Anbauten an Baudenkmale sollten in moderner Form und zeitgemäßem Material erfolgen

Der Architekt Carlo Scarpa hat es schon in den 1950er und 1960er Jahren in Italien vorgemacht, wie das geht, alt und neu miteinander zu verbinden. Italien ist auch das Land, in dem 1964 der zweite internationale Kongress der Architekten und Denkmalpfleger stattfand. Das Ergebnis des Kongresses, die Charta von Venedig, ist vielen vertraut, die hierzulande mit Fragen der Denkmalpflege befasst sind. Es sei an dieser Stelle an eine wichtige Vereinbarung der Charta erinnert: „Wenn es aus ästhetischen oder technischen Gründen notwendig ist, etwas wiederherzustellen, von dem man nicht weiß, wie es ausgesehen hat, wird sich das ergänzende Werk von der bestehenden Komposition abheben und den Stempel unserer Zeit tragen.“ Dies gilt insbesondere auch für Anbauten und Ergänzungen. Deshalb sollten Anbauten an Baudenkmale in moderner Form und zeitgemäßem Material erfolgen. Stahl, Glas und Beton sind Materialien unserer Zeit. Es geht also darum, deutlich zu zeigen, was man an Neuem dem Baudenkmal hinzugefügt hat. Das bedeutet natürlich auch, dass erst mal das, was an historischer Bausubstanz vorhanden ist, saniert und restauriert werden muss, um es dem Neuen selbstbewusst gegenüberstellen zu können. Und auch hierzu gibt die Charta von Venedig eine klare Empfehlung: „Wenn sich die traditionellen Techniken als unzureichend erweisen, können zur Sicherung eines Denkmals alle modernen Konservierungs- und Konstruktionstechniken herangezogen werden, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen und durch praktische Erfahrung erprobt ist.“ Hierzu muss man natürlich erst mal die traditionellen Techniken kennen, um sicher sagen zu können, dass ein Ausweichen auf moderne Techniken gerechtfertigt ist. Ein gutes Beispiel für die Verbindung traditioneller und moderner Restaurierungstechniken ist das Schloss Grimma. Wie ab Seite 17 in dieser Ausgabe der bauhandwerk gezeigt, haben die Handwerker nicht nur die historische Bausubstanz erhalten, sondern diese auch durch moderne Anbauten aus Glas, Stahl und Beton ergänzt. Gleiches gilt für das so genannte „Gelenk“ in dem zum Weinlokal umgebauten Kloster Engelthal. Wie ab Seite 14 zu sehen, verwendeten die Handwerker für den modernen Verbindungsbau auch hier Glas, Stahl und Beton. Und selbst neuere Architektur im Stil des Bauhauses lässt sich durch Anbauten, die deutlich den Stempel unserer Zeit tragen, behutsam ergänzen, wie der Umbau einer Schule in Lorch zu einem Hotel auf Seite 7 in diesem Heft zeigt.

Viel Erfolg bei der Arbeit wünscht

„Das ergänzende Werk soll sich von der bestehenden Komposition abheben und den Stempel unserer Zeit tragen“

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