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Sanierung von historischem Schalenmauerwerk an Kirchtürmen

Kirchtürme sind meist das älteste Bauwerk einer Kirchenanlage. Das Turmschaftmauerwerk wurde besonders in ländlichen Gegenden oft in Schalenmauerwerk aus Naturstein ausgeführt, da hier die finanziellen Mittel für massive Natursteinmauern nicht vorhanden waren. Schäden an Bauten, die mit dieser mittelalterlichen Mauerwerkstechnik errichtet wurden, sind in erster Linie auf eine fehlerhafte Ausführung zurückzuführen. Dementsprechend erfordert die Sanierung von Schalenmauerwerk einen erfahrenen, hoch motivierten Handwerker.

Besonders bei der Errichtung von Kirchtürmen, für die sehr viel Steinmaterial benötigt wurde, bevorzugten die Baumeister des Mittelalters das Schalenmauerwerk. Es wurde von den Römern aus der Natursteinmauertechnik übernommen. Der römische Baumeister Vitruv forderte schon damals, beide Mauerwerksschalen durch Mauerwerkszungen oder Einzelbinder aus Eichenholz oder Stein zu verbinden. Die Zwischenräume wurden überwiegend mit klein­tei­li­gem Steinmaterial und minderwertigem Mörtel, oft aber auch mit lehmigen und erdigen Bestandteilen verfüllt.

Aus baupraktischer Erfahrung haben die Handwerker später auf die vorgeschlagenen Verbindungen der Mauerwerksschalen verzichtet, so dass nun durch das Füllmaterial ein zusätzlicher horizontaler „Silodruck“ auf beide Schalen entstand. Das Turmeckmauerwerk wurde dabei stets massiver und auch qualitativ besser ausgeführt.

Zu den Schwachstellen des Schalenmauerwerks zählt die äußere Mauerschale. Sie wird durch die ständige Bewitterung, besonders im oberen Turmabschnitt, sehr stark beansprucht, so dass Schlagregen und Frosteinwirkung häufig im Laufe der Jahre das Fugennetz zerstörten. Bei solchen Schadensbildern dringt nach und nach das Regenwasser bis zum losen Füllmaterial vor, wodurch sich besonders bei stark lehmhaltigen Mörteln sehr bald ein „Silodruck“ auf die Außenschale aufbaut (siehe Zeichnung auf Seite 47). Die Folge: „Mauerwerksausbauchungen“. Durch vorhandene Konsolsteine, die nach innen in den Füllraum hineinragen, wird dieser Vorgang zusätzlich unterstützt.

Da zudem nicht alle Glockenstühle der Baukunst entsprechend konstruiert wurden, ist es bei oben beschriebener Schadenssituation äußerst wichtig, dass keine Schwingungen aus dem Geläut auf das Mauerwerk übertragen werden. Daher sollte das Läuten bis zum Abschluss der Sanierungsarbeiten unbedingt eingestellt werden.

 

Sollbruchstelle

 

Fast jedes schadhafte Turm­mauerwerk ist mittig über die Schwachstellen im Mauerwerksgefüge senkrecht ge-
rissen. Diese Schwachstellen werden durch Fenster- und Tür­­öffnungen vorgegeben. Die Risse sind in den meisten Fällen auf schlechtes Fundamentmauerwerk mit vielen Fehl- und Lunkerstellen zurückzuführen. Es ist erschreckend, welche Bausünden bei freigelegten Fundamenten, besonders an historischen Bauwerken, zu Tage kommen können.

Die Aussteifung und Stabilisierung der oberen Mauer-krone des Turmmauerwerks erfolgte bei mittelalterlichen Kirchtürmen durch eine massi­ve und wuchtige Balkenlage mit darüber liegendem Schwel­lenkranz aus Stichbalken. Hinzu kamen die hohen Lasten der hölzernen Helmkonstruktionen, die in dieser Zeit mit sehr viel Eichenholz bestückt waren. Alles wurde nach Vorgaben der Zimmermannsregeln mit­einander verbunden. Ringanker aus Schmiedeisen oder Stahl wurden in den meisten Fällen später eingebaut, besonders bei geringen Wanddicken im Bereich der Mauerkronen. All dies bringt ein enormes Gewicht auf das Mauerwerk, dem viele Fundamente nicht dauerhaft gewachsen sind.

 

Sicherungs- und
Sanierungsarbeiten

 

Bevor Sicherungs- und Sanierungsarbeiten durchgeführt werden können, müssen zunächst die Schadensursachen ermittelt und das Mauerwerksgefüge mit Mörtelanalysen untersucht werden. Erst danach kann ein sinnvolles Sanierungskonzept ausgearbeitet werden.

Bevor sich Kernbohrungen mit Injektagen als Sanierungsmöglichkeit etabliert hatten, sicherten die Handwerker ausbauchendes Schalenmauerwerk meist durch schräg angemauerte „Strebekeile“. Dies waren wohl die einfachsten Lösungen in der damaligen Zeit.

