Spiel mit dem Feuer
Wohnen im Tor der ehemaligen Abtei von Aachen-Burtscheid

Das zu einem Wohnhaus umgebaute Tor der ehemaligen Abtei von Aachen-Burtscheid entsprach nicht mehr den heutigen Brandschutzbestimmungen. Es wurde geräumt und sollte abgerissen werden. Gerettet werden konnte es durch den Einbau eines Brandschutzüberdrucksystems im Treppenhaus.

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Im Mittelalter und selbst noch in der Barockzeit war Burtscheid eine eigenständige Abtei unmittelbar vor den Toren der Stadt Aachen. Im Zuge der Industrialisierung wuchs die Stadt einfach über Burtscheid und das dazu gehörige Kloster hinweg. Städtebaulich behielt Burtscheid aber seine alte Mitte, den Platz vor der Abtei. Tatsächlich hat das Quartier bis heute den Charakter einer „Stadt in der Stadt“, denn hier liegen die Kurkliniken von „Bad Aachen“, ein Name, den die Großstadt ebenfalls führen darf. Die erhaltenen Gebäude der ehemaligen Abtei sind barocken Ursprungs, allen voran die von Johann Joseph Couven geplante Kirche mit ihrer rot geschlämmten Ziegelfassade. Sie gilt als die bedeutendste Barockkirche des Nieder-rheins und thront auf einer Anhöhe oberhalb des Kurviertels.


Baugeschichte

Das ebenfalls rot gehaltene Torhaus, das auch Jonastor genannt wird, wurde 1644 errichtet. Es besitzt sowohl Merkmale der ausgehenden Renaissance als auch solche des Frühbarocks. Leider wurde der Bau 1944 als erstes Gebäude von Burtscheid überhaupt von einer Fliegerbombe getroffen. Zerstört wurde dabei seine Rückseite und es brannte vollständig aus, erhalten blieb letztlich nur die dem Marktplatz zugewandte Hauptfassade. Infolge der Wohnungsnot der Nachkriegszeit und eines dem Erhalt verpflichteten Engagements des damaligen Stadtkonservators Leo Hugot wurde das Tor jedoch wiederaufgebaut. Der Architekt ordnete in der ausgebrannten Gebäudehülle pragmatische Grundrisse an und schuf eine neue Rückfront, die gleichzeitig historisierend und doch modern erscheint. Wie an der Hauptfassade vorgefunden, arbeitete er hier mit kleinen, schießschartenartigen Fensteröffnungen. Leider waren die Lichtöffnungen auf beiden Hausseiten zu schmal, als dass im Brandfall eine Rettung durch Anleitern möglich gewesen wäre. Das störte aber mehr als 50 Jahre lang niemanden.

Erst eine Selbstanzeige des früheren Eigentümers, des Bistums Aachen, führte 2008 überhaupt zur Feststellung dieses Mangels. Daraufhin musste das Gebäude geräumt und ein Sanierungskonzept gesucht werden. Da der Hugot’sche Wiederaufbau der 1950er Jahre nicht unter Denkmalschutz steht, fanden sich rasch einige Investoren, die das Gebäude zugunsten eines Neubaus abreißen wollten. Dagegen formierte sich jedoch eine Protestbewegung, die es nicht hinnehmen wollte, dass die von dieser Toransicht geprägte Ansicht des Burtscheider Marktes etwa einem Seniorenwohnheim (so die Pläne des favorisierten Investors) weichen sollte.

In dieser verfahrenen Situation kaufte Thomas Kempen das Abteitor und begann mit modernsten Methoden, aber unter respektvollem Erhalt des Bestandes, zu sanieren. Er leitet in zweiter Generation das renommierte und über den Aachener Raum hinaus bekannte Ingenieurbüro Kempen Krause. Tatsächlich geht das große Renommee des Büros auf den Wiederaufbau nach dem Krieg zurück. So begleiteten deren Ingenieure konstruktiv und statisch zahlreiche, lokale Wiederaufbauprojekte dieser Zeit, wie etwa die Wiederherstellung des Aachener Doms oder die des stark zerstörten historischen Rathauses. Beides waren seinerzeit Großprojekte von Leo Hugot.


Bauzustand

Abgesehen vom nicht ausreichenden Brandschutz war das Abteitor in einem zwar sanierungsbedürftigen, jedoch nicht desolaten Zustand. Zudem war das alte Dach noch weitgehend dicht. Einige Probleme bereiteten hingegen die zahlreichen Friese, Barockgiebel und Vorsprünge. An diesen Stellen drang Feuchtigkeit in das Gebäude, weshalb sie mit neuen, zusätzlichen Bleiabdeckungen geschützt werden mussten.

Im Inneren behielt man weitgehend die alten Mauerstellungen und Grundrisse bei. Nur die Bäder wurden neu angelegt. Konstruktiv stellte dies die Handwerker vor keine großen Herausforderungen, da sie in der Regel nur mit 6 cm dicken Bimstrennwänden abgeteilt waren. Diese Steinscheiben mussten ohnehin entfernt werden, da sie zum einen keine vernünftige Neuinstallation zuließen und zum anderen ihr Schallschutz vollkommen indiskutabel war. Von Vorteil war bei der Sanierung, dass man im Wiederaufbau Betondecken errichtet hatte, was ein geringfügiges Versetzen nicht tragender Innenwände zuließ.

Einige Wandflächen, vor allem die der fensterlosen Stirnseiten, wiesen Vormauerschalen, ebenfalls aus Bimsstein, auf. Mit ihnen wollte Hugot sicherlich vor dem historischen Bruchsteinmauerwerk eine ebene Innenwandfläche schaffen, gleichzeitig hatten sie aber auch einen dämmenden Effekt. Etwas, dem freilich damals noch niemand Bedeutung beimaß.

