Grüner Dämmstoff
Ökologische Einblasdämmung aus Wiesengras

Die Kuh frisst es, ein Fußballer kann ohne gar nicht so recht leben und in Deutschland ist es seit zwei Jahren möglich, Häuser damit zu dämmen: Gras als Dämmstoff. Dass mag vielen Handwerkern zunächst als ökologische Spinnerei erscheinen. Doch die Forschung ist längst einen Schritt weiter:

Dort wird beim Thema Wiese längst nicht mehr nur an Einblasdämmung, sondern vielmehr an einen multifunktionalen Rohstoff für zahlreiche Industriezweige gedacht.

Durch die restlose Raffinerie einer Tonne silierten Wiesengrases können etwa 152 kg Zellulosefasern, 190 kg Proteine, 615 kWh elektrischer Strom, 900 kWh Wärmeenergie und einiges an Stickstoff erzeugt werden. Das heißt, man ist in der Lage, die Dämmstoff- und Spritzguss­industrie mit Zellulosefasern, die Düngemittelindustrie mit Stickstoffen und die Kosmetik-, Pharma-, Lebensmittel- und Viehfutterindustrie mit wichtigen Aminosäuren zu versorgen. Dies haben die beiden Schweizer Michael Gass und Roland Ruegsegger erkannt und im beschaulichen Brensbach im Odenwald eine Aufbereitungsproduktion ins Leben gerufen, die in jeder Hinsicht zukunftsweisend ist: Der gesamte Produktionsprozess kann durch eine wirtschaftliche Synergie von Biogasanlage und Raffinerie als reines „Upcycling“, also eine Produktion ohne Abfälle und Fremdenergie, bezeichnet werden.

 

Von der Wiese

in die Baukonstruktion

 

Aber wie funktioniert das? Das Prinzip ist relativ einfach: Zunächst wird das Wiesengras, meist das so genannte Deutsche Weidelgras (eine weitestgehend unempfindliche Grassorte, die in ganz Europa als Weide- und Wiesengras kultiviert wird), siliert. Durch diese Silage wandeln die im Gras enthaltenen Milch­säurebakterien Zucker in Säure um. Der ph-Wert fällt durch den Prozess in einen Bereich von 4,0 bis 4,5 ab. Dieser natürliche Vorgang ist wichtig, um pflanzeneigene Enzyme sowie Mikroorganismen wie Bakterien oder Schimmelpilze zu unterdrücken und gärschädliche Bakterien am Wachstum zu hindern.

Nach der Silage wird das Wiesengras mit der Hilfe von warmem Wasser in mehreren Waschgängen ausgewaschen und hierdurch komplett in seine Einzelteile zerlegt. Danach sind im Wesentlichen zwei Bestandteile übrig: Eine dunkelgrüne wässrige Brühe sowie die reine Zellulosefaser. Die dunkelgrüne Brühe enthält alle löslichen Teile der Pflanze, wie beispielsweise Nitrate, Phosphate, Kalium, Stickstoff und einige Aminosäuren, die in weiteren Aufspaltungsverfahren herausgefiltert werden. Was danach noch an wässriger Lösung übrig bleibt, wird im besten Fall, wie auch bei der Produktion im Odenwald, zur Erzeugung von elektrischem Strom und Wärmeenergie in eine Biogasanlage weitergeleitet und als geklärtes Prozesswasser zurück in die Wiesengrasaufbereitung geführt. Auf diese Weise wird kein Tropfen Flüssigkeit verschwendet und die Zufuhr von externem Trinkwasser unterbunden. Positiver Nebeneffekt: Die für die Wiesengrasaufbereitung nötige Wärmeenergie und der elektrische Strom werden gleich mitgeliefert.

Die herausgewaschenen faserigen Bestandteile des Grases, die Zellulose, kann nun prinzipiell schon zur Pressung von Ausbauplatten oder als Faserunterstützung für Kunststoffe dienen. Zur Verwendung als Zellulosedämmstoff nach mitteleuropäischen Vorschriften muss jedoch noch ein zusätzlicher Brand- und Rauchschutz beigefügt werden. Diese Aufgabe wird durch die Zumischung von Borsalz gelöst. Nach dem Zumischen des Borsalzes und der anschließenden Trocknung in der Trockenstraße erhält man einen Einblas- und Stopfdämmstoff, der aus etwa 85 Prozent Zellulose, 5 Prozent Borsalz und 10 Prozent Wasser besteht, zudem absolut hautfreundlich beim Einbau und bei der Entsorgung sogar kompostierfähig ist. Im Gegensatz zu anderen Zellulosedämmstoffen sind hier keine naturfremden Nebenprodukte, wie beispielsweise Druckerschwärze bei den Papierzellulose-Dämmstoffen, vorhanden.

 

Gute Ökobilanz

durch kurze Transportwege

 

Ein grundsätzlicher Vorteil von Wiesengras ist die hervorragende Verfügbarkeit, weshalb der Rohstofftransport zur Produktionsstätte in der Regel aus einem Umkreis von nur 20 km erfolgt. Wo andere Rohstoffe zunächst hunderte von Kilometern durch das Land transportiert werden müssen, wird das Wiesengras direkt aus der Nachbarschaft durch die regionalen Landwirte angebaut und eingefahren. Die Art der Aufbereitung und die kurzen Transportwege verleihen dem Produkt einen hervorragenden Ökobilanzwert, welcher durch angestrebte Lizenzvergaben und somit landesweit verteilte Produktionsstandorte momentan von keinem anderen Dämmstoff erreicht werden kann. Am Ende steht ein echter Biodämmstoff, der für die Endverbraucher durch die günstige Produktion einen deutlichen Preisvorteil darstellt. Deswegen müssen Handwerker bei der Verarbeitung von Wiesengras ihre Wettbewerbsfähigkeit auch nicht durch ruinöse Billiglöhne sicherstellen. 

