Ungleiche Schwestern

Einst als Wohnstift für ältere Damen erbaut, genügte das Bielefelder Upmannstift nach fast 130 Jahren nicht mehr den in der Pflege gestiegenen Anforderungen. Das Büro Hauer & Kortemeier baute das Wohnstift zu Eigentumswohnungen um und ersetzte den Anbau der 1960er Jahre durch einen eigenständigen Neubau aus.

Schaut man sich im Bielefelder Westen um, dem Teil der Stadt, der sich sanft den Johannisberg hinaufzieht, vermutet man ein derart repräsentatives Gebäude dort nicht. Zwar stehen allerorten großbürgerliche Villen und alte Bäume, aber der prächtige Bau des Upmannstifts sticht deutlich aus der Umgebung hervor. Dies nicht ohne Grund, handelt es sich doch um eine 1876 vom Bielefelder Hermann Upmann gestiftete und nach ihm benannte Wohnanlage, die man damals im klassizistischen Stil wie ein kleines Schloss mit zwei Flügeln und einem repräsentativen Eingang mit Portikus erbaute.

Fast 130 Jahre lang diente das von einer Stiftung finanzierte Wohnstift älteren Damen der „gebildeten Stände“, ging dabei in den 1990er Jahren in die Trägerschaft der Bielefelder Diakonie über und wurde von dieser 2006 an die G eins Industrie- und Wohnbau GmbH verkauft. „Zu diesem Zeitpunkt stand das Gebäude schon zwei Jahre leer. Für den damaligen Träger war es nicht mehr möglich, die gestiegenen Anforderungen an den Brandschutz und die behindertengerechte Erschließung zu erfüllen“, erinnert sich Friederike Kriete vom Gütersloher Büro Hauer & Kortemeier Architekten, das der Käufer mit der Sanierungs- und Umbauplanung sowie dem Entwurf eines Neubaus betraute.

 

Alt- und Neubau nebeneinander

Um das rund 5600 m2 große innenstadtnahe Grundstück mit einer wirtschaftlichen Bebauung zu nutzen, hatte man schon in den 1960er Jahren an das Upmannstift einen unsensiblen Anbau angefügt. Den rissen die Handwerker nun ab und errichteten neben dem Bestand nach Plänen des Büros Hauer & Kortemeier Architekten einen Neubau, der mit seiner Kubatur und Putzfassade in Gestaltung und Gliederung auf den Altbau eingeht. Eine Verbindung zwischen Alt- und Neubau besteht lediglich über die gemeinsame Tiefgarage, in die man dank der Hanglage ebenerdig hineinfahren kann. Der Altbau bleibt dabei im wahrsten Sinne des Wortes immer im Vordergrund, der Neubau ist im Verhältnis zu diesem deutlich zurückgesetzt.

 

Spurensicherung

„Wir haben versucht, bei der Sanierung soviel wie möglich von der Originalsubstanz zu erhalten“, sagt Friederike Kriete. Dies betraf sowohl die Substanz selbst, als auch die daran anhaftenden Zeit- und Nutzungsspuren. So sind an der von klassizistischen Putzprofilen gegliederten Altbaufassade die „Narben“ der gefühllosen Verbindung mit dem abgerissenen Anbau der 1960er Jahre auch nach der Sanierung bewusst noch zu sehen. Auch die Bruchstellen der zum Teil aus Naturstein, aus verputzten Ziegelkernen und am Dach sogar aus Holz bestehenden Gesimse sind nach Absprache mit der Denkmalpflege an der mit Mineralfarbe von Keim weiß gestrichenen Fassade noch ablesbar. Aber auch der jetzt vorgenommene Umbau fügt dem Altbau neue Spuren hinzu: So schnitten die Handwerker auf der Hangseite im Obergeschoss die Brüstungen unter zwei Fenstern auf, um dort Türen einzubauen, durch die man über 18 m lange Stahlbrücken zu den im Hang auf gleicher Höhe liegenden Terrassen kommt.

Im Inneren konnten unter anderem die modern wirkenden Bodenfliesen im Sockelgeschoss erhalten bleiben. Das Treppenhaus wurde aufgearbeitet und die eindrucksvolle Malerei an den Wänden rekonstruiert. Auch hier achtete man darauf, die Spuren der Zeit nicht zu übertünchen, sondern stellte im Gegenteil das, was der Geschmack der Zeit den Treppenhauswänden an Farbe hinzugefügt hatte, deutlich heraus. So entsteht ein krasser Kontrast zwischen der fein rekonstruierten Malerei und den freigelegten groben Farb- respektive Zeitschichten.

