Hausgemeinschaft für junge Menschen mit Demenz in einem sanierten Fachwerkhaus samt Anbau in Mastholte

Im Dorf Mastholte im ostwestfälischen Rietberg wurde das bisher einzigartige Pilotprojekt einer Hausgemeinschaft für junge Menschen mit Demenzerkrankung in Deutschland realisiert. Ermöglicht wurde die Idee durch die Sanierung eines alten Fachwerkhauses und den Anbau eines neuen Wohngebäudes.  

Neubau und Fachwerkhaus bilden in Mastholte eine Einheit und sind umgeben von einem idyllischen Garten
Foto: Verein Daheim

Neubau und Fachwerkhaus bilden in Mastholte eine Einheit und sind umgeben von einem idyllischen Garten
Foto: Verein Daheim
Sitzecken und Bänke unter alten Eichen und breite Spazierwege verleihen dem rotgeklinkerten Fachwerkhaus eine idyllische Atmosphäre. Der Garten umfasst 2900 m2 und ist kein abgelegener Ort irgendwo am Stadtrand. Der Hof Duhme liegt in der Dorfmitte von Mastholte, einem Ortsteil von Rietberg im Kreis Gütersloh. Er wurde saniert, um einen Anbau ergänzt und bietet nun Menschen, die im jüngeren Lebensalter von einer Demenz betroffen sind, ein betreutes Zuhause. Das Pilotprojekt setzt in Ostwestfalen-Lippe Maßstäbe und ist ein Vorbild für andere Regionen.

Bei der umfassenden Sanierung spielte die Geschichte des Hofes eine große Rolle. Johannes Henricus Meyer Duhme ließ das Fachwerkhaus 1728 erbauen, wie es in einem Torbogen verzeichnet ist. Heimatkundler vermuten, dass es sicherlich einen Vorgänger-Bau gibt, denn Hof Duhme gehört zu den ältesten Hofanlagen in Moese, wie der Ortsteil von Rietberg früher hieß. 1498 wird der Hof in alten Aufzeichnungen  als „Dune“ bezeichnet, was für Sumpf steht. Es wird also eine Hofstelle beschrieben, die in einem Feucht- beziehungsweise Moorgebiet liegt. Daher wird als Gründungsdatum das 15. Jahrhundert angenommen.

Sonntagsandachten im Meierhof

Bauherr Johannes Meyer Duhme hatte den „Meister“-Titel. Er war zuständig für die Abgaben aller umliegenden kleineren Höfe an den damaligen Grafen. Daher handelte es sich bei Duhmes Hof um einen Meierhof. Dieser gilt als Keimzelle des Dorfes. Da die Pfarrkirche St. Jakobus erst 1570 gebaut wurde, fanden Sonntagsandachten auf der Deele des Meierhofes statt. Die zugehörige Kirche in Wadersloh war den Gläubigen wegen des Fußweges von 12 Kilometern zu weit weg.

„Im 19. und 20. Jahrhundert war das Hofgelände auch Teil des traditionellen Jakobi-Marktes. Damals wurden vor allem Pferde und Nutztiere dort verkauft“, schildert Architektin Ute Kleinewietfeld. In den vergangenen Jahren gab es einen langen Leerstand. Es war nicht klar, was mit dem stark verfallenen Gebäude geschehen sollte. „Die Mastholter befürchteten, dass der Hof abgerissen werden würde und sorgten sich sehr, was mit ihrer Dorfmitte geschehen würde“, erinnern sich Ute und Josef Kleinewietfeld.

Unternehmerfamilien gründen Stiftung

Bei dem Fachwerkhaus handelt sich um ein Vier-Ständer-Fleetdeelen-Haus
Foto: Kleinewietfeld Architekten

Bei dem Fachwerkhaus handelt sich um ein Vier-Ständer-Fleetdeelen-Haus
Foto: Kleinewietfeld Architekten
Vor rund fünf Jahren entstand eine Vision: Die Hofstelle sollte wieder bewohnt werden und einer Hausgemeinschaft für Demenzkranke ein neues Zuhause bieten.  Sie sollten inmitten einer dörflichen Gemeinschaft leben.  „Angehörige und Demenzkranke sollen sich integriert fühlen“, macht Christoph Ruoff deutlich. Für seine Frau Margot und ihn sowie für die Eheleute Monika und Ferdinand Kraft war die Hofstelle durch ihre Geschichte ein idealer Ort. Die Unternehmerfamilien gründeten gemeinsam die Stiftung Duhmes Hof und kauften das Anwesen. In der Kooperation mit dem Verein Daheim e.V. wurde das bisher einzigartige Pilotprojekt einer Hausgemeinschaft für Menschen mit Demenzerkrankung in jungen Jahren in Deutschland realisiert.

