Gemalter Stuck von Gert und Daniel Neuhaus in Berlin

Die Grenzen zwischen Kunst und Handwerk sind für Gert und Daniel Neuhaus fließend. Seit mehr als 40 Jahren holen sie den Glanz alter Fassaden mit gemaltem Stuck zurück. Insbesondere für Berlin schlägt ihr Herz und sie stoßen eine Renaissancebewegung an.

Ein riesiger Reißverschluss öffnet sich im Mauerwerk und gibt den Blick frei auf eine graue Fassade mit Fenstern und Giebeln. Fast scheint es so, als bewege sich eine helle Gardine im Wind. Eine perfekte Illusion, geschaffen als gemalter Stuck an der Zillestraße 100 in Berlin. Auf mehr als vier Jahrzehnte Erfahrung blickt das Team „Neuhaus – Gemalter Stuck“ zurück. Gegründet 1977 von Gert Neuhaus, gehören bislang mehr als 100 Projekte und über 50 000 m2 gestaltete Fassadenfläche zur Firmengeschichte.

„Die Grenzen zwischen Kunst und Handwerk sind in unserem Geschäft fließend. Wir sehen uns als Künstler mit einer leidenschaftlichen Nähe zum Handwerk“, fasst Inhaber Gert Neuhaus zusammen. Nach dem Studium der Gebrauchsgrafik und des Ausstellungsdesign realisiert er seit 1976 Wandbilder an Hausfassaden in Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main und weiteren deutschen Städten sowie im Ausland.  Seit rund 20 Jahren ist Sohn Daniel mit dabei. „Als 18-Jähriger hatte mich mein Vater oftmals gefragt, ob ich ihm am Giebel helfen könnte“, blickt der Architekt zurück. Die Faszination für gemalten Stuck hatte ihn schon früh gepackt.

Alte Vorlagen und neue Entwürfe

Gerade Berlin ist für Beide eine Stadt mit vielen Gesichtern: Moderne Historie, der weite urbane Stadtraum und der vertraute Kiez machen ihren Reiz aus. Viele Häuser zeigen immer noch prächtige Stuckfassaden, oft Beispiele für den Reichtum und das Können des Bildhauer- und Stuckateurhandwerks. Ein großer Teil der Altbauten verlor aber sein unverwechselbares Gesicht. Der Stuck wurde in den Jahrzehnten nach 1950 entfernt und durch flachen oder rauen Putz ersetzt. „Viele Hausbesitzer empfinden diese Art der Entkleidung als Verlust. Wir holen die Gebäude aus dem Dornröschenschlaf“, sagt Gert Neuhaus. Durch gemalten Stuck nach alten Vorlagen und neue Entwürfe werde die Eleganz eines Hauses wiederhergestellt. „Wir möchten nicht weniger als eine Renaissance der verbliebenen Altbauten anstoßen und somit einen wichtigen kulturellen Beitrag zur Stadtreparatur leisten. Hinzu kommen freistehende Brandwände im ganzen Stadtgebiet, die auf Ideen und kühne Bilder warten.“ Wie das Projekt „Reißverschluss“, realisiert 1979 in Berlin-Charlottenburg. Eine unverputzte Brandwand an einer zerbombten Straßenecke – dort sollte ein Zeichen der Erinnerung an die verlorengegangene Architektur gesetzt werden.  In seinem Entwurf schlug Gert Neuhaus vor, die Brandwand mit der Ansicht einer monumentalen Stuckfassade zu bemalen und diese dann mit einem Reißverschluss ein wenig zu öffnen. Dahinter sollte ein Teil der darunterliegenden rohen Brandwand zum Vorschein kommen.

Finanzieller Haken und genialer Vorschlag

Diese Idee sei zwar bei den Auftraggebern gut angekommen, hatte aber einen finanziellen Haken: Die Fläche, die neu hätte verputzt werden sollen, war zu groß und damit zu teuer. Gerd Neuhaus erinnert sich: „Meine Frau Christiane machte den genialen Vorschlag, den Entwurf umzukehren. Auf der kleinen, hinter dem Reißverschluss zum Vorschein kommenden Fläche sollte nun die Stuckfassade gemacht und die verbleibende große Restfläche als rohe Brandwand belassen werden. Quasi als gemauertes ,Stoffgewebe‘. Dieser Entwurf kam beim Bauherr an und wurde von mir allein umgesetzt.“

Anhand eines Beispiels – dem Stadtpalais in Berlin-Charlottenburg an der Pestalozzistraße 35 – zeigen Gert und Daniel Neuhaus ihre Arbeitsweise auf. Der Eigentümer beauftragte das Team 2016 mit der Fassaden-Malerei. „Das Gebäude entstand, wie so viele Berliner Altbauten um die Jahrhundertwende. Im Allgemeinen wird der Stil Gründerzeitstil oder Historismus genannt. Es handelt sich um den Architekturstil des jungen Kaiserreiches der direkt auf den Klassizismus folgte“, sagt Gert Neuhaus. Die Ornamente der Fassade wurden in der Zeit nach dem Krieg komplett entfernt. „Der private Auftraggeber war über Jahre ein stiller Fan unserer Arbeit, der sich nun den Wunsch einer Fassadengestaltung erfüllen wollte“. Die Aufgabe war es, an den in der Nachkriegszeit abgeschlagenen, historischen Stuck zu erinnern. Eine Gestaltung im Stil der „Gründerzeit“ war die Lösung für das Neuhaus-Team.

