Umbau eines schmalen Reihenhauses in Antwerpen

Das von den Kunden gewünschte Raumprogramm sprengte das Gebäudevolumen eines schmalen Reihenhauses in Antwerpen. Die Architektin Sarah Poot brachte trotzdem Schlafräume für die vierköpfige Familie und viel Tageslicht durch die geschickte, höhenversetzte Staffelung der Anbauten ins Gebäude.

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Das ursprüngliche Arbeiterwohnhaus mit einer Grundfläche von etwa 87 m2 steht auf einem schmalen, rund 5 m breiten aber 17 m langen Grundstück in einer kleinen Wohnstraße in Berchem, einem Stadtteil südlich des Stadtzentrums von Antwerpen. Die neuen Eigentümer hatten bereits beim Ankauf den Umbau des Gebäudes ins Auge gefasst. Um zusätzlichen Wohnraum zu gewinnen, werden bei derartigen Reihenhäusern im Allgemeinen gartenseitige Zubauten gemacht.

Die bestehende Gartenfassade aus roten Backsteinen befand sich allerdings in einem sehr schlechten Zustand. Verschiedene An- und Umbauten, sowie die schlechte Tageslichtsituation und Durchlüftung des Bestandgebäudes machten eine einfache Umgestaltung des Hauses unmöglich.

Um die gewünschten zusätzlichen Schlafräume und einen großzügigen Wohnbereich zu schaffen, schlug Architektin Sarah Poot schlechthin den völligen Abriss und Neubau der gartenseitigen Haushälfte vor. Die beige-gelbe straßenseitige Backsteinfassade teilt sich das Haus mit dem Nachbargebäude. Sie wurde im Zuge der Umbauarbeiten thermisch durch den Einbau von Isolierglasfenstern teilsaniert. Der Schnitt wurde entlang der übereinander gestaffelten Trennwände der zur Straße hin orientierten Räume gemacht, wodurch auch der Eingangsflur im Erdgeschoss und die Dachschräge an der Straße erhalten blieben. 

Ineinanderfließende Räume

Trotz des weitreichenden baulichen Eingriffs ordnet sich die neue Haushälfte der bestehenden, als klassisch zu bezeichnenden Raumeinteilung unter: der schmale Flur des Eingangs setzt sich im kompakten und steilen Treppenhaus fort, während sich der ebenerdige und straßenseitige Wohn- und Fernsehraum in der neuen gartenseitigen Küche und dem Esszimmer fortsetzten.

Das ursprünglich im Gebäudezentrum liegende, dunkle Wohn- und Esszimmer wurde ebenso wie die in einem Anbau untergebrachte Veranda mit der angeschlossenen Küche abgerissen.

In der neuen Raumkomposition blieb das Erdgeschoss den gemeinschaftlichen Funktionen wie Kochen, Essen und Wohnen vorbehalten. Durch ein geschicktes Spiel mit gartenseitigen, großzügig verglasten und etwa 4 m hohen Falttüren und einer wohldurchdachten Staffelung der Wohnräume mit ihren unterschiedliche Deckenhöhen, entstanden ineinanderfließende Räume und eine offene, lichtdurchflutete Wohnlandschaft.

Die Küche mit der langgestreckten Küchenzeile und der Kochinsel bildet funktionell gesehen den Kreuzungspunkt zwischen dem Eingangsbereich, der Treppe zu den Obergeschossen, dem neu geschaffenen Loungebereich an der Straßenseite und den rückseitig gelegenen Wohnräumen. Durch die doppelte Geschosshöhe wurde zum einen die Verbindung zum Arbeitsbereich im ersten Obergeschoss geschaffen. Zum anderen konnte durch die gartenseitig angeordneten Oberlichter natürliches Tageslicht ins Zentrum des Hauses geholt werden.

Im ersten Obergeschoss wurde der große, südöstlich und zur Straße hin gelegene Raum als Schlafzimmer für zwei Personen konserviert. Das über dem Essensbereich gelegene, neue Badezimmer öffnet sich mit einer breiten Fensterfront zum Garten.

Die Treppe, die das Erdgeschoss mit den drei höhenversetzten Obergeschossen verbindet, wurde zwar an ihrer ursprünglichen Position zurückgebaut, allerding vollständig neu konzipiert. Die Höhenunterschiede zwischen den neuen und den bestehenden Geschossdecken überwinden kurze Zwischentreppen. Das erlaubte vor allem im Treppenbereich des ersten Obergeschosses die Organisation zweier Homeoffice-Plätze.

Das zweite Obergeschoss ist einem einfachen Schlafzimmer mit einer benachbarten Waschküche vorbehalten, während der Raum unter der straßenseitigen Dachschräge als Abstellraum benutzt wird.

Durch das Tieferlegen der neuen Geschossdecken des ersten und zweiten Obergeschosses gegenüber den ursprünglichen Geschossdecken an der Straßenseite und durch das Hochklappen der gartenseitigen Dachschräge gelang es der Architektin im dritten Obergeschoss, den ursprünglich zu niedrigen Dachboden zu einer mansardenartigen Elternsuite mit Badezimmer umzubauen, ohne dabei das zulässige Gebäudevolumen zu sprengen.

