Lichtwerk

Reihenendhaus in Mühltal wird erstes Plus-Energiehaus im Bestand

Ein nicht mehr zeitgemäßes Reihenendhaus aus den 1970er Jahren ist sowohl energetisch und technisch als auch gestalterisch zu einem Vorzeigebeispiel geworden: ein Plus-Energiehaus, das seinen Energieverbrauch selbst abdeckt und mit überschüssiger Energie aus der Photovoltaikanlage auf dem Dach ein Elektroauto speist.

Plus-Energiehäuser haben zuzeit noch meist Modellcharakter. Dass sich dieser bei einem Neubau umsetzen lässt, ist nachvollziehbar. Wie sieht es aber beim Bauen im Bestand aus? Hier findet man in der Regel viel schlechtere Ausgangsvoraussetzungen. Daher ist die Herausforderung für Architekten und Handwerker auch größer. In Mühltal stand Prof. Dr. Ing. Karsten Tichelmann mit seinem Team des Instituts für Tragwerksentwicklung der Technischen Universität Darmstadt vor einer solchen Herausforderung: Ähnlich wie beim Umbau einer Doppelhaushälfte zum LichtAktiv-Haus in Hamburg-Wilhelmsburg (siehe vorheriger Beitrag ab Seite 10 in dieser Ausgabe der bauhandwerk), handelt es sich auch beim energy+ Home in Mühltal um den Umbau eines Reihenendhauses zu einem Plus-Energiehaus. Das in den 1970er Jahren erbaut Gebäude ist verglichen mit dem heutigen energetischen Standard eines Einfamilienhauses ziemlich schlecht und mit einem Primärenergiebedarf von 380 kWh/m2a deutlich im roten Bereich. Der Energieverbrauch musste auf ein Minimum reduziert werden. Es musste daher energetisch saniert und technisch aufgerüstet werden. Damit gingen auch umfangreiche Eingriffe in die Bausubstanz einher. Die Grundrisse und die Raumstruktur wurden den heutigen Bedürfnissen angepasst und großzügiger organisiert.

 

Mehr Licht und Raum im Haus

Auch was die Orientierung des Hauses anbelangt, waren die Voraussetzungen alles andere als ideal: Ohne Südfassade (dort schließt das Nachbargebäude an), dafür aber mit großer Fassadenfront nach Norden, war es nicht gerade für solare Wärmegewinnung geeignet. Neben den schmalen Fensteröffnungen reduziert die Hanglage die Fassadenfläche des Hauses im Osten auf ein Geschoss. Sehr gezielte Eingriffe waren daher erforderlich, um mehr Tageslicht, Wärme und Platz ins Haus zu bekommen.

Eine besondere Herausforderung stellte die enge und gedrungene Sturktur des Bestandsgebäudes dar. Aus einem kleinteiligen, unzureichend natürlich belichteten Haus machten die Architekten durch die Entfernung von Trennwänden einen Lebensraum für bis zu fünf Personen mit einem großzügigen, zentralen Wohn- und Esszimmer. So vergrößert der Rückbau der Holzbalkendecke im Erdgeschoss die lichte Raumhöhe im Wohn- und Esszimmer auf bis zu 5 m. Dadurch drängte sich die Belichtung der Räume darunter über Dachfenster geradezu auf. Acht zusätzliche Dachfenster, durch die reichlich Tageslicht ins Erdgeschoss kommt, bauten die Handwerker in das flach geneigte Satteldach ein. Die beim Rückbau der alten Zwischendecke angefallenen Balken verwendeten die Handwerker als Holzständerwerk für den Bau eines Wintergartens im Geschoss darunter. Dieser macht aus der ehemals dunklen Terrasse unter dem Balkon ein helles Arbeitszimmer. Durch dieses und durch weitere große Fenster und Fenstertüren im Erdgeschoss gelangt viel Tageslicht von Westen her ins Haus. Das alles reduziert zusammen genommen den Bedarf an elektrischem Licht enorm.

