintereinander liegenden HEM 600-Trägern gesichert.

Über eine 8,5 m hohe, aufgeschüttete Rampe aus Sand und Recyclingmaterial gelangten Lastwagen, Baufahrzeuge und schweres Gerät ins Gebäude. Die Betonbrocken wurden mit dem Hydraulikmeißel zer-kleinert, Beton und Bewehrung getrennt, mit Schaufelbaggern nach draußen gebracht, auf LKWs verladen und abtransportiert. Als die Fläche frei war, erneuerten die Betonbauer die zerstörten Pfeiler. Mit einer Kletterschalung betonierten sie bis knapp unter die Betonstümpfe. Dann kniffen sie die rostige Bewehrung der Stümpfe mit Betonscheren ab, bohrten neue Eisen ein, verklebten sie und verbanden sie über Bewehrungsstoßmuffen mit der Armierung der neu hochgezogenen Pfeiler. Anschließend gossen sie den freistehenden Spalt mit Quellmörtel aus, um beide Teile kraftschlüssig zu verbinden.

Zum Zerschneiden der 2 m dicken Stahlbetonwände in den Obergeschossen zogen die Handwerker bis zu 14 m lange, diamantbestückte Seile durch den Beton. Eine angenehm leise Methode, bei der eine Hydraulik die wassergekühlten Seile nachspannt. Zuvor wurden sie mit Hilfe kleinerer Kernbohrungen an den Ecken eingefädelt. Auch bei der 1,8 m x 1,8 m großen Schornsteinöffnung im Bunkerdach kamen Seilsägen zum Einsatz. Das 30 Tonnen schwere Betonbauteil wurde in zwölf Teile à 2,5 Tonnen zersägt und die Einzelteile per Autokran entlang der Außenfassade nach unten gebracht.

Betonieren in 30 m Höhe

Wegen der vielen Risse wurde die Außenfassade mit Spritzbeton saniert. Zum Betonieren verwendete die Firma Spesa Spezialbau und Sanierung einen wasserundurchlässigen, frostbeständigen Spritzbeton mittlerer Güte, den zwei Spritzkolonnen à fünf Mann im Trockenspritzverfahren mit 8 bis 10 Bar aufspritzten und mit Igelbrettern verrieben.

Die Handwerker rüsteten die Fassaden einzeln ein und betonierten in Abschnitten von 2 mal 2 m. Am schwierigsten gestaltete sich das Einrüsten der 5 m weit ausladenden Kragplatte. Da ein stehendes Gerüst zu teuer gewesen wäre, hängte man die Gerüste an der Kragplatte ab. Hierzu wurden je vier Gerüstlagen am Boden aneinander montiert, mit einem Autokran auf die Kragplatte gehoben und in Stahl-Gitterträger eingehängt, die mit Gewichten am Bunkerdach verdübelt wurden.

Denkmalfenster an der Fassade

Den Architekten war es wichtig, das ursprüngliche Bild des Bunkers zu erhalten. Solarthermie- und Photovoltaikanlage wurden auf einer Stahlunterkonstruktion montiert, die sich im Abstand von 5 m winkelförmig über Dach und Südfassade legt. Sie umhüllt den Bunker, verdeckt ihn aber nicht. Fünf bis zu 20 m2 große „Denkmalfenster“ zeigen die Originalbausubstanz und erinnern an die ehemalige Betonfassade. Die Verwandlung des Bunkers bleibt von außen sichtbar: Aus einem hässlichen Betonklotz ist ein Symbol für den Aufbruch in ein neues Energiezeitalter geworden.

Die Mitarbeiter der Abbruchfirma Ehlert & Söhne holten rund 40 000 Tonnen Schutt aus dem Bunker heraus

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