In der Wohnung im ersten Obergeschoss auf der rechten Seite ließ Thomas Kempen solch eine Vormauerschale zurückbauen, die Natursteinwand dahinter reinigen und instand setzen.

Der Torbau erhielt zudem auch eine neue Dacheindeckung. Dabei erwies sich der vorhandene Stuhl als weitgehend intakt und musste nur an wenigen Stellen ausgebessert werden. Als Eindeckung wählte man eine klassische Tondachpfanne in Absprache mit der Denkmalbehörde, die in Farbe und Form der früheren entspricht. Auch alle Fenster wurden durch neue Holzfenster mit einer zeitgemäßen Dämmung ersetzt. Diese sind jedoch aufgrund der ausgesprochen kleinen Öffnungsmaße sämtlich Einzelanfertigungen.


Entfluchtung mit Überdruck

Die „Entfluchtung im Brandfalle“ der Abteitorwohnungen erfolgt wie bisher über das einzige Treppenhaus, das man ebenfalls in den 1950er Jahren massiv aus Buchenholz errichtet hatte. Alle von ihm abgehenden Wohnungstüren sind T30-Brandschutztüren, die einen Obentürschließer mit zusätzlicher Steuerungsleitung der Firma Geze besitzen. Diese stellt sicher, dass im Brandfall die Türen infolge eines externen Signals automatisch schließen. Natürlich kann man die Türen im Fluchtfall trotzdem noch passieren, nur fallen sie anschließend sofort wieder zu.

Unter der Treppe im Erdgeschoss wurde zudem ein starkes Gebläse installiert, das im Brandfall anläuft. Es saugt aus der offenen Tordurchfahrt Außenluft an und bläst diese in das Treppenhaus ein. So wird ein geringer Überdruck im Treppenhaus erzeugt, der ein Verrauchen desselben verhindert. Zudem existiert im Dach darüber ein Flächenfenster, das als RWA-Klappe fungiert. Eine elektrische Steuerung sorgt dafür, dass ein gewisser Überdruck nicht überschritten wird – kurz vorher öffnet sich das Dachfenster kurzzeitig. Nach Unterschreiten des Grenzwertes schließt es sich sofort wieder. Eingebaut wurde die Brandschutzanlage durch die Firma Petri Sicherheitstechnik aus Herzogenrath.


Trockenboden auf felsigem Untergrund

Vom Marktplatz aus gesehen schließen rechts an die Tordurchfahrt das besagte Treppenhaus sowie die Erdgeschosswohnung an. Links davon befinden sich zwei kellerartige Lagerräume, die vom Durchgang aus zugänglich sind. Da Thomas Kempen die neu geschaffenen sechs Wohnungen als Ferienwohnungen nutzt, lässt er hier derzeit eine Rezeptions- und Verwaltungseinheit einbauen. Die Arbeit wird maßgeblich von Martin Maassen ausgeführt. Er ist Hausmeister und Techniker des Ingenieurbüros Kempen Krause.

Errichtet hat er derzeit schon die Metallständerkonstruktion, mit der er die beiden Zugänge windfangartig von den Restraumflächen abtrennen wird. Da das historische Bruchsteinmauerwerk immer eine gewisse Restfeuchtigkeit aufweist, verwendet er hier die dagegen unempfindlichen zementgebundenen Bauplatten der Firma Knauf Aquapanel. Hinterfüttern will er die Trockenbauwände mit einer Mineralwolldämmung, da eine gewisse Wärmedämmung sich trotz der gegebenen Natursteinwand empfiehlt.

Eine besondere Herausforderung stellt der felsige Boden der beiden etwa 12 m² großen Kammern dar. Auf diesen montiert er einen Hohlraumboden, dessen Fußkonstruktion er selbst erfunden hat. Beachten muss er dabei, dass die Höhe des Untergrunds stark variiert. Als konstruktive Lösung schweißte der gelernte Schlosser mittig auf die Auflagerplatten ein jeweils etwa 30 cm langes Stahlrohr. In dieses schiebt er jeweils eine passende Gewindestange ein, deren Auszug er exakt mit einer Mutter in der Höhe justieren kann. Am unteren Ende der Gewindestange sitzt ein kleiner Stahlfuß, den er mit einem Stück schwarzer Gummifliese ummantelt hat. Dies soll ein Verrutschen des Stützenfußes auf dem felsigen Boden verhindern.


Das Spiel mit dem Feuer

Die sechs unterschiedlich großen Ferienwohnungen führen alle Namen, die auf ihre Ausgestaltung hinweisen. Besonders bemerkenswert ist die Mezzaninwohnung „Musica“ im Dachgeschoss. Sie erstreckt sich über drei Ebenen und wurde mit diversen Musikinstrumenten dekoriert. Zudem besitzt sie einen großen offenen Kamin. Man kann es als subtile Geste des Trotzes verstehen, dass dieses Haus, das eigentlich dem Brandschutz zum Opfer fallen sollte und das nur durch eine innovative Idee davor bewahrt wurde, eine offene Feuerstelle an einer prominenten Stelle erhalten hat.


Autor

Dipl.-Ing. Robert Mehl studierte Architektur an der RWTH Aachen. Er ist als Architekturfotograf und Fachjournalist tätig und schreibt als freier Autor unter anderem für die Zeitschriften DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau.

Da kein Denkmalschutz bestand, fanden sich rasch einige Investoren, die das Gebäude zugunsten eines Neubaus abreißen wollten

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