Sanierung der alten Kirche Canitz in Riesa

Es ist vor allen Dingen den engagierten Bürgern von Canitz zu verdanken, dass die alte Dorfkirche wieder aufgebaut wurde. Allerdings nicht in einer historisierenden Rekonstruktion, sondern in einer angemessen modernen Interpretation. Die raumhohe, verglaste Pfosten-Riegel-Fassade setzt Akzente.

Die kleine Kirche von Canitz belegt wunderbar, dass die Wichtigkeit und Bedeutung eines Gebäudes nicht per se in seiner Größe oder der Extravaganz der verwendeten Baumaterialien liegt. Die kleine, etwa 190 m2 große Dorfkirche im Riesaer Ortsteil Canitz in Sachsen hat ihren Wiederaufbau in erster Linie einem engagierten Bürgerverein zu verdanken, dem 20 Jahre lang nicht die Luft ausging, um dem Dorf seine Kirche und einen Ort der Begegnung und des Miteinanders wiederzugeben.

Zunächst musste der alte Putz von der  Fassade abgetragen werden
Foto: Peter Zirkel

Zunächst musste der alte Putz von der  Fassade abgetragen werden
Foto: Peter Zirkel
Nachdem die Kirche 1975 geschlossen (aber nicht entweiht!) worden war, gründete sich 30 Jahre später der Verein zur Förderung des Wiederaufbaus der Kirche, der sowohl von Gemeindemitgliedern als auch durch Bewohner des Ortes getragen wurde. 20 weitere Jahre später wurde der ehrenamtliche Einsatz, bei dem es nicht zuletzt um einen recht hohen Eigenanteil bei den Sanierungskosten ging, belohnt: Die evangelische Kirchengemeinde Oschatzer Land willigte in die Sanierung ein, die Kirche wurde gesichert und ein Wettbewerbsverfahren mit vier eingeladenen Architekturbüros durchgeführt. Das Büro Peter Zirkel Architekten ging als Sieger hervor und verhalf Canitz zu einem modernen, mit Feingefühl rekonstruierten, multifunktionalen Kirchenraum.

Die Idee

Der Ursprungsbau der Kirche stammt bereits aus dem 13. Jahrhundert in den Abmessungen des heutigen Kirchenraums. Ab 1697 war die Kirche in mehreren Phasen erweitert worden, zunächst an der westlichen Stirnseite um einen Turm und später an der östlichen Giebelseite um einen rechteckigen Chorraum mit zwei Nebenräumen. 1968 wurde die Kirche geschlossen und 1975 wegen Baufälligkeit und fehlender finanzieller Mittel in großen Teilen abgerissen. Die Umfassungsmauern hat man auf einer Höhe von etwa 5 m geschliffen.

Die Kirche war 1968 geschlossen worden und verkam zur Ruine  
Foto: Förderverein Kirche Canitz

Die Kirche war 1968 geschlossen worden und verkam zur Ruine  
Foto: Förderverein Kirche Canitz
Der Bauschutt verblieb an Ort und Stelle im Inneren der Mauern und die Ruine begann zu überwuchern. Bei der jetzigen Initiative ging es also nicht allein um den Wiederaufbau eines Gotteshauses, sondern auch um die Wiederbelebung des alten Ortskerns, der Schaffung eines Begegnungszentrums auch für weltliche Veranstaltungen. 2018 schließlich wurden erste Sicherungsarbeiten nach einem Gutachten des Architektur- und Bauforschungsbüros Kern durchgeführt und das Kirchenschiff und der Turmstumpf mit einem Dach versehen. Die Idee des Büros Zirkel setzt genau dort an: Der ehemalige Altarbereich an der Ostseite wurde nicht überdacht, er setzt heute den Kirchenraum als kleinen, geschützten Innenhof fort und kann für Freilufttaufen oder -konzerte genutzt werden.

Den neuen, sehr modernen Abschluss des Innenraums bildet eine raumhohe, verglaste Pfosten-Riegel-Fassade mit unterschiedlich dicht gesetzten, vertikalen Holzlamellen. Durch diese Lösung bleibt die Sichtverbindung nach draußen beziehungsweise zum ehemaligen Altarraum erhalten und gleichzeitig bieten die im Zentrum sehr dicht gesetzten Lamellen einen Hintergrund hinter dem jetzigen Altartisch, so dass die Pastorin für die Gemeinde nicht nur in ihren Umrissen vor dem Gegenlicht der Glasfassade erscheint. Betreten wird die Kirche über den ehemaligen Turm an der Westseite. Von diesem Vorraum gelangen die Besucherinnen und Besucher in den Hauptraum und der Organist zu seinem Instrument auf der Empore.