Die Planungen für eine Wohngruppe für Demenzkranke unter 65 Jahren begannen Ende 2019, die Bauphase startete Mitte 2021. „Uns allen war die ortsbildprägende Bedeutung der Hofstelle wichtig. Wir wollten den Hof aus dem Dornröschenschlaf holen. Die Gebäude standen nicht unter Denkmalschutz, weil im Laufe der Zeit viele Veränderungen an originalen Bauteilen durchgeführt worden waren. Trotzdem sollte eine substanzerhaltende Sanierung ausgeführt werden“, betont Ute Kleinewietfeld.

Bei dem Fachwerkhaus handelt sich um ein Vier-Ständer-Fleetdeelen-Haus, das sich in einem desolaten Zustand befand. Bei den ersten Begehungen wurde deutlich, dass sich die vorhandenen Räume  nicht für eine Wohngruppe für Demenzkranke eignen. Die Bewohnerzimmer mit eigenem Sanitärraum konnten dort nicht barrierefrei integriert werden. „Die Betroffenen brauchen klare Strukturen, um sich zu orientieren. Ein Treppenhaus samt Aufzugsanlage in den Gebäudebestand einbauen zu müssen, hätte die historische Substanz und den Charakter des Hauses sehr verändert. Daher entstand die Idee, das Fachwerk­gebäude nur für die Wohnräume zu nutzen und die Erschließung und die Bewohnerzimmer in einem neuen Gebäude zu ergänzen“, so die Architektin.

Treppenhaus als Verbindung

So entstand schließlich ein 3-geschossiger Anbau mit insgesamt 12 Bewohnerzimmern und ein großzügiges Treppenhaus inklusive Aufzugsanlage sowie im Bestandsgebäude die Gruppenräume der Demenzgruppe im Fleetbereich mit Galerie. Der Neubau ist durch das Treppenhaus mit dem Fachwerkhaus erschlossen. Wichtigstes Ziel des Gestaltungskonzeptes war es, die verschiedenen Gebäudeteile miteinander in Beziehung zu setzen, so dass Alt- und Neubau als Ensemble wirken.

Gemütlicher Treffpunkt: der Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss. Das sichtbare Fachwerk verweist auf die mehr als 500-jährige Geschichte des Hofes  
Foto: Stiftung Daheim

Gemütlicher Treffpunkt: der Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss. Das sichtbare Fachwerk verweist auf die mehr als 500-jährige Geschichte des Hofes  
Foto: Stiftung Daheim
Die aufwändig restaurierten Räume des Fachwerkgebäudes haben eine hohe Aufenthalts- und Lebensqualität. Im Erdgeschoss befinden sich die Gemeinschaftsräume, Nebenräume sowie ein Bereich für die Betreuer im Obergeschoss. „Highlight ist der über zwei Geschosse offene  Fleetbereich mit offener Galerie und Kamin“, schwärmen die Architekten. Ihnen ist es gelungen, großzügige Räume zu schaffen. Das sichtbare Fachwerk verweist auf die mehr als 500-jährige Geschichte des Hofes. Im vorderen Bereich, der ehemaligen Deele, wird ein Café entstehen und in dem ehemaligen Stallanbau zwei Wohnungen mit 75 m2. Die Wohnungen sollen frei vermietet werden.

Das Café besitzt einen Gästebereich im Erdgeschoss in der Deele und den Abseiten und im Obergeschoss auf den so genannten Hillen, wo früher Stroh und Heu gelagert wurden. Die Geschossdecke wurde neu als Brettstapeldecke aus Fichte eingebaut, die ursprünglichen Holzbalkendecken waren nicht mehr vorhanden. Das Café soll an die Entstehungsgeschichte des Hofes als Dorfmittelpunkt erinnern und zu einem Treff für die Allgemeinheit werden.

Gebäudeteile waren abgesackt

Die Sanierung des Meierhofes begann mit seiner kompletten Entkernung. Das Fundament wurde angehoben, da es abgesackt war. Hier ist die Stahlbetonsohle teilweise schon erneuert worden
Foto: Kleinewietfeld Architekten

Die Sanierung des Meierhofes begann mit seiner kompletten Entkernung. Das Fundament wurde angehoben, da es abgesackt war. Hier ist die Stahlbetonsohle teilweise schon erneuert worden
Foto: Kleinewietfeld Architekten
Ausgangspunkt der gesamten Sanierung war die Ausrichtung des Fachwerkhauses und Anhebung des Fachwerks um einige cm, um die zweite Geschossebene zu ermöglichen. „Das alte Fundament war abgesackt, die Giebelseite im Westen war gegenüber der Ostseite um circa 18 cm aus der Waage“, sagt Rainer Schnitger von der Rietberger Firma R. Schnitger Fachwerksanierung, Zimmerei, die mit der Fachwerkssanierung beauftragt wurde.

