Fachwerk trifft Farbkunst
Expressive Farbgestaltung in einem restaurierten Fachwerkhaus in Karlstadt

Das aufwendig instand gesetzte Stapel- und Handelshaus in Karlstadt ist außen in graue Kalkkaseinfarbe mit Ockerabsetzungen gehüllt. Im Inneren allerdings, entfaltet sich im neuen Treppenhaus ein expressionistischer Farbverlauf in Blau, Rot und Gelb, der gelegentlich auch als „Farbrausch“ bezeichnet wird.

Maßstäbliche Pläne

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Das Karlstädter Stapel- und Handelshaus in der Maingasse 6 wurde vom Architekten und Bauherrn Alfred Wiener im Jahr 2014 aufwendig instand gesetzt. Datiert ist das denkmalgeschützte Bauwerk auf das Jahr 1576. Die Instandsetzung orientiert sich am Zustand von 1785. Dadurch fügt es sich harmonisch in den historischen Kontext der Maingasse ein. Im Inneren des Bauwerks  soll die Ausmalung im Treppenhaus in Korrespondenz mit dem historischen Gebäudekontext, die Vergänglichkeit symbolisieren. Vom tiefen Blau des Meeres, aus dem das Leben entspringt, über lebendig pulsierendes Rot, zu hellem, die Klarheit und das Licht symbolisierendem Gelb gestalte Künstlerduo Thomas Lange & Hirano Mutsuo das begehbare, dreidimensionale „Bild“.

Kunst am Bau wird meist als Applikation realisiert. „Kunst Bauen“, verstanden als Interaktion von Bildender Kunst & Baukunst, ist für die Künstler und den Bauherrn ein interessantes Spannungsfeld, aus dem eine kreative Lösung der Bauaufgabe resultiert – den Einbau eines neuen Treppenhauses an einer Stelle des Hauses, an dem es nie eines gab.

Im Sinne des Denkmalschutzes sollte keine fiktive Rekonstruktion erfolgen, sondern eine deutliche Unterscheidung der historischen und neuen Substanz, die aufeinander Bezug nehmen. Die Künstler integrieren das neue Bauteil, indem sie das Wesen der Umgebung modern und in die Zukunft gerichtet interpretieren. Der notwendige Einschnitt ermöglicht einen barrierefreien Seiteneingang in das Haus und die Erschließung der beiden Geschosse. Thomas Lange gestaltete die aufsteigenden Farbverläufe aus inein-
ander und übereinander laufenden Farbschichten, die er – in Anlehnung an den historischen Kontext – vorwiegend aus Kalkkaseinfarben herstellte, ergänzt von Acryl- und Ölfarben. Das  Kunstwerk wird also im Laufe der Zeit Patina ansetzten. „Und das soll auch so sein“, sagt Architekt Alfred Wiener.

Die „Leinwand“ für die Malereien sind geschalte Sichtbetonbauteile und das Geländer der Treppe, besteht aus Holzplatten, die wie eine Abfolge einzelner Bilder aneinander gereiht sind. Die Konstruktion wirkt leicht, mit rund 30 cm Abstand zum historischen Mauerwerk. Durchblicke verändern die Anmutung des Kunstwerks im Lichtverlauf des Tages. „Man schaut sozusagen durch den Spalt über das Rot des Geländers auf historische Wände, mit in der Gothik angepicktem Fachwerk und auf zeitgenössische Bauteile“, kommentiert der Bauherr. Die Belichtung erfolgt durch ein Dachfenster und ein Lichtkonzept, das bestimmte Stellen im Treppenverlauf  betont. Damit der Künstler bei der Ausgestaltung frei arbeiten konnte, wurden alle historischen Bauteile aufwendig abgeklebt. Dr. Martin Brandl von der Bayerischen Denkmalpflege sprach von einer „interessanten, mutigen Beigabe“. Die wird, wie bei  zeitgenössischer Kunst oft üblich, nicht von jedem Betrachter sofort verstanden. Vielen erscheint die Malerei einfach schrill und bunt. „Wer moderne Kunst verstehen will, muss
erst einmal schauen, schauen, schauen“, sagt Thomas Lange.  Dazu regt der Bauherr mit Führungen an, auf denen Empfindungen und Inspirationen diskutiert werden.

