Markanter Mäander
Kratzputz beim Bau des neuen Quartiers am Stadtgraben in Neuenrade

Ein weißes Band aus Putz setzt ein architektonisches Zeichen beim neuen Quartier am Stadtgarten in Neuenrade. Ein dickschichtiger Kratzputz ermöglichte auf einem WDV-System diese Art der markanten Fassadengestaltung.

Weit mehr als ein Jahrhundert prägte das Vaterland Werk Friedrich Herfeld Söhne das Leben in Neuenrade. Vom Sauerland aus gingen einst Akkordeons und Blasinstrumente in alle Welt. Ab den 1930er-Jahren wurde die Produktion im Herzen der heute rund 12 000 Einwohner zählenden Kleinstadt mehr und mehr auf Fahrräder umgestellt. Doch 2007 bedeutete die Insolvenz das Ende für eine der ältesten Fahrradmanufakturen Deutschlands. Die ortsansässige Echterhage Holding erwarb das Gelände und entwickelte ein Konzept zur Umwidmung des ehemaligen Industrieareals, das über das zur Holding gehörende Generalbauunternehmen Eco.Plan ausgeführt wurde. Nach dem Abriss der Produktionshallen entstand hier ein beispielgebender Wohn- und Geschäftskomplex mit seniorengerechten Miet- und Eigentumswohnungen sowie Gewerbe- und Büro- beziehungsweise Praxisflächen.

Das neue Quartier am Stadtgarten – ein Ensemble aus zwei Neubauten und zwei unter Denkmalschutz stehenden ehemaligen Verwaltungsgebäuden der Vaterland Werke – bietet etwas, was in großen wie kleinen Städten heute eher selten geworden ist: eine optimale Versorgung mit Einkaufs-, Freizeit- und Kulturangeboten. Die neu gebauten Abschnitte zählen neben vier Ladengeschäften im Erdgeschoss über 30 barrierefreie, etwa 50 bis 140 m² große Wohnungen. Architektonisch auffällig ist der markante, zum Platz hin ausgerichtete Giebel des Neubaus. Ein breites, über die Fassade mäandrierendes weißes Band aus Putz gliedert die gesamte Fassade in der Horizontalen und verleiht ihr damit trotz der Dimensionen des Baukörpers Leichtigkeit. Mit diesem gestalterischen Kniff ist es den Architekten gelungen, dem Neubau ein angemessenes Selbstbewusstsein zu geben, ohne ihn dominant in den Vordergrund zu spielen. Der weiße Mäander springt erhaben aus der Fassade hervor und bildet den belebenden Kontrast zu den zurückliegenden, mit Blechkassetten bekleideten Feldern, die Fenster und Loggien ebenfalls zu Abschnitten zusammenziehen. „Hätten wir uns für offene Geländer entschieden, wären diese nach kurzer Zeit von den Bewohnern durch Verkleidungen nach eigenem Geschmack verändert worden. Wir haben uns deshalb von Anfang an auf eine Brüstung festgelegt. Da Putz im Sauerland Tradition hat, sollte er bei der Fassadengestaltung eine tragende Rolle spielen“, erläutert Ruth Echterhage von der Echterhage-Immobilien GmbH & Co. KG aus Neuenrade.

Auf der Suche nach dem passenden Putz

Welcher Putz in welcher Struktur jedoch zur Ausführung kommen sollte, war nicht von vornherein definiert. Den entscheidenden Impuls setzte Jörg Roland. Der Stuckateurmeister aus dem nahen Balve hatte mit seinem Unternehmen den Auftrag für die Dämmfassade und für sämtliche Innenputzarbeiten mit leichten und besonders ergiebigen Maschinenputzgips MP75 L erhalten. „Ein dickschichtiger mineralischer Kratzputz ist auf Dauer die beste Lösung für jede Fassade“, lautet sein Credo. Langlebig und robust, durch seine natürliche Alkalität gewappnet gegen Algen- und Pilzbewuchs und durch die „Abwitterung“ der Körnung mit einer natürlichen Selbstreinigung versehen – als Jörg Roland in der Baubesprechung diese Argumente für den Kratzputz vorbrachte und entsprechende Putzmuster präsentierte, waren Bauherrin und Architekt schnell überzeugt. Für den Kratzputz sprach nicht nur die schöne Optik mit Glimmereffekt, sondern insbesondere auch, dass die nach vorn gezogenen weißen Putzflächen sehr exponiert liegen und der Witterung ungeschützt ausgesetzt sind.