Obergeschoss aufwendig betont

Das Gebäude hat zur Straße hin einige Ladengeschäfte, ist aber im Übrigen, inklusive seiner Hofgebäude, ein typisches Charlottenburger Wohnhaus. Die Fassade besteht dort im Wesentlichen aus Wandflächen und Öffnungen. Der Charakter wird durch die horizontale und vertikale Gliederung und Dekoration bestimmt. So wurde die Sockel- und Erdgeschosszone von den Obergeschossen durch Gesimsbänder und Materialwechsel abgesetzt. Das erste Obergeschoss wurde aufwendiger betont und die darüberliegenden Geschosse zurückhaltender ausgebildet. Das Dachgesims stellt den oberen horizontalen Abschluss der Fassade dar. Historische Fassaden weisen oft viele dekorative Elemente, wie zum Beispiel Stuckdekor, Reliefs und Putzquaderung auf, die nach bestimmten gestalterischen Prinzipien verwendet wurden, so dass ein Gleichgewicht in der Gliederung entstand. Die Schmuckformen nehmen Bezug auf die Architektur des Klassizismus, der Renaissance und des Barock.

Insgesamt gestalteten Gert und Daniel Neuhaus rund 1000 m² Fassadenfläche neu (Straßenseite und Innenhof). „Wir haben inklusive einiger witterungsbedingter Zwangspausen etwa 2,5 Monate für die Ausführung gebraucht“, blickt Daniel Neuhaus zurück. Nachdem das Stadtpalais eingerüstet war, übernahm die Berliner Malerfirma Malermeister Tim Körtel die Vorarbeiten. Auf den 1 bis 2 mm gekörnten Putz, einer Tiefengrundierung und einem mit Silikatfarben vorbeschichteten Malgrund begann das Künstlerteam schließlich mit der Arbeit.

Hochwertige Silikat-Außenfarben

Der Stuck wurde nach einem vorher im Atelier erstellten, maßstäblichen Entwurf – wenn möglich basierend auf historischen Fassadenzeichnungen – auf die Fassade übertragen. Nach perfekt passenden Verzierungen und Ornamenten und deren Schattenwürfen recherchierten sie im Vorfeld im Atelier. Die Maltechnik wird festgelegt und dann an der Fassade alles im Maßstab 1:1 ausgeführt.

„Wir arbeiten mit hochwertiger Silikat-Außenfarbe, mit Pinseln, Rollen und Aluminiumlinealen. Gelegentlich kommen auch Schlagschnüre zur Anwendung“, sagt Gert Neuhaus.  Sehr gute Erfahrungen haben sie mit einer Mischung aus Silikat und Dispersion gemacht. Die Farben dringen tief in den Malgrund ein, verbinden sich gut und reinigen sich selbst. Eine präzise Vorplanung sei sehr wichtig, denn hier wählen sie die richtige Ornamentik passend für das jeweilige Gebäude. „Der Stuck muss immer zum Charakter des Altbaus passen. Die Herausforderung war für uns, dass die Betrachter einen fotorealistischen Eindruck einer gründerzeitlichen Fassade bekommen sollten – eine Art Rückblick also“, sagt Gert Neuhaus. Durch gemalte Bossierung, Pilaster, Säulen, Girlanden, Geländer und Statuen hauchte Neuhaus der vorher leblosen Hülle neues Leben ein. „Dies passgenau und täuschend echt hinzubekommen war die Herausforderung“, berichtet der Maler. Mit der Zustimmung des Bauherrn erhalten die Neuhaus Zugang zu alten Bauunterlagen bei den zuständigen Archiven und finden dort genaue Ansichten der historischen Fassaden.

Spezialität und Weitblick

„Es gibt für uns keine künstlerische Hürde, die wir nicht nehmen könnten. Hochsprung ist unsere Spezialität und Weitblick“, betonen Vater und Sohn. Gert Neuhaus macht es zudem Freude, kleine unbeachtete Details zu betonen, die einen im alltäglichen Leben begleiten. Wie zum Beispiel   die Schnürsenkel, die im Wandbild der Jeans-Turnschuhe in Berlin überdimensional zu sehen waren. Das Gebäude existiert nicht mehr, da es 1998 gesprengt wurde. Auch damit sind Neuhaus konfrontiert: die Vergänglichkeit ihrer Kunst, nicht nur durch Witterung sondern auch durch städteplanerische Enscheidungen.

Sie arbeiten im Team und werden von weiteren Handwerkern und Malern unterstützt, die projektbezogen hinzugezogen werden. „Grundsätzlich ist die Fassadenmalerei ein Bereich der Leidenschaften. Einige unserer Kollegen weltweit haben eine akademische Ausbildung, die meisten aber sind Autodidakten. Wir vom Neuhaus Künstlerteam haben sowohl einen professionellen akademischen Background, als auch ein gesundes Bedürfnis, stets über den Tellerrand zu gucken und uns Fähigkeiten selbst anzueignen“, so Daniel Neuhaus.

Autorin

Michaela Podschun ist Redakteurin der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.

Buch-Tipp

„Visionen Illusionen“ – Gert Neuhaus Wandbilder. Eine Werkauswahl. Mit Beiträgen von Matthias Koeppel, Gert Neuhaus, einem Gespräch des Künstlers Ben Wagin, Biographie u.a.
Berlin 2018
ISBN 978-3-937294-05-6
Flexibler Einband / Paperback, Großformat 30 x 30 cm
240 Seiten, Kunstdruckpapier, durchgehend illustriert mit Fotoabbildungen in SW und Farbe
58 Euro
info@neuhausverlag.com

https://www.gemalter-stuck.com

http://www.giebelmalerei.de

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