Umbau und Sanierung der ehemaligen Hauptverwaltung des Güterbahnhofs Nürnberg

Die ehemalige Hauptverwaltung des Güterbahnhofs Nürnberg ist heute Teil des Büroquartiers Kohlenhof. Der Bau aus den 1960er Jahren wurde zu einem flexibel nutzbaren Bürogebäude umgebaut, ohne seinen gestalterischen Charakter zu verlieren.

Auf dem Areal des ehemaligen Güterbahnhofs in Nürnberg, dem so genannten Kohlenhof, entstehen neue Büro-, Einzel­handels- und Gastronomieflächen. Als wich­tiger Bestandsbau und „historischer Ankerpunkt“ wurde zwischen 2019 und 2022 das ehemalige Hauptgebäude, in dem sich die Hauptverwaltung des Güterbahnhofs befand, im Auftrag der Aurelis Real Estate Service GmbH vom Büro Andreas Ferstl Architekten revitalisiert. Obwohl der 1963 fertiggestellte dreigeschossige Bau weder unter Denkmal- noch unter Ensembleschutz stand, war es allen Beteiligten sehr wichtig, gestalterisch den Charakter des Gebäudes zu erhalten. Wesentliche Merkmale sind dabei, neben der geradlinigen Gesamtform, der in der Fassade ablesbare Stahlbeton-Skelettbau, die Ausfachungen aus Beton und Klinker, die markanten geschwungenen Treppenläufe sowie die erhalten gebliebenen Stahlbetonrippendecken.

Loftartige Büroflächen

Die Tragstruktur der Stahlbeton-Skelettbaus der ehemaligen Hauptverwaltung des Güterbahnhofs Nürnberg ist auch nach Umbau und Sanierung an der Fassade ablesbar Die Tragstruktur des Stahlbeton-Skelettbaus der ehemaligen Hauptverwaltung des Güterbahnhofs Nürnberg ist auch nach Umbau und Sanierung an der Fassade ablesbar
Foto: Sebastian Schel

Die Tragstruktur des Stahlbeton-Skelettbaus der ehemaligen Hauptverwaltung des Güterbahnhofs Nürnberg ist auch nach Umbau und Sanierung an der Fassade ablesbar
Foto: Sebastian Schel
Auch wenn das Hauptgebäude in erster Linie als ­Verwaltungsbau diente, war doch das Erdgeschoss ursprünglich als Güterumschlag- und später als Lagerfläche genutzt worden. Etwas erhöht konnten hier einst auf der Straßenseite die Lkw und auf der Rückseite die Waggons an das Gebäude heranfahren und direkt ent- und beladen werden. Später waren die Öffnungen an der Nordseite zugemauert worden.

An der Südseite blieben Rolltore. Im Zuge der Sanierungsarbeiten wurden sämtliche Öffnungen „wiederbelebt“. Über große Fensterelemente gelangt nun viel Tageslicht in die loftartigen Büroflächen. Der durch Betonstützen und Betonrippendecken entstandene Indus­triecharakter der Räume wird im Erdgeschoss zudem durch große Stahlbeton-Rahmenträger verstärkt.

Die Büroräume in den oberen Geschossen waren seinerzeit durch gegliederte Glastrennwände unterteilt worden, die allerdings nicht erhalten wurden. Heute kann jede Etage in drei Nutzungsbereiche unterschiedlicher Größe getrennt werden. In den Grundrissen ist jeweils eine Mittelzone gut erkennbar, in der die notwendige Haustechnik liegt und an die auch Sanitärräume und Teeküchen andocken. Auch weitere dienende Räume wie Besprechungszimmer oder Lager sind hier angeordnet, wodurch die übrigen Flächen recht frei bespielt werden können. „Die Tragstruktur des Gebäudes bleibt in den Innenräumen sichtbar und wird ergänzt durch das Gestaltungsprinzip von Struktur und Füllung, wie man es bereits an der Fassade sieht“, erläutert Andreas Demharter, Projektleiter im Architekturbüro Andreas Ferstl. „Die Stützen und Unterzüge des Bestands, also die tragenden Elemente, werden durch farbig gestaltete Wände und textile Bodenbeläge quasi gefüllt.“

Die zu öffnenden Fassadenabschnitte wurden durch Kernbohrungen und mit Hilfe von Trennsägen in kleinere Stücke zerschnitten und in den oberen Geschossen mit einem Seilzug abgetragen Die zu öffnenden Fassadenabschnitte wurden durch Kernbohrungen und mit Hilfe von Trennsägen in kleinere Stücke zerschnitten und in den oberen Geschossen mit einem Seilzug abgetragen
Foto: Wolff & Müller Hoch- und Industriebau

Die zu öffnenden Fassadenabschnitte wurden durch Kernbohrungen und mit Hilfe von Trennsägen in kleinere Stücke zerschnitten und in den oberen Geschossen mit einem Seilzug abgetragen
Foto: Wolff & Müller Hoch- und Industriebau
Allerdings sollte der Bau von außen gedämmt und mit neuen Fenstern ausgestattet werden, um so einen optimalen Wärmeschutz herstellen zu können. Dabei wurde darauf geachtet, wichtige Gestaltungsmerkmale, wie die trapezförmigen Lisenen oder die Fensterteilung, zu übernehmen. Durch verschiedene handwerkliche Putze an der Tragstruktur einerseits und den Ausfachungen andererseits konnte der Charakter des Gebäudes dennoch sehr gut transformiert werden. „Transformation ist insofern ein gutes Stichwort, weil es vor allen Dingen darum ging, zu erhalten, was den Bau als Kind seiner Zeit erkennbar macht und ihn dennoch so anzupassen, dass eine optimale zeitgemäße Nutzung realisiert werden kann“, so Architekt Demharter.