Der Umgang mit dem Bestand

„Eine Besonderheit an dem Projekt war für uns, dass es sich im Prinzip um einen sehr einfachen Bau handelt, insofern, dass das Gebäude nicht beheizt, klimatisiert oder über eine Lüftungsanlage belüftet wird“, erklärt Architekt Conrad Lohmann, Projektleiter im Büro Peter Zirkel Architekten. „Dadurch, dass die Haustechnik so reduziert war, mussten entsprechend weniger Schnittstellen berücksichtigt und Kompromisse gemacht werden. Reduzierung, auch bei den eingesetzten Baumaterialien, war für uns ein wesentlicher Aspekt des Entwurfs.“ Und so sind es Kalk, Sandstein und Holz, die die Gestaltung der Kirche heute bestimmen. Wichtig war auch, die gesicherten Wände sowie die Böden behutsam zu reparieren und die vorgefundenen Baumaterialien, wie die alten Sandsteinplatten, in den Entwurf einzubinden. Dafür mussten zunächst sämtliche Wände vom alten Putz befreit und alle Bodenplatten entfernt werden.

Der Bauschutt aus dem Inneren der Kirche war bereits im Zuge der Sicherungsarbeiten herausgeräumt worden. Nun mussten also zunächst die alten Sandstein-Bodenplatten, die später wiederverwendet werden sollten,  abgenommen und zwischengelagert werden. „Wir haben alle Platten sortiert, nummeriert und neben der Kirche gelagert“, erzählt Dirk Kühn von der Firma Pfennig-Bau. „Anschließend mussten wir den Boden abtragen und für den neuen Aufbau vorbereiten. Beim Abtragen des Bodens sind wir sehr sorgfältig vorgegangen und haben mehr geschürft denn gebaggert, um keine archäologischen Funde zu übersehen. Und tatsächlich stießen wir auf eine Gruft mit alten Gebeinen!“ Die Gruft musste entsprechend gesichert und abgedeckt werden, bevor später der neue Bodenaufbau aufgebracht werden konnte. Da hier wegen des Gruftfundes eine Verdichtung des Grundes nicht mehr in Frage kam, wurde ein verdichtungsfreier Dränbeton als tragfähiger und wasserdurchlässiger Unterbau eingebracht.

Putz restauratorisch gesichert

Zunächst aber musste der alte Putz von den Wänden abgetragen werden. Während der Putz der Außenwände komplett abgeschlagen wurde, gab es im Inneren Putzfragmente, die restauratorisch gesichert wurden. „Wie mit dem Denkmalschutz abgesprochen, ging es darum, die Fragmente zu erhalten, nicht aber diese sichtbar zu lassen“, so Bauleiter Kühn. „Die Flächen wurden angearbeitet, also einmal mit dem hydraulischen, nicht-wasserabweisenden Kalkputz übergeputzt und anschließend mit Silikatfarbe übergestrichen.“

An den Außenwänden trugen die Handwerker wasserabweisenden, natürlich hydraulischen Kalkputz in zwei, teilweise drei Lagen auf  
Foto: Peter Zirkel

An den Außenwänden trugen die Handwerker wasserabweisenden, natürlich hydraulischen Kalkputz in zwei, teilweise drei Lagen auf  
Foto: Peter Zirkel
An den Außenwänden trugen die Handwerker wasserabweisenden, natürlich hydraulischen Kalkputz in zwei, teilweise drei Lagen mit geriebener Oberfläche auf. Ursprünglich hatten die Architekten die Idee, nur mit einer Schlämme zu arbeiten, um die Struktur der Steine sichtbar zu lassen. Im Endeffekt stellte sich allerdings heraus, dass doch sehr viele nicht bauzeitliche Ausbesserungen mit Ziegeln in den Wänden vorgenommen worden waren, was gegen die Schlämme sprach. Da zudem die Variante des zweilagigen Putzes deutlich wartungsfreier ist, fiel die Entscheidung am Ende nicht schwer. Bevor allerdings mit dem Verputzen der Innenwände begonnen wurde, konnte die große, bis unter das Dach reichende Pfosten-Riegel-Fassade an der Ostseite montiert werden.

Arbeiten im Innenraum

Auch die anderen Fenster wurden eingebaut, Kabel für Beleuchtung und Ton sowie der Strom der Sitzbankbeheizungen verlegt. Anfang 2022 wurde die neue Empore fertiggestellt. Diese ist deutlich kleiner als ihre Vorgängerin, die sich in einer U-Form über drei Seiten erstreckte. Die neue Empore bietet lediglich Platz für die Orgel und den Organisten, passt aber sehr gut in Größe und Anmutung in das Gesamtensemble.