Die neue Luft-Wasser-Wärmepumpe sorgt nicht nur für eine günstige Energiebilanz bei der Heizung und Warmwasserbereitung, sondern machte auch den alten Öltank im Untergeschoss überflüssig. Dort, wo sich dieser befand, entstand ein Bad. Mit dem Öltank verschwanden auch dessen Gestank und die damit verbundene Schadstoffbelastung für die Bewohner, für die das Bad zum echten Wellness-Faktor wurde.


Energie sparen und erzeugen

Die neuen Fenster haben mit ihren Holz-Aluminiumrahmen einen Uw-Wert von 0,69 bis 0,86 W/m2K (auch dank einer Dreifach-Wärmeschutzverglasung mit einem Ug-Wert von 0,5 W/m2K). Die wesentliche Energieeinsparung wird allerdings durch die gut gedämmte Gebäudehülle erreicht. Hierzu bot sich vor allem die große fensterlose Giebelfläche im Norden an. Hier befestigten die Maler auf der alten 24 cm dicken Außenwand aus Bimshohlblocksteinen ein weiß verputztes WDVS mit einer bis zu 28 cm dicken Mineralwolledämmung der WLG 040. An den beiden Traufseiten des Hauses montierten die Handwerker dagegen auf einer bis zu 24 cm dicken Mineralwolledämmung der WLG 032 eine vorgehängte hinterlüftete Fassade aus dunkelgrauen Faserzementplatten. Die gleiche Farbe haben auch die Flachdachsteine, welche die Handwerker zusammen mit 146 Photovoltaik-Modulen auf dem flach geneigten Satteldach verlegten. Die Dachrinne wurde im Zuge dieser Arbeiten nach innen verlegt und schuf damit die Voraussetzung für einen fließenden Übergang der grauen Dachfläche in die gleichfarbige Fassade. Für die optimale Dämmung der Dachkonstruktion sorgt eine Kombination aus Zwischensparren-, Aufsparren- und Untersparrendämmung.

Die Dämmung der Gebäudehülle ist natürlich der entscheidende Faktor für den Erfolg der energetischen Sanierung. Die Planer wollten jedoch weder bei den Fensteröffnungen noch bei den Fassaden auf solare Wärmegewinne verzichten. Daher handelt es sich bei den unterschiedlichen Fassadenbaustoffen – weiß verputztes WDVS nach Norden und dunkle Faserzementplatten nach Westen und Osten – auch um keine rein gestalterische Wahl, sondern um eine energetische Optimierung: Die dunklen Faserzementplatten absorbieren die Strahlungswärme der Sonne und geben diese an die im Fassadenzwischenraum zirkulierende Luft ab. Damit besteht auch die Möglichkeit, die aufsteigende Warmluft über eine Abluftführung an der Traufe zur Vorerwärmung für die Luft-Wasser-Wärmepumpe zu nutzen.

Komplett wird die Dämmung jedoch erst mit der 8 cm dicken Innendämmung der Wand zum Nachbargebäude mit Mineralwolle sowie auf der Bodenplatte mit
10 cm PUR-Hartschaumdämmung. An besonders kniffligen Punkten, zum Beispiel bei den in der Fassade verborgenen Regenfallrohren, verwendeten die Handwerker Vakuumisolationspaneele, so genante VIPs. Mit der bis in solche Details sorgfältig ausgeführten Dämmung erreicht die Außenwand einen U-Wert von 0,13 W/m2K (mit WDVS) und 0,16 W/m2K (mit Faserzementbekleidung) – das spart 80 Prozent an Transmissionswärmeverlusten. Der Passivhausstandard konnte trotzdem nicht erreicht werden. Zwei wesentliche Faktoren waren dabei ausschlaggebend: Zunächst fehlt dem Haus eine Südfassade, die nicht für Solargewinne herangezogen werden kann (Reihenendhaus). Zweitens konnte die Bodenplatte nicht im Passivhausstandard gedämmt werden (Bestand).