 

Zusammenschluss der Räume zu Wohnungen

Aber nicht alles konnte oder sollte erhalten bleiben. So entfernten die Handwerker die Metalldecken, die man in den 1960er Jahren überall eingebaut hatte. Auch galt es die vergleichsweise kleinen Räume der „älteren Damen“ für die fünf neuen Eigentumswohnungen im Altbau zu öffnen und zusammenzuschließen. Ursprünglich reihten sich die im Wechsel nur 2 und 3 m breiten Räume in den etagen- und flügelweise aufgeteilten Grundrissen an den Fluren entlang. Das war für die neue Wohnnutzung entschieden zu klein. Daher öffneten die Handwerker die tragende Fachwerkinnenwand der Flure. Die Last der Decken darüber tragen heute Doppel-T-Träger auf die Außenwände ab. „Grundprämisse war jedoch auch hier, die ursprüngliche Struktur zu erhalten“, so Friederike Kriete. Und das ist den Architekten durch sensible Einschnitte unter Erhaltung historischer Elemente auch gelungen. Selbst bei der geschossübergreifenden Zusammenlegung von Räumen konnte dies umgesetzt werden.

 

Ertüchtigung der Holzbalkendecken mit doppeltem Anlauf

Zusammen mit dem Architekten und Statiker vereinbarten die Zimmerleute von Holzbau Vorderwisch aus Gütersloh, die Balkenlagen der alten Decken dort zu verstärken, wo diese im Mauerwerk auflagen. Nachdem die Ziegelmauern vom alten Innenputz und die Auflager vom Mörtel befreit waren, zeigte sich nämlich, dass viele der Balkenköpfe zum Teil angefault waren. Die Zimmerleute verstärkten die alten Balken an den Auflagern, indem sie links und rechts an die Balkenköpfe mit Geka-Holzverbindern und Bolzen neue Holzbalken befestigten. „Als wir zu 99 Prozent mit der Arbeit fertig waren, entdeckte ein Elektriker beim Schlitze fräsen Reste von Mauerschwamm“, erinnert sich Hans-Peter Vorderwisch. Dabei hatte man das gesamte Gebäude vorher akribisch untersucht. Der Mauerschwamm hatte sich im Spalt zwischen den beiden Mauerschalen unerkennbar versteckt. „Dann haben wir die gut 100 Balkenköpfe, die wir gerade saniert hatten, abgeschnitten und über U-Stahllaschen angeschlossen, damit die Holzbalken nicht in direkter Verbindung mit dem Mauerwerk stehen.“ Zusätzlich wurde das gesamte Gebäude für den thermischen Holzschutz auf etwa 90 Grad Celsius aufgeheizt. „Da durften wir uns natürlich nicht auf der Baustelle aufhalten“, so Zimmermeister Vorderwisch. „Vor den Architekten vom Büro Hauer & Kortemeier muss ich den Hut ziehen, dass sie alles so konsequent durchgezogen haben, denn wir haben unsere Arbeit letztendlich doppelt gemacht“, meint der geprüfte Restaurator im Zimmererhandwerk.

Unter die sanierten Holzbalkendecken montierten die Trockenbauer aus Gründen des Brand- und Schallschutzes schließlich Leichtbauprofile für eine freitragende Gipskartondecke.

 

Energetische Ertüchtigung

Da das Dachgeschoss nur als Abstellfläche genutzt werden soll, erhielt die Decke im zweiten Obergeschoss über der freitragenden Gipskartondecke eine Mineralwolledämmung.

Das zweischalige Ziegelmauerwerk dämmten die Handwerker hingegen mit Perlite-Kügelchen – einem im Ursprung vulkanischen und damit natürlichen Dämmmaterial. Dieses wurde über Bohrlöcher in den Lagerfugen zwischen den Ziegelsteinen in den Zwischenraum des zweischaligen Mauerwerks eingeblasen. Da die Außenmauern im Sockelgeschoss jedoch monolithisch sind, erhielt dieser Gebäudeteil eine Innendämmung aus vollflächig verklebten Mineraldämmplatten. Darüber hinaus wurden sämtliche Fenster in Absprache mit der Denkmalpflege gegen isolierverglaste Holzfenster mit klassizistischer Sprossenteilung ausgetauscht.

Der sanierte Altbau des Upmannstifts wurde mit einem unabhängigen Neubau ergänzt

Pläne und Artikel

Hier finden Sie den Artikel aus der Bielefelder Sonntagszeitung von 1875 sowie sämtliche Pläne zum Dowonload als PDF.

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