Der Bauprozess

Der heutige, schmucke Zustand des Hauses mit Cafe, und zwei Gästeappartements erforderte allerdings einen umfangreichen Instandsetzungs- und Restaurierungsprozess, in dem der denkmalpflegerisch etablierte Architekt in Kooperation mit Handwerkern und Restauratoren und der Denkmalpflege des Bayerischen Landesamtes sämtliche Register ziehen musste. Der Architekt kannte das Haus von außen schon lange, er wohnt nur wenige Meter davon entfernt. Kaufen wollte es seine Frau. Sein Architekturbüro firmiert schon Jahrzehnte im fränkischen Karlstadt, wo er bereits viele Bauten instand gesetzt hat, wie beispielsweise das Gasthaus Rose aus dem Jahre 1425/1450  und die mittelalterliche Mildenburg. Bei dieser Gelegenheit lernte er auch die Künstler Lange & Mutsuo näher kennen.

Als sich Alfred Wiener das Bauwerk genauer ansah, staunte er nicht schlecht: „An dem rund 450 Jahre alten Handelshaus war alles anders als bei anderen Denkmälern“, erzählt er.  Ein Treppenhaus fehlte dem Haus ganz, weil dieser Teil des Gebäudes zugunsten des Verkaufs eines Grundstückteils mit Mainblick kurzerhand abgerissen wurde. Wasserschäden hatten die Decken über die Jahre bauchig werden lassen; lange schon bewohnte es niemand mehr. Der dendrochronologischen Untersuchung zufolge führten Natureinflüsse wie Hochwasser zu Beschädigungen, so dass es mehrfach wieder aufgebaut wurde. Dafür sprechen die im Gebäude vorgefundenen Materialien aus verschiedenen Epochen, von denen die ältesten,  wieder verwendete Dachbalken, auf das Jahr 1309 datiert sind.

Erstmal anheben

Das von Alfred Wiener in Abstimmung mit der Denkmalpflege und im Schulterschluss mit dem Restaurator Josef Geißler entwickelte Restaurationskonzept definiert die Herstellung der äußeren Anschauung und Inneren Instandsetzung auf das Jahr 1785. Der Bauprozess begann nach ersten Zimmermannsreparaturen zunächst mit der Hebung der Bauteile, die nach einem, von Wiener erstellten, differenzierten Hebungsplan erfolgte. „Eine gute, das bedeutet strategische Planung ist das A und O des Erfolgs einer Hebung“, sagt der Architekt. „Wenn ich an einer Stelle etwas bewege, muss ich die Zusammenhänge im Blick haben.“  Das Hebungsziel waren an der tiefsten Stelle mehr als 40 cm. Innerhalb eines Tages wurde das Hebeziel erreicht. In den folgenden zwei Wochen,  erfolgte nur noch die Feinjustierung. Weil das Fundament des Hauses gut erhalten war, wurde die Bodenstabilisierung mit einer Stahlbetonplatte erst danach abgeschlossen. Dann liefen viele Bauprozesse parallel: Das historische Dachgebälk, mit teilweise aus der Gotik stammenden Verarbeitungsspuren, wurde erhalten und mit Holzplatten stabilisiert, die den Zug aufnehmen. Die Innenwände wurden untersucht und freigelegt – dabei entdeckten die Experten unter anderem den eigentlichen Torbogen, der früher den Haupteingang bildete, mit einem Handelszeichen und der eingemeißelten Jahreszahl 1576. Er wurde wieder an seine ursprüngliche Position versetzt. Teilweise wurden Befunde an den Wänden belassen oder Spolien, wie eine blaue Schablonenmalerei, vorgefundene Kastenfenster, Türgebinde und Quadermalereien restauriert und teilweise an andere Stellen versetzt.

Auch die Innenwände wurden mit Kalkkaseinfarbe gestrichen und traditionell, über die Bauteile hinausgehend farblich abgefasst. Das Entree des modern eingerichteten Cafes ziert Quadermalerei. Die Kastenfenster wurden erhalten, repariert, ergänzt oder nachgebildet, mit einfachem Fensterglas ausgefacht. Dass Alfred Wiener das Haus auch außen in Kalkkaseinfarbe hüllt, verantwortet er als Bauherr. Schon deshalb, weil das Erscheinungsbild interessant und lebendig wirkt. „Diese Farbtiefe wird“, wie er sagt, „mit keiner anderen Farbtechnik erreicht“. Anderen Bauherren und Architekten empfiehlt er, diesen Außenanstrich ruhig zu wagen, wenn es dem Bauwerk  entspricht.  Allerdings weist er darauf hin, „dass wegen der Gewährleistung der Bauherr immer mit ins Boot geholt werden muss. Oft sei es auch gut, wenn man den Amtsrestaurator beratend hinzuzieht. Das Ergebnis lohnt bei vielen Gebäuden auf jeden Fall“, betont Alfred Wiener.

Autorin

Elke Kuehnle studierte Organisations- und Umweltpsychologie und schreibt als freie Autorin unter anderem für die bauhandwerk. Die lebt und arbeitet in Düsseldorf.

Ruhig mal einen Außenanstrich mit Kalkaseinfarbe wagen

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