Danach entkernten die Handwerker das Haus, sodass nur noch die alten Fachwerkbalken stehen blieben. „Die Westseite war völlig durchfeuchtet. Bei einer früheren Sanierung war vor die Fachwerkwand eine Vorsatzschale angebracht worden. Dahinter hatte sich mit den Jahren die Feuchtigkeit gesammelt“, blickt der Zimmerer zurück. Daher musste die Westseite komplett erneuert werden. Morsche Balken wurden ausgetauscht und mit altem, regionalen Eichenholz instandgesetzt.

Für die Fassade wählte man einen weichgebrannten Backstein in einem roten Farbton
Foto: Michaela Podschun

Für die Fassade wählte man einen weichgebrannten Backstein in einem roten Farbton
Foto: Michaela Podschun
Für die Ausmauerung der Felder in der Fachwerk-Fassade wählte man einen weichgebrannten Backstein in einem roten Farbton, der zum Charakter des Bauernhauses und zum dörflichen Umfeld passt. Der Wandaufbau besteht aus einer Lehmausgleichsschicht, einer Holzweichfaserplatte von 60 mm sowie einem mehrschichtigen Lehmputz samt Anstrich. Dieser ist feuchtigkeitsregulierend.

Alte Holzbalkendecke ertüchtigt

Der Dachboden des Hauptgebäudes wurde nicht ausgebaut, weil aus optischen Gründen die Dachlandschaft erhalten werden sollte. Auch eine barrierefreie Erschließung dieser Flächen war nicht möglich. Die bestehende Holzbalkendecke wird erhalten, sie wird entsprechend den technischen Anforderungen aufgerüstet. Die Wärmedämmung erfolgt auf der obersten Geschossdecke, die auch die Anforderungen an den Brandschutz erfüllt. Der ehemalige Stallanbau, in dem sich die Wohnungen befinden, wurde nach KFW-Effizienzhaus 55 EE ausgebaut.

Fazit

Wenn es um die Sanierung alter Gebäude geht, spielt die spätere Nutzung eine wichtige Rolle. In Mastholte ist es gelungen, an die Geschichte von Duhmes Hof anzuknüpfen und keine Fremdnutzung anzustreben. Die Demenz-Gemeinschaft kann ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen. Hier wird niemand aufgrund seiner Krankheit isoliert, sondern die Bewohner sind Teil der Dorfgemeinschaft. Ärzte und Geschäfte sind gut erreichbar. Ein Beispiel, das Schule machen sollte. Denn dass Demenz auch jüngere Menschen treffen kann, ist bislang nicht so sehr ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Äußerst behutsam wurde das Fachwerkhaus saniert. Unnötige Eingriffe in die Substanz erfolgten nicht, so dass relativ viel vom alten Bestand bewahrt wurde.

verein-daheim.de

Autorin

Michaela Podschun ist Redakteurin der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.

Baubeteiligte (Auswahl)

Planung und Bauleitung  Kleinewietfeld

Architekten, Rietberg, kleinewietfeld.de

Fachplanungen  Schnatmann Ingenieure im

Bauwesen, Rietberg, www.schnatmann-ingenieure.de 

Fachwerksanierung / Dachsanierung  R. Schnitger, r-schnitger.de

Bauträger Neubau  Huchtmeier & Poll Baugesellschaft mbH Rietberg-Mastholte,

www.huchtmeier-poll.de

Trockenbau Trockenbau Scholtysek, Salzkotten, www.trockenbau-scholtyssek.de

Türen/Deelentore  Wimmelmeier Fenster & Türen Rietberg-Mastholte, www.wimmelmeier.de

Fensterbau Wallach-Bauelemente, Rietberg, www.bauelemente-nrw.de,

Estrich, Bodenbeläge  Einrichtungshaus Hansel, Delbrück, hansel-moebel.de

Malerarbeiten  Malerbetrieb Westermann, Rheda-Wiedenbrück, www.malerbetrieb-westermann.de

Herstellerindex (Auswahl)

Lehm Conluto, Blomberg, www.conluto.de

Fenster Wirus Fenster, Rietberg, www.wirus-fenster.de

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