Zu den häufigsten Sanierungsarbeiten an Kirchtürmen gehört die Erneuerung des zerstörten Fugennetzes mit einer Risssanierung oder, bei verputzten Türmen, der Neuverputz mit steinsichtigen Schlämmputzen.

Dabei müssen die vorhandenen Risse geöffnet und anschließend wieder fachgerecht mit Mörtel verschlossen werden. Durch neu entwickelte Pressen, die mit Druckluft betätigt werden, ist eine hohlraumfreie Verpressung bis zur Außenschalentiefe möglich. Diese Arbeiten halten jedoch nicht ewig und werden sich in Intervallen von etwa 30 bis 40 Jahren stets wiederholen müssen, da in diesem Zeitraum eine so genannte „Materialermüdung“ der verwendeten Kalkmörtel eintritt.

Partiell geschädigtes Schalenmauerwerk muss sachgemäß repariert, das heißt schadhafte Steine ausgebaut und nach Möglichkeit mit gleichem Steinmaterial wieder hohlraumfrei vermauert werden. Bei neuen Materialien sollten Farbe und Körnung, besonders aber die Materialkennwerte in etwa mit dem Originalstein übereinstimmen. Zum Abfangen und zur Sicherung des darüber liegenden Mauerwerks haben erfahrene Handwerker eigenständige Konstruktionen aus Zugstangen und Schwerlastdübeln entwickelt, die sich in der Praxis gut bewährt haben.

Stark geschädigtes Schalenmauerwerk wird mittlerweile sehr oft vernadelt und verpresst, besonders bei geringen Wanddicken. Dafür muss jedoch ein geeignetes Mauerwerksgefüge vorhanden sein. Bevor solche Arbeiten begonnen werden, müssen vorher unbedingt Mörtelanalysen und Untersuchungen am zu verpressenden Mauerwerkskern durchgeführt werden. Sollten diese Analysen ergeben, dass das Füllmaterial überwiegend aus lehmigen und erdigen Bestandteilen hergestellt wurde, ist es für eine Verpressung nicht geeignet. Der Grund: Bei Mauerwerk mit stark gipshaltigen Mörteln bilden sich durch Reaktionen Treibminerale, beispielsweise Ettringit und Thaumasit, welche durch Volumenvergrößerungen die vorhandene Substanz erheblich zerstören können.

Die Vernadelung einer Turmwand sollte in einem Raster von etwa 2 x 2 m erfolgen. Da-bei werden beide Schalen miteinander verbunden. Die Nadeln werden in Bohrkanälen mit einem Durch­­messer von jeweils 60 mm mit aufgeschweißten Abstandshaltern staubfrei eingebaut und anschließend kraftschlüssig verpresst. Der eingebaute Stahl sollte eine allseitige Überdeckung von mindestens 2 cm aufweisen. Bei stark geschädigten Außenwänden muss das Mauerwerk vor den Bohrarbeiten zur Stabilisierung mit Füllmaterial verpresst werden.

Die senkrechten Risse werden durch schräg (unter 30°) eingebrachte Nadeln regelrecht „vernäht“. Der Höhenabstand der Nadeln sollte hier 60 bis 80 cm betragen. Das Verpressmaterial (Suspension) sollte zudem die gleiche Festigkeit wie der historische Mauermörtel besitzen. Auch hierfür müssen vor Beginn der Arbeiten Mörtelanalysen erstellt werden.

Die Hohlräume und Lunkerstellen im Schalenmauerwerk selbst werden mit Packern unter einem Druck von höchstens 2,5 atü von unten nach oben verpresst. Neuerdings wird bei solchen Vernadelungen auch Edelstahl (St. V4A) verwendet.

Zu den aufwendigsten Sanierungsarbeiten gehört der komplette Austausch einer Außenschale durch neues, besseres Steinmaterial. Mit Steinsägen werden hier komplette Schadenbereiche aus dem alten Mauerwerk herausgeschnitten. Anschließend muss das Schalenmauerwerk mit witterungsbeständigem Steinmaterial hohlraumfrei ausgemauert werden. Einbindeschichten und Dübel aus Edelstahl gewährleisten die Verbindung mit dem hinteren Mauerwerkskern. Unter Berücksichtigung der gesamten Lastabtragung sind solche Arbeiten nur an jeweils versetzt anzuordnenden Bereichen einer Turmfassade möglich.

 

Fazit

Durch die vielseitigen Sicherungs- und Sanierungsarbeiten werden Möglichkeiten aufgezeigt, auch stark geschädigtes Schalenmauerwerk, besonders an historischen Bauwerken und Bauteilen wie beispielsweise Kirchtürmen, zu erhalten. Auch wenn durch die Verpressarbeiten insgesamt eine Gefügeveränderung eintritt, so wurde inzwischen an vielen Gebäuden eine dauerhafte Reparatur des Schalenmauerwerks erreicht.

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