Erst nachdem sämtliche Umfassungswände saniert, restauriert und verputzt sowie alle Fenster ausgetauscht waren, wurde die neue Dränbetonschicht eingebracht, um hierauf die Sandsteinplatten verlegen zu können. Bei den neuen Platten handelt es sich um gesägten Postaer Sandstein, der lediglich in wenigen Tälern des Elbsandsteingebirges vorkommt. Unterschiedliche Plattengrößen helfen bei der Zonierung des Kirchenraums. Im Bereich der Kirchenbänke verlegten die Handwerker kleinere, unterschiedliche Formate, während im Rest des Kirchraumes gleichförmige, große Platten mit einem Maß von 60 x 60 cm für mehr Großzügigkeit und Ruhe sorgen.

Zoniert wurde auch im ehemaligen Altarraum, dem jetzigen Hofbereich. Hier zeichnen die alten Platten im Wechsel mit einer gebundenen Decke den ehemaligen Grundriss des Altarraums mit seinen Nebenräumen nach. In den Bruchsteinwänden des Hofs wurden ruinöse Wandstücke entfernt und ergänzt. Die ehemaligen Fensteröffnungen in den Wandstücken wurden vermauert, blieben aber als Relief ablesbar. Die Wände wurden abschließend mit einem einlagigen Kalkputz sowie einem zweilagigen Kalkschlämmanstrich überzogen und mit einer Abdeckung aus Schlesischem Sandstein, die in einer ausgleichenden Schicht aus historischem Werksteinmörtel liegt, gesichert.

Elemente aus Esche, Lärche, Eiche und Fichte

Der Altarraum samt Empore zeigt sich nun in schlichtem Weiß. Das Mobiliar besteht aus weislasiertem Eschenholz   
Foto: Förderverein Kirche Canitz

Der Altarraum samt Empore zeigt sich nun in schlichtem Weiß. Das Mobiliar besteht aus weislasiertem Eschenholz   
Foto: Förderverein Kirche Canitz
Das Mobiliar der Kirche, also Kirchenbänke, Altar und Lesepult, stammt ebenfalls aus der Feder des Architekturbüros Peter Zirkel und wurde von der Tischlerei Holzwelten aus Oschatz aus Eschenholz angefertigt. „Das Holz der Esche ist sehr stabil. Seine Härte ist mit dem der Eiche vergleichbar, aber das Holz ist deutlich heller“, erläutert Tischlermeister Frank Schöche die Entscheidung, die so vom Architekten vorgegeben war. Um ein harmonisches Gesamtbild mit der Emporenverkleidung, der Tür an der Westseite, der Pfosten-Riegel-Fassade mit ihren Lamellen sowie den anderen Fenstern zu erreichen, wurden sie abschließend weiß lasiert. Die Bänke sind nicht am Boden verschraubt, um den Raum auch für andere Veranstaltungen, beispielsweise weltliche Trauerfeiern und kulturelle Anlässe, flexibel zur Verfügung stellen zu können.

Die Fenster wurden aus Sibirischer Lärche gefertigt, die Tür im Westen aus Eiche und die Emporenverkleidung aus Fichte. Während also auch die Fenster raumseitig mit einer weißpigmentierten Lasur gestrichen sind, treten sie nach außen mit einem metallisch schimmernden Grauton in Erscheinung. Durch den Verzicht auf eine vertikale Gliederung und ein tiefes Leibungsfutter sollen die Fenster als moderne Ergänzung erkennbar bleiben.

Autorin

Dipl.-Ing. Nina Greve studierte Architektur in Braunschweig und Kassel. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Lübeck (www.abteilung12.de) und ist unter anderem für die Zeitschriften DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau tätig.

Baubeteiligte (Auswahl)

Bauherr Ev.-Luth. Kirchgemeide, Oschatz                                                       

Architektur Peter Zirkel Gesellschaft von Architekten mbH, Dresden, peterzirkel.de

Tragwerksplanung Engelbach+Partner Ingenieurgesellschaft Dresden, www.engelbach-ingenieure.de

Putzarbeiten / Vorbereitung Bodenaufbau Pfennig Bau GmbH & Co.KG, Oschatz, www.pfennig-bau.de

Verlegen Sandsteinplatten OPTI-Bau-GmbH, Riesa, www.optibau-riesa.de

Tischlerei

Möbel Tischlerei Holzwelten, Oschatz, www.tischlerei-holzwelten.de

Empore Baubetrieb Voigtländer GmbH, Oschatz, www.baubetrieb-voigtlaender.de                    

Fensterbau Tischlerei Kitzing, Naundorf OT Hof,  www.tischlerei-kitzing.de

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