Alles aus einer Hand
Zu Besuch bei Drücker + Schnitger in Rietberg

Innerhalb von 20 Jahren haben Erasmus Drücker und Rainer Schnitger ihre Firma vom Zwei-Mann-Unternehmen zu einem gewerkeübergreifenden Spezialbetrieb für Fachwerkrestaurierung entwickelt, der 25 Mitarbeiter beschäftigt und sogar ein eigenes Sägewerk betreibt.

Erfolg befördert einen Vollblut-Handwerker ganz schnell von der Baustelle an den Schreibtisch. Das ist auch bei den Rietberger Fachwerkprofis Rainer Schnitger und Erasmus Drücker nicht anders. Doch obwohl beide mit leuchtenden Augen von der Gründungsphase ihres Betriebs schwärmen, als sie zu zweit ihre ersten Fachwerkhäuser restaurierten, und obwohl sie sich manchmal nach der anstrengenden aber befriedigenden handwerklichen Tätigkeit zurücksehnen, wissen sie doch die Gestaltungsmöglichkeiten und die wirtschaftlichen Vorteile als Denker und Lenker eines größeren Handwerksunternehmens zu schätzen und zu nutzen: „Nachhaltigkeit“ ist für beide keine abgedroschene Floskel, sondern ein Leitmotiv, das sie nicht nur mit der Arbeit selbst, sondern auch durch die Art des Wirtschaftens und den Stil der Unternehmensführung umsetzen wollen.

Unvorhergesehenes zwingt zu Flexibilität

Kennengelernt haben sich der gelernte Tischlermeister Drücker und der gelernte Zimmerermeister Schnitger an der Fachschule für Baudenkmalpflege in Detmold, wo beide den zweijährigen Vollzeitlehrgang zum Techniker für Baudenkmalpflege und Altbauerhaltung absolvierten. Nach bestandener Prüfung war für beide klar, dass sie weiterhin zusammenarbeiten wollten. Das Angebot eines Bauunternehmers, den sie durch die Praxisphase des Technikerlehrgangs kennengelernt hatten, sie einzustellen, um dessen privates Fachwerkhaus zu restaurieren, lehnten sie ab. Stattdessen gründeten sie 1993 ihre eigene Firma und übernahmen den Auftrag des Unternehmers als Selbständige. Nach diesem ersten Projekt schloss sich gleich der nächste Auftrag an, und schon bald mussten die Jungunternehmer ihre ersten Mitarbeiter einstellen, um die anfallende Arbeit bewältigen zu können. Auf diesem Wachstumskurs steuern sie ihren Betrieb seither bis in die Gegenwart.

„Bei der Restaurierung eines Fachwerkshauses ist das Unvorhergesehene nicht die Ausnahme, sondern der Regelfall. Das zwingt zu Flexibilität und stellt extrem hohe Anforderungen an die Qualität der Mitarbeiter“, betont Erasmus Drücker. Gute Mitarbeiter zu finden und zu halten sei daher die wichtigste Grundlage für den Erfolg des Unternehmens. „Sie müssen nicht nur ihr Handwerk beherrschen, wir brauchen gestandene Leute, die im Gespräch mit dem Bauherren sicher und selbstbewusst auftreten und höflich aber klar sagen können, was geht und was eben auch mal nicht möglich ist“, erklärt Drücker.

Eigene Fachkräfte ausbilden

Da Fachhandwerker mit diesem Anforderungsprofil nicht unbegrenzt auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, bilden Drücker und Schnitger ihren Nachwuchs selbst aus. Viele ehemalige Azubis wurden übernommen und arbeiten noch heute im Unternehmen, manche haben Meisterkurse absolviert oder studiert, haben Erfahrungen in anderen Firmen gesammelt und sind zurückgekommen, einer ist Architekt geworden und arbeitet jetzt als Planer auf Seiten von Bauherren mit Drücker und Schnitger zusammen. Klagen über nachlassende Qualifikationen der Lehrlinge hört man von den Rietberger Unternehmern nicht. „Wir nehmen die jungen Leute so, wie sie kommen“, sagt Rainer Schnitger, der die Verantwortung für die Lehrlingsausbildung übernommen hat. Auch aus Lehrlingen, die von der Schule frustriert seien und viele soziale Kompetenzen nicht zuhause vermittelt bekommen hätten, entwickelten sich oft geschickte Handwerker und zuverlässige Mitarbeiter, wenn man sie entsprechend fördere und lenke, so Schnitger, der öfter auch mal überraschend in der Berufsschule auftaucht, um sich über die Fortschritte seiner Schützlinge zu informieren.

Kommunikation und Koordination

Aktive Werbung und Marketingarbeit betreiben Drücker und Schnitger nicht. Das ist auch nicht nötig, um die Auftragsbücher zu füllen, denn die meisten Kunden kommen auf Empfehlung von anderen Kunden oder aufgrund des ausgezeichneten Rufs als Spezialisten für Fachwerkrestaurierung, den sich das Unternehmen in der Region erarbeitet hat. So kann man es sich leisten, Aufträge abzulehnen, wenn der Preis nicht stimmt; öffentliche Aufträge machen nur 10 Prozent aus. „Die Restaurierung eines Fachwerkhauses dauert länger, als ein Neubau in moderner Bauweise, und ist mit viel mehr Nach- und Umplanung verbunden. Dadurch hat man viel Kontakt mit den Bauherren und lernt sich gut kennen“, berichtet Erasmus Drücker. Auch nach Abschluss der Arbeiten bleibe dieser Kontakt häufig bestehen und werde gepflegt, auch um Neukunden Referenzobjekte zeigen zu können. Die Arbeit der beiden Chefs besteht zu einem großen Teil aus Koordination und Kommunikation: „Wir werden manchmal von Leuten zur Begutachtung gerufen, die ein Gebäude abreißen wollen, das wir aber erhaltenswert finden und versuchen die dann zu überzeugen. Oder wir werden von Leuten angesprochen, die ein Fachwerkhaus suchen, und wir bringen die dann mit den geeigneten Häusern zusammen“. Häufig wird die Kompetenz und die Erfahrung der beiden Fachwerkspezialisten auch bei der Kartierung von Schäden und der Kalkulation der Baukosten in Anspruch genommen, beispielsweise als Grundlage für eine Ausschreibung.