Den von Jörg Roland vorgeschlagenen Edelkratzputz Mak3 mit 2 mm Korn und Glimmeranteil trugen die Stuckateure etwa 15 mm dick auf. Nach ausreichender Erhärtung kratzten sie ihn mit einem Kratzputz-Nagelbrett auf seine endgültige Dicke von etwa 10 mm und entfernten damit die bindemittel- und spannungsreiche Oberfläche. Das herausspringende Korn lässt die charakteristische, gleichmäßige Kratzputzstruktur mit seinem Glimmereffekt entstehen, die keinen zusätzlichen Farbanstrich benötigt. Der mineralisch dickschichtige Edelkratzputz bietet den besten Witterungsschutz – auch deshalb, weil er aufgrund der hohen thermischen Masse eine höhere Speicherung von Restwärme erreicht. Der Putz trocknet dadurch schneller ab und die Zeiten für eine Tauwasserbildung verkürzen sich drastisch. Das erschwert Algen – ganz ohne biozide Zusätze – das Überleben an der Fassade.

Kratzputz erfordert Erfahrung und Timing

Die Fassadengestaltung mit Kratzputz erfordert vor allem Erfahrung und richtiges Timing, weil Temperaturen und Witterungsverhältnisse das Abbindeverhalten des Putzes unterschiedlich beeinflussen. Der optimale Zeitpunkt des Kratzens ist entscheidend dafür, dass der Putz später sein charakteristisches Erscheinungsbild erreicht. Beim Kratzen muss das Korn springen. Das verrät dem Fachmann, dass der Oberputz die optimale Festigkeit erreicht hat. Ein gleichmäßig schönes Strukturbild ohne Schlieren ist das Ergebnis. Entscheidend ist, dass zusammenhängende Flächen ohne Unterbrechung in einem Zug gekratzt werden.

Die Kratzputzfassade ist mit dem WDV-System Knauf Warm-Wand Basis mit 140 mm EPS gedämmt. Um die Putzebene nach außen vorzuziehen, wurden diese Teilbereiche mit zusätzlich 200 mm EPS aufgedoppelt. Damit Regenwasser nicht unkontrolliert über die Fassade abläuft, entwickelten Fassadenbauer, Stuckateur, Architekt und Bauherrin für die Brüstung eine geteilte Fensterbank, die das Wasser optimal nach innen abführt. Im Kollektiv entstand daraufhin auch die Putzeinfassung mit einer horizontalen wie vertikalen Blechverkleidung, die den Putzmäander markant einrahmt. „Die Mäander gaben eine klare Linie vor. Unser Orientierungsmaß für das Anarbeiten des Putzes waren die Winkelprofile, die der Metallbauer vorab für die Blechabdeckungen gesetzt hatte“, berichtet Jörg Roland. Die Vielzahl der daraus resultierenden Anschlusspunkte stellte allerdings auch eine große Herausforderung für die Stuckateure dar. „Die Forderung nach absoluter Wärmebrückenfreiheit war nicht immer einfach umzusetzen. In weiten Teilen musste sehr filigran unter der Konstruktion für die Blechabdeckung gedämmt werden“, ergänzt die Knauf Fachberater Andreas Szczesny. Entscheidend war deshalb der permanente und intensive Austausch aller Beteiligten.

Scheibenputz für Laubengänge im Innenhof

Erschlossen werden die Wohnungen über Laubengänge im Innenhof, den ein Glasdach komplett überspannt. Da die Laubengänge zugleich als Flucht- und Rettungswege dienen, war in diesem Bereich ein nicht brennbares System gefordert. Gedämmt wurde deshalb mit dem System Knauf Warm-Wand plus mit einer Dämmung aus 140 mm dicker Mineralwolle der WLG 035. Weil in diesen Bereichen durch die alltägliche Nutzung mit höheren mechanischen Beanspruchung zu rechnen ist, empfahl Stuckateur Jörg Roland hier den Scheibenputz SP 260 weiß in 2 mm Körnung, der mit einem Egalisierungsanstrich versehen wurde. Die Deckenuntersichten der Laubengänge wurden mit SM700 Pro in edler Feinputzstruktur gefilzt.

Trotz des langen Winters, der für alle an den Fassadenarbeiten Beteiligten eine große Herausforderung darstellte, konnte das Quartier am Stadtgarten im Sommer vergangenen Jahres fristgerecht fertiggestellt und nach etwas mehr als zwei Jahren Bauzeit mit einem Quartierfest offiziell eingeweiht werden.

Autor

Jens Gerlitz ist regionaler Marktmanager für Putz und Fassadensysteme bei der Knauf Gips KG in Iphofen.

Die Fassadengestaltung mit Kratzputz erfordert vor allem Erfahrung und richtiges Timing

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