Durch die Kombination aus Dämmung und Anlagentechnik (kontrollierte Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung, Niedrigtemperatur-Fußbodenheizung, Luft-Wasser-Wärmepumpe) wird in Verbindung mit der Photovoltaikanlage auf dem Dach der Plus-Energiestandard erreicht. Die monokristalline Photovoltaik-Anlage liefert eine Nennleistung von über 12,8  kWp. Daraus ergibt sich eine Stromausbeute von bis zu 9880 kWh pro Jahr. Benötigt werden im Haus jedoch nur etwa 6650 kWh im Jahr. Der Überschuss von rund 3230 kWh reicht aus, um damit jährlich 25 000 km mit einem Elektroauto zurückzulegen (wenn dieses 14 kW auf 100 Kilometern verbrauchen würde). Man möchte meinen, dass so etwas seinen Preis hat. Doch der erste Umbau eines Bestandsgebäudes zum Plus-Energiehaus kommt mit etwa 1760 Euro je m2 Wohnfläche aus. Bei einer Nachrechnung lässt sich dieser Betrag sogar noch auf rund 1400 Euro je m2 reduzieren. Damit belaufen sich die „Mehrkosten der energetischen Sanierung zum Plus-Energiestandard“ auf gerade mal 32 000 Euro. Die rund 25 m2 zusätzlicher Wohnraum sind in diesen Kosten schon enthalten.


 

Autor


Dipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift bauhandwerk.

Der Energieüberschuss reicht für 25 000 km mit dem Elektroauto im Jahr

Baubeteiligte (Auswahl)

 

Konzept Technische Universität Darmstadt, Fachbereich Architektur, Fachgebiet Tragwerksentwicklung und Bauphysi, Univ. Prof. Dr.-Ing. Karsten Ulrich Tichelmann

Architekten Tichelmann & Barillas Ingenieure, TSB Ingenieurgesellschaft, Darmstadt

Rohbauarbeiten Thorsten Reeg, Brombachtal 

WDVS und Trockenbauarbeiten Firma Kabacon, Stockstadt 

Zimmererarbeiten (VHF) Zimmerei Radl,
Reichelsheim 

Dachdecker- und Spenglerarbeiten Wolfgang
Rößler, Lautertal 

Balkonabdichtungsarbeiten Firma Reger, Roßdorf 

Fliesenlegerarbeiten Firma Ried und Sohn,
Frankfurt am Main 

Schreinerarbeiten Schreinerei Som, Michelstadt/ Parkett Heymann, Reichelsheim 

Fenster- und Rollladenbau Firma Mack, Meiningen 

 

Herstellerindex (Auswahl)

 

WDVS Saint-Gobain Weber, Düsseldorf,
www.sg-weber.de 

Dämmung VHF und Dach Saint-Gobain Isover,
Ludwigshafen, www.isover.de 

Fassadentafeln, Dachsteine und Photovoltaik
Eternit, Heidelberg und Berlin, www.eternit.de 

Balkondämmung wedi, Emsdetten, www.wedi.de 

Dachfenster Velux Deutschland, Hamburg,
www.velux.de 

Trockenbauplatten

Saint-Gobain Rigips, Düsseldorf, www.rigips.de 

Dichtschlämme und Fliesenkleber Sopro,
Wiesbaden, www.sopro.com 

Wand- und Bodenfliesen Royal Mosa,
NL-Maastricht, www.mosa.nl/nachhaltigkeit 

Bedrucktes Glasfeld (Ostfassade) Okalux,
Marktheidenfeld, www.okalux.de 

Gedämmtes Garagentor Teckentrup, Verl,
www.teckentrup.biz 

 

Baukosten

 

Brutto 385 000 Euro

Netto 325 600 Euro

Pro m2 1760 Euro

Pro m3 355 Euro

 

U-Werte

 

Außenwand (WDVS) 0,13 W/m2K

Außenwand (VHF) 0,16 W/m2K

Dachaufbau 0,12 W/m2K

Bodenaufbau 0,21 W/m2K

 

Energieverbrauch 6650 kWh/a

Energieerzeugung 9880 kWh/a

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