Alle Gewerke abgedeckt

Die Restaurierung eines Fachwerkhauses ist nicht teurer als ein Neubau und im Inneren lasse sich nahezu jeder Wohnstil und -geschmack von originalgetreu bis modern realisieren, sind die gelernten Holztechniker überzeugt, die am Firmensitz in Rietberg nahezu jedes ältere Gebäude genau kennen – in vielen Fällen, weil sie es saniert haben oder eine Sanierung geplant ist. Selbst in energetischer Hinsicht stünden diese Gebäude einem Neubau kaum nach, Drücker und Schnitger setzen bei der Innendämmung auf ein geprüftes System aus Holzweichfaserplatten und Lehm von Conluto. Für eine funktionierende Bauphysik sei die Auswahl der Baustoffe entscheidend – Eichenholz, weichgebrannte Ziegel, Kalkmörtel und Lehm, mehr ist nicht nötig, aber auch nicht weniger. Die Fenster werden entweder restauriert oder nach Originalmaßen neu gebaut und mit Wärmeschutzverglasung ausgestattet. Extra dafür haben die detailverliebten Firmeninhaber die Fensterprofile aller Haustypen der Region vermessen und katalogisiert und die entsprechenden Maschinen angeschafft und Tischler eingestellt.

Auch die Maurerarbeiten und den Innenausbau müssen Drücker und Schnitger nicht mehr fremdvergeben, ein Maurermeister und drei Gesellen erledigen die fachgerechte Ausführung aller anfallenden Arbeiten. Da das Unternehmen außerdem auch einen Dachdecker beschäftigt, kann die gesamte Gebäudehülle mit eigenen Fachkräften erstellt werden.

Eigenes Sägewerk

Selbst bei einem der wichtigsten Baumaterialien, dem Eichenholz, sind Drücker und Schnitger weitgehend autark. Zwar wird bei Restaurierung möglichst viel Holz weiterverwendet, trotzdem besteht ein hoher und meistens kurzfristiger Bedarf nach individuellen Eichenholzbalken, um Fehlstellen zu ersetzen. Als das letzte kleinere Sägewerk der Region aufgegeben wurde, kauften die Rietberger kurzerhand eine eigene Säge und stellten den arbeitslos gewordenen Sägewerker, mit dem sie immer gut zusammengearbeitet hatten, als Mitarbeiter ein. So sind sie in der Lage, Stammholz zu kaufen und komplett zu verarbeiten – die Seitenware für Verschalungen, das Kernholz für Balken. Selbst die Späne werden in der Heizung des Firmengebäudes thermisch genutzt.

Fit für die Herausforderungen des Marktes

Zum Erfolgsrezept gehört auch, das die beiden Firmen-
inhaber weder fachlich noch zwischenmenschlich auf dem hohen Ross sitzen. Jeder Arbeitstag beginnt mit einer Gesprächsrunde aller Mitarbeiter, in der Informationen über die einzelnen Baustellen ausgetauscht werden, aber auch Kritik geäußert werden kann. „Auch wir Chefs kriegen da manchmal unser Fett weg, und das hören und nehmen wir uns auch an“, erklärt Rainer Schnitger. Transparente und offene Abläufe seien nicht nur gut für die Qualität der Arbeit, sondern auch für die Motivation der Mitarbeiter und das Betriebsklima. Dass Chefs immer einen Wissens- und Informationsvorsprung haben sollten, um Autorität auszustrahlen, halten sie für eine überholte Denkweise. „Je mehr ein Mitarbeiter kann und weiß und je mehr er sich ernstgenommen und eingebunden fühlt, desto eigenverantwortlicher und motivierter arbeitet er und desto entspannter wird es für uns.“

Auch ihre eigene Arbeitsweise haben sie von einem Unternehmensberater kritisch untersuchen lassen. Als Resultat haben sie unter anderem eine Buchhalterin eingestellt. „Wir sind Handwerker, keine Kaufleute, und so haben wir Zeit gewonnen für das, was wir besser können und uns mehr Spaß macht“. Sie empfehlen auch ihren Mitbewerbern, sich solche unabhängige Beratung von außen zu holen. „Wenn alle Handwerker ihre Abläufe optimieren, Rechnungen pünktlicher rausschicken und Angebote besser kalkulieren, kommt das allen zugute, weil dadurch das Preisniveau steigen würde“, sind Rainer Schnitger und Erasmus Drücker überzeugt.

Der externen Kritik eines Unternehmensberaters wollen sie sich auch zukünftig regelmäßig aussetzen, um sich selbst und ihr Unternehmen fit zu halten für die Herausforderungen des Marktes, denen sie sich noch lange stellen möchten, denn: „Wir haben einen Riesenspaß an unserer Arbeit!“

Autor

Thomas Schwarzmann ist Redakteur der Zeitschriften
bauhandwerk und dach+holzbau.

Für ein Fachwerkhaus braucht man: Eichenholz, weichgebrannte Ziegel, Kalkmörtel und Lehm – mehr nicht, aber auch nicht weniger

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