Rohe Stahlbetonstruktur bleibt sichtbar

Um diesen Umbau ­realisieren zu können, griff die Architektin auf ein sichtbar gelassenes Haupttragwerk aus Stahlbetonstützen und Stahlbetonbalken zurück, das die neuen Geschossdecken trägt. „Die orthogonale Stützenform erlaubte uns nicht nur einen sauberen Anschluss der sternförmig angeordneten oder diagonal liegenden Deckenbalken, sondern ist auch eine Referenz an klassische Säulen“, erklärt Sarah Poot.

Die neuen Stahlbetonelemente dieser Rahmenkonstruktion ließen die Architekten im Erdgeschoss und Obergeschoss bewusst sichtbar und ergänzten sie mit weiß lackierten, ebenfalls sichtbar belassenen Holzbalken für die Decken- und Dachkonstruktionen. Der industriell anmutende, geschliffene Betonboden im Erdgeschoss des neuen Gebäudeteils schließt konzeptuell an das Haupttragwerk an, wobei man versucht hat, den Räumen durch die Körnung des Zuschlags die Sterilität zu nehmen.

Die Reduzierung auf wenige, bewusst platzierte Materialien und Farben entstand einerseits durch den Wunsch, die Volumina der Räume zu betonen und den Blick in den Garten zu lenken. „Durch die weißen Oberflächen und die dadurch entstehenden Reflexionen gelang es uns direktes und indirektes Tageslicht ins Gebäudeinnere des schmalen und langgestreckten Baukörpers zu holen und dadurch die an sich ungünstige nordwestseitige Orientierung des Wohn- und Esszimmers zu kompensieren“, bestätigt die Architektin.

Die Stützen und Balken der Stahlbetonkonstruktion des neuen Anbaus sind konstruktiv von der gemeinsamen Grenzwand mit dem Nachbargebäude losgelöst, selbst wenn sie letztere indirekt auch verstärken. Im neuen Treppenhaus konnte auf die bestehenden Kellerwände und Fundamente aufgebaut werden, so dass die Handwerker nur für die sechseckigen Stahlbetonstützen rund um den Anbau mit den hohen Glasfronten neue Streifenfundamente anlegen mussten.

Mit den diagonal verlaufenden Stahlbetonbalken erzielte man die notwendige horizontale Aussteifung. Weil sich dadurch auch die Spannweiten verringerten, konnten die Dicken der Betongeschossdecken reduziert werden. Durch die Konservierung der straßenseitigen Haushälfte war aus statischer Sicht eine Aussteifung und Abstützung der gemeinsamen Grenzwand mit dem Nachbarbau während der Bauzeit nicht notwendig.

Arbeiten aus einer Hand

Die Verwendung verschiedener Baumaterialien folgt einem einfachen konstruktiven Schema. Die Fußbodenkonstruktionen im Erd- und ersten Obergeschoss sind aus Stahlbeton. Die Architektin legte dabei besonderen Wert auf die strukturierten, schalungsrauen Deckenuntersichten und der Treppenuntersicht.

Angesichts der Kompaktheit des Hauses und der Anzahl der Familienmitglieder wurde mit dieser schweren Fußbodenkonstruktion vor allem versucht die Schallübertragung zwischen den Geschossen zu vermindern.

Aus demselben Grund verwendeten die Handwerker für die Trennwände rund um die Nasszellen im ersten Obergeschoss und für alle Wände im zweiten Obergeschoss Hochlochziegel. Das gesamte dritte Obergeschoss führten die Handwerker hingegen als Holzskelett aus. Das Tragwerk der Flachdächer sowie der Schrägdächer sind wiederum als Holzbalkenkonstruktionen ausgeführt.

Die Wahl einer kleinen Baufirma, in diesem Fall ein auf Rohbauarbeiten spezialisierter Familienbetrieb, führte dazu, dass alle Beton-, Maurer- und Zimmererarbeiten verlässlich und mit der notwendigen Erfahrung ausgeführt wurden.

Als Verantwortliche für die Baustellenaufsicht und die Koordination der verschiedenen Bauabschnitte beschreibt Sarah Poot allerdings das Erreichen der gewünschten Oberflächenqualitäten und die Organisation eines reibungslosen Bauablaufs als eine der größten und zeitraubendsten Herausforderungen des Projekts.

Fazit

„Der Erhalt bestehender Bausubstanzen ist für uns sehr wichtig“, betont Sarah Poot, „selbst wenn ein vollkommener Abriss und Neubau des Hauses im Nachhinein gesehen wohl einfacher und kostengünstiger gewesen wäre.“ Mit dem Erhalt der straßenseitigen Haushälfte konnten aber auch Bauteile wie die Holzbodenkonstruktionen, die Stuckdecken oder die Fassadenbacksteine wieder in Stand gesetzt in ein neues Licht gerückt werden, Elemente, die für die neuen Besitzern als Spuren der Geschichte des Hauses wertvoll sind und ihm eine persönliche und einzigartige Note verleihen.

Das sensible und gekonnte Spiel mit Raumsequenzen, doppelten Raumhöhen und verschiedenen, kontrastierenden, aber reduzierten Baumaterialien geben dem Gebäude einen individuellen und vielschichtigen Charakter.

 

Autor

Michael Koller ist Architekt, Stadtplaner und Journalist. Er lebt und arbeitet in Den Haag.

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