Konversion der Überseestadt
Umnutzung von Schuppen und Speichern in Bremen

Die diesjährige Pressefahrt des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz führte Ende April nach Bremen in die Überseestadt, in der umgenutzte Industriedenkmale beweisen, dass es auch für solche Bauten eine finanzierbare Zukunft gibt.

In Bremens Überseestadt haben keine Hedge Fonds, sondern solvente Kaufleute investiert. Rund 300 Millionen Euro flossen zunächst seitens der Stadt in die Infrastruktur, was über eine Milliarde Euro an privaten Investitionen nach sich zog. Nachdem in vielen Schuppen und Speichern die industrielle Lagernutzung zu Ende war, hat sich durch diese Investition die Zahl der dortigen Arbeitsplätze nicht etwa halbiert, sondern von einst 6000 auf 12 000 verdoppelt. Viele der neuen Arbeitsplätze befinden sich in den Büros, die mittlerweile in die einstigen Lagerräume eingezogen sind. Die Firmen hat es zum einen aufgrund des günstigen Mietpreises von unter 5 Euro/m2 aus der Umgebung nach Bremen gezogen. Zum anderen spielte natürlich auch die einzigartige Loft-Atmosphäre der denkmalgeschützten Industriearchitektur eine wichtige Rolle, die vor allem die so genannten kreativen Berufe, also zum Beispiel Architekten, Agenturen für Grafik und Design, usw. lockt. Hinzu kommt eine nach wie vor industrielle und gewerbliche sowie gastronomische Nutzung und ein wenig Wohnen. Letztere findet in der Überseestadt in Neubauten Platz, die auf dem zum Teil zugeschütteten Hafenbecken und auf den durch Abriss frei werdenden Flächen entstehen. Eine lebendige Mischung also.

Fünfzehn Industriegebäude unter Denkmalschutz

Die ursprüngliche Lagernutzung gab man in der Bremer Überseestadt größtenteils schon 1999 aufgrund der Umstellung auf die Container-Schifffahrt auf. Ein Stückguthafen wurde einfach nicht mehr gebraucht. Fünfzehn der ursprünglich für die Hafennutzung erbauten Gebäude konnte das Amt für Denkmalpflege unter Schutz stellen. Sie stehen beispielhaft für die Entwicklung des Hafens. Die meisten davon entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem viele Speicher und Schuppen zerstört wurden. Doch mit den einmal denkmalgeschützten Gebäuden musste etwas geschehen, denn ohne eine neue Funktion hätte ihr Bestand keine Zukunft gehabt, oder wie uns Prof. Dr. Georg Skalecik, Landeskonservator von Bremen, sagte: „Wir sind doch keine Lumpensammler der Geschichte.“ Einige Gebäude besichtigte die Redaktion der bauhandwerk auf der diesjährigen Pressereise des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz Ende April. Der 1959 erbaute Schuppen 1, dem wir in diesem Heft im Anschluss einen eigenen Beitrag widmen, gehörte ebenso dazu wie der 1951 errichtete Schuppen 2, die 1961 entstandene Tabakbörse und der 1948 als erster nach dem Krieg neu erbaute Speicher 1. Der Speicher XI, in dem eine ausgesprochen vielfältige Nutzung Einzug hielt, entstand dagegen in den Jahren von 1910 bis 1912 und hat als eines der wenigen Lagergebäude den Zweiten Weltkrieg überstanden.

Speicher XI wurde Hochschule und Hafenmuseum

Nach dem Kauf des Speichers XI Anfang 2000 durch den Investor Dr. Klaus Hübotter und der Umnutzung nach Plänen des Büros as2 architekten schomers.schürmann bis 2004 befindet sich heute darin die Hochschule der bildenden Künste, das Kulturforum und Hafenmuseum sowie gastronomische Einrichtungen. Umbau und Sanierung des mit 406 m längsten Speichergebäudes der Stadt Bremen beliefen sich nicht einmal auf ein Drittel der Kosten für einen vergleichbaren Neubau. Heute bleibt keiner der 30 000 m2 ungenutzt. Dabei konnte die Holzbalkendecke aus Pitchpine – Holz, das die Schiffe früher aus Übersee von Amerika als Ballast mitbrachten und das eigentlich als Brennholz gedacht war – dort wo sie noch vorhanden war, mit einem ausgeklügelten Brandschutzkonzept sichtbar erhalten bleiben. Auch für die vorhandene, endlos lange Brandwand fand ein pfiffiger Bauunternehmer mit einer Diamantsäge eine passende Lösung, um in die fast einen halben Meter dicke Ziegelwand 300 Fenster hineinzuschneiden.

Schuppen 1 wurde zum „Mobileum“

1948 erbaut war der Schuppen 1 damals Europas modernstes Logistikgebäude. Investor Daniel Hornung von der KJH Schuppen Eins GmbH und Architekt Jost Westphal fanden das 405 m lange und 50 m breite Gebäude aufgrund von Zwischennutzungen innen vollkommen verbaut vor. „Die Länge sollte wieder erlebbar sein“, beschreibt Architekt Westphal eine der wesentlichen Planungsaufgaben. Heute blickt man im Erdgeschoss durch das gesamte Gebäude wie eine lange Straße entlang, an deren Rändern Oldtimer parken, denn der Schuppen wurde zu einem „Mobileum“ umgebaut. Mit den Autos kann man über einen Aufzug ins Obergeschoss fahren und dort auf einer offen ins Dach eingeschnittenen Straße bis zu einer der zum Wasser orientierten Wohnungen. Auf der gegenüberliegenden Seite befinden sich Büros. Mehr hierzu im folgenden Beitrag.

Schuppen 2 wurde zu Büros für Kreative

Im 1951 erbauten Schuppen 2 befinden sich heute vor allem Büros. Der Investor, die Justus Grosse Projektentwicklung, ließ nach Plänen des Büros Hilmes und Lamprecht Architekten BDA Betonkuben auf dem Grundriss verteilen, so als hätte man sie wie damals die großen Stückgutkisten durch die heute verglasten Tore von der Wasserseite her ins Gebäude geschoben. Auf den Kuben entstand über Brücken miteinander verbunden eine zweite Ebene in der Halle. Die mit Glimmer grau gestrichenen Geländer dieser Brücken und Treppen passen hervorragend zur genieteten Stahlkonstruktion des Dachtragwerks, das mit der gleichen Farbe gestrichen komplett erhalten sichtbar bleiben konnte.

Tabakbörse ist jüngstes Denkmal der Überseestadt

Die 1961 erbaute Tabakbörse ist das jüngste der unter Denkmalschutz gestellten Gebäude der Überseestadt. Es wurde erst im vergangenen Jahr auf die Denkmalliste gesetzt. Die Teilumnutzung brachte den Einbau einer Zwischenwand mit sich: In dem einen Teil wird nach wie vor – allerdings nur noch einmal pro Jahr – eine Tabakbörse abgehalten. Auf der anderen Seite der Wand nutzt Radio Bremen die frei gewordene Fläche für den Kulissenbau bei Filmproduktionen. Im Obergeschoss befindet sich ein Café, das weitgehend noch im Originalzustand ist.

Autor
Dipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.

Rund 300 Mio. Euro flossen in die Infrastruktur, was über 1 Milliarde Euro an privaten Investitionen zur Folge hatte

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