Kirche wird Nullenergiehaus

Das kleine Nullenergie-Wohnhaus am Ortsrand von Heringen war einmal ein neuapostolisches Gemeindehaus. Eine Solaranlage, ein WDVS und eine Flächenheizung unter Lehmlatten bringen den Altbau aus den 1970er Jahren auf das energetisch anspruchsvolle Niveau.

Die Bauherren erwarben das neuapostolische Gemeindehaus mit Gottesdienstsaal am Ortsrand von Heringen und bauten es zu einem Wohnhaus mit einer Nutzfläche von 140 m² um. Doch was sich äußerlich unauffällig in die Ortsbebauung fügt, hat es in sich. Das wiederum ist kein Zufall, denn bei den Bauherren handelt es sich um die freischaffende Innenarchitektin Nicole Seifert, Tochter eines Bauingenieurs, und den ebenfalls in der Baubranche tätigen Thomas Fett. Sie machten aus ihrem Wohnhaus ein „Experimentalhaus“, bei dem sie vor allem alternative Energiekonzepte zum Einsatz brachten: Sonnenenergie, Lehm und das Flächenheizsystem hicotherm von Frenzelit. Planungsziel: ein autarkes Nullenergiehaus.

Ökologisch und energieautark

Zehn Monate nach dem Einzug kann die Bauherrenfamilie feststellen: Ziel erreicht. Der errechnete Energiebedarf von 40 kW/m²a wird dank des intelligenten Energiekonzepts vollständig über regenerative Energiegewinnung gedeckt.

Vor Energieverlusten schützt die luftdichte Gebäudehülle mit Wärmeschutzverglasung (Zweischeiben-Isolierglas mit einem g-Wert 1,1). Im Erdgeschoss besteht die Außenwand aus einem Mineralputz aus 18 cm Polystyrol auf einer 30er Kalksandsteinwand, die innen mit Gips verputzt ist. Im Obergeschoss sitzt der Mineralputz auf 16 cm Polystyrol und HWF-Platten auf einem 14 cm Holzständerbau mit Klemmrock-Steinwolle, OSB-Platten und Lehmbauplattem (nur Nordgiebel und Zwischenwand) mit einem mineralischer Innenputz.

Mit einer Nennleistung von 15,4 kW dient die 100 m²-Photovoltaikanlage auf dem Dach dem Energiegewinn. Da der First in Nord-Süd-Richtung verläuft, sind beide Dachflächen mit PV ausgestattet. Dazu kommen passive Wärmegewinne aus der großen Südgiebelverglasung.

Die hervorragende Wärmedämmung, das günstige Verhältnis von Mauerwerk zu Verglasung und die passiven Wärmegewinne reduzieren den Heizbedarf auf ein Minimum. Daher konnte auf eine Heizung mit fossilen Energieträgern verzichtet werden. Stattdessen heizt der Strom aus dem Dachkraftwerk – und der reicht selbst an dunklen Wintertagen völlig aus.

Ein Kellergeschoss fehlt – unter anderem wegen der Hochwassergefahr aus dem Bach an der Grundstücksgrenze. Deshalb entschieden sich die Bauherren beim Erdgeschoss, in dem das Schlaf- und die Kinderzimmer untergebracht sind, für eine Fußbodenheizung. Im Obergeschoss mit Wohnzimmer, Arbeitszimmer und Küche aber sorgen acht Lehm-Verbundelemente mit einer hicotherm-Folie für angenehme Wärme. Beide Heizungsarten beziehen ihre Energie aus der PV-Anlage auf dem Dach.

Traditionsbaustoff mit Zukunftspotential

Auf die Lehm-Verbundelemente mit Flächenheizung stießen die Bauherren im Zuge einer Internetrecherche nach alternativen Bau- und Heizkonzepten. An den tragenden Wänden des Altbaus war nichts zu ändern. Aber bei den Innenwänden setzten sie auf den Traditionsbaustoff Lehm, der zum einen wegen seiner Fähigkeit zur Feuchtigkeitsaufnahme als Feuchteregulator auch vor Schimmelbefall schützt. Zum anderen ist er wegen seiner besonderen Wärmespeicherfähigkeit ein Klimaregulator.

Lehm kam hier allerdings in einer modernen Variante als High-Tech-Baustoff zum Einsatz: Zwei Innenwände sind mit drei Typen von LK 22-Lehmbauplatten (22 mm) im Format 65 x 125 cm verkleidet. Der größere Teil besteht nur aus Lehm mit einer Armierung aus Glasgewebe (LK 22). Acht der Lehmbauplatten sind LK LWS 22-PCM-Lehmbauplatten mit eingeschlossenen Wärmespeicherkügelchen aus dem HighTech Wachs Micronal PCM. Sie dienen der Wärmespeicherung.

Lehmbauplatten mit Folienflächenheizhung

Der Wärmerzeugung dienen acht Lehmbauplatten vom Typ LK WHel 22 Lehmheizelemente Elektro. Die Verbundplatten bestehen aus je 11 mm Lehm mit einer mittigen hicotherm-Folie. Diese Heizfolie ist hauchdünn, (0,1 mm), sehr leicht und dabei ausgesprochen leistungsfähig. Winzige Carbonfasern als Leiterbahnen wandeln den niederspannigen Strom in Wärme um. Sie bringen eine Heizleistung von 250 Watt bei im Schnitt 40 Volt, was nach den Berechnungen der Bauherren für die Beheizung der 70 m²  Wohnfläche im Obergeschoss völlig ausreicht. Die Flächenheizung ist über einen Temperaturfühler mit einem Thermostat verbunden.

Die dünnen Flächenfolienheizung geht nicht auf Kosten der Nutzfläche – ein unter Kosten/Nutzen-Aspekten gerade bei einem Haus mit nur 140 m² Wohnfläche wichtiges Argument. Auf einen Heizraum kann verzichtet werden, auf einen Schornstein ebenfalls. Auch das vergrößert den verfügbaren Wohnraum. Und da die Flächenheizung in der Wand auch Heizkörper überflüssig macht, erhöht sich abermals die nutzbare Wohnfläche.

Energieautark mit Überschuss

Im. März 2011 ging die Photovoltaikanlage in Betrieb. Errechnet wurde eine Jahresleistung von 11 000 kWh. Die waren allerdings schon nach acht Monaten erreicht. Ende des Jahres wurden mehr als 13 000 kWh gemessen. Verbraucht hatte man bis dahin aber nur knapp 4000 kWh, davon 2600 für die Heizung und 1340 kWh für Haushaltsstrom. Der Überschuss fließt zurzeit noch ins örtliche Stromnetz, könnte aber bald auch in Mobilität umgesetzt werden. Denn als Zukunftsprojekt ist jetzt noch die Anschaffung eines Elektroautos geplant, das während des Parkens dank der Energieerzeugung auf dem Dach betankt werden kann. Und sollte sich zeigen, dass diese irgendwann für einen Zweitwagen nicht ausreicht, steht der Bau einer kleinen Windkraftanlage auf dem Grundstück an.

Autor

Dipl.-Ing. (DH) Torsten Aeugle ist als Prokurist Leiter des Geschäftsbereichs hicotherm bei den Frenzelit Werken in Bad Berneck.

Lehmbauplatten mit Wachs als Wärmespeicher und Heizfolie im Kern

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