 

Verarbeitung von

Wiesengrasdämmung

 

In der Baubranche wird die Wiesengraszellulose vorwiegend für Ein- oder Aufblasdämmung angewendet (bauaufsichtliche Zulassung Nr. Z-23.11-1628). Was grundsätz­lich bei allen Dämmstoffen aus pflanzlichen Rohstoffen (ausgenommen Korkdämmung) berücksichtigt werden muss, ist ein Schutz gegen von außen oder innen (Kondensat) eindringende Feuchtigkeit – ein nasser Dämmstoff verliert grundsätzlich den Großteil seiner Wärmedämmfähigkeit. Beim Einblasen von faserigen Dämmstoffen und bei Stopfdämmungen muss überdies darauf geachtet werden, dass tatsächlich der gesamte Hohlraum vollständig und gleichmäßig gedämmt ist. Sind Fehlstellen vorhanden, entstehen Wärmebrücken, welche eine kühlere Bauteiloberfläche zum Resultat haben. Dort kann in der Folge Feuchtigkeit kondensieren, Staub aus der Umgebungsluft haften bleiben und im schlechtesten Fall Schimmelpilzbildung auftreten. Wie bei den meisten handwerklichen Arbeiten muss also auch hier auf äußerste Sorgfalt beim Einbau geachtet werden. In Gebieten mit ein- oder auslaufendem Flugverkehr (Flughafennähe, Flugübungszonen) sollte der Handwerker zudem die gedämmte Ebene nach einer ­ge­wissen Setzungsphase noch­mals kontrollieren und ge­gebenenfalls eine weitere Einblasung vornehmen. Hier kann es nämlich aufgrund der Vibrationen durch die von den Flugzeugen erzeugten Schallwellen (Vibro-Akustik) zu einer nachträglichen Setzung kommen. Dies ist jedoch in Regionen ohne Flugverkehr ausgeschlossen. Der Einbau der Wiesengraszellulose funktioniert genauso wie der Einbau von allen anderen Zellu­losedämmstoffen: Bei der Ein­blasung in kleinräumige Hohlräume genügen Bohrlöcher mit einem Durchmesser von 25 bis 35 mm. Für leicht zugängliche Decken oder noch offene Fußbodenkonstruktionen kann Wiesengras auch als Schüttware genutzt werden. Der Hersteller (Bio-wert Industrie GmbH) empfiehlt zur Verarbeitung die Anlagen der Firma X-Floc Dämmtechnik-Maschinen GmbH aus Renningen. Es können jedoch auch andere konventionelle Maschinen ohne nennenswerte Umbauten eingesetzt werden. Ideal ist die Verwendung einer entlüfteten Drehdüse als Einblasdüse, vor allem für vertikal stehende, luftdichte Trockenbaukonstruktionen wie Vorsatzschalen und Trennwandsysteme. Aber auch bei Einblasarbeiten zwischen Folien und Baupappen ist diese Düse hilfreich. Der Vorteil dieser belüfteten Drehdüsen ist, dass beim Verblasvorgang die Förderluft über einen an der Düse befindlichen Gitterkorb abgeleitet und somit ein zu hoher Druck in der Baukonstruktion verhindert wird. Sind druckfeste Beplankungen an der Konstruktion angebracht, erfolgt diese Entlüftung passiv über einen Baumwollsack. Durch das Drehen des Düseneinsatzes wird das Material zielgerichtet in das Feld eingebracht. Beim Einblasen bildet Wiesengras ein dreidimensionales Vlies, was wiederum eine geringe Verdichtungsneigung und damit hohe Formbeständigkeit gewährleistet.

 

Materialkennwerte

 

Die Rohdichte des Dämmstoffes liegt freiliegend bei etwa 35 bis 50 kg, raumausfüllend – also im eingeblasenen Zustand – bei etwa 40 bis 65 kg. Mit einer Wärmeleitfähigkeit von 0,040 W/mK nach DIN 52612 erreicht dieser Dämmstoff einen guten Wert im Verhältnis zu technisch ähnlich zu verarbeitenden Produkten. Auch der mit 1 - 2 µ angegebene Wasserdampfdiffusionswiderstand des Dämmstoffs ist von Vorteil – gerade in Zeiten von allgemein geforderten diffusionsoffenen Wandaufbauten. Geliefert wird die Wiesengraszellulose in handlichen 11 kg PE-Säcken; sie kann jedoch nach Absprache auch in größeren „Big Packs“ konfektioniert werden.

 

Fazit

 

Wenn Sie als Handwerker ihrem Kunden für die Einblasdämmung einen echten Biodämmstoff an­bieten wollen, kommen Sie um die Wiesengrasdämmung kaum herum. Eine ökologisch-biologisch nahezu perfekte Aufbereitung, die keine bedenklichen Schadstoffe wäh­rend der Raffinerie oder im einbaufertigen Produkt erzeugt und dazu noch ein bauaufsichtlich zugelassener Baustoff von der Weide nebenan – das sind Punkte, die ökologisch denkende Auftraggeber überzeugen werden.

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