Ein wichtiger Baustein war dabei das Öffnen der Fassaden. „An den Nord- und Südseiten, also an den Längsseiten des Gebäudes, war das Öffnen relativ einfach“, erklärt Christine Makos, Bauingenieurin und Bauleiterin bei der Firma Wolff & Müller. „An der Südseite mussten lediglich die Bestandsrolltore ausgebaut und an der Nordseite die Ausmauerungen zwischen den Betonstützen mit dem Abbruchhammer herausgebrochen werden. Etwas ganz anderes war es, die neuen, etwa 4 m x 2,75 m großen Öffnungen in die 30 cm dicke Außenwand der Westfassade zu schneiden. Mit Hilfe von größeren und kleineren Kernbohrungen sowie einer Vierteilung der zu öffnenden Flächen konnten wir Ansätze für die Betontrennsäge schaffen. Im Erdgeschoss wurden die Viertel nach dem Herausschneiden mit dem Bagger an Ketten herausgezogen. In den oberen Geschossen erfolgte das Herausziehen mittels eines Seilzugs, der an der Decke befestigt war.“

Schall- und Brandschutz

Brand- und Schallschutz spielten eine große Rolle. Während die Trockenbauwände im Erdgeschoss auf der Rohdecke stehen, wurden sie in den oberen Geschossen überwiegend auf Grund der gewünschten Flexibilität in der Nutzung auf den Estrich gestellt, um diesen bei einer Nutzungsänderung nicht wieder herausreißen zu müssen. In den Hauptachsen hingegen stehen die Wände ebenfalls auf dem Rohboden, um hier ein Geschoss in beispielsweise drei voneinander getrennte Einheiten nutzen zu können.

Gerade in den Besprechungsräumen oder in den „Telefonzellen“ wollen sich die Nutzerinnen und Nutzer aber auf einen sehr guten Schallschutz verlassen können. Die Trockenbauwände wurden daher in ihrem Aufbau auf einen erhöhten Schallschutz ausgelegt. Teilweise war es aufgrund der zu erwartenden Durchbiegung notwendig, die Deckenanschlüsse als gleitende Anschlüsse herzustellen. Um eine einheitliche Optik zu erhalten, wurden alle Trockenbauanschlüsse an die Decke mit einer Schattenfuge analog zum gleitenden Deckenanschluss ausgebildet. Dies erforderte insbesondere innerhalb der Kassetten der Rippendecken großes handwerkliches Geschick!

Die Installationen verlaufen unterhalb der Rippendecke und sind teilweise durch abgehängte Deckenelemente verdeckt. Brandschutztechnisch musste die materialsparende Bauweise der Rippendecken durch ein Sondergutachten untersucht werden. Eingebunden in das gesamte Brandschutzkonzept wurde die Decke als für den Zweck ausreichend begutachtet. Die Rahmenträger im Erdgeschoss erhielten einen Brandschutz-Putz.

60er-Jahre Treppenhäuser

Die bestehende Treppe vom Erd- in das Untergeschoss musste komplett abgerissen und neu aufgebaut werden Die bestehende Treppe vom Erd- in das Untergeschoss musste komplett abgerissen und neu aufgebaut werden
Foto: Wolff & Müller Hoch- und Industriebau

Die bestehende Treppe vom Erd- in das Untergeschoss musste komplett abgerissen und neu aufgebaut werden
Foto: Wolff & Müller Hoch- und Industriebau
Ein weiteres spannendes Thema waren die Treppenhäuser. Der Bau des neuen Aufzugsschachtes stellte dabei keine besondere Herausforderung dar, der Neubau der Treppen vom Erdgeschoss in das Untergeschoss hingegen schon. Der Treppenlauf musste auf Grund der neuen, barrierefreien Höhenlage des Eingangs ausgetauscht werden. Eine gewendelte Treppe in Ortbeton im Bestand zu bauen machte entsprechende Erfahrungen der Mitarbeitenden der Rohbaufirma notwendig. „Für den Abriss der Bestandstreppe kam ein Abriss-Roboter zum Einsatz, der Stück für Stück den Treppenlauf abgetragen hat. Damit für den Neubau des Treppenlaufs der Beton an Ort und Stelle gelangte, haben wir eine individuelle Betonrutsche gebaut. Letztendlich musste die Treppe vor Ort mit ihrem Schrittmaß sorgfältig an die Gegebenheiten angepasst und eine entsprechende Schalung aufgebaut werden“, so Christine Makos.

Ab dem Erdgeschoss blieben dann die ­bestehenden Treppenläufe erhalten. ­Allerdings entsprach das vorhandene Treppengeländer nicht den heutigen Sicher­heitsvorgaben, so dass man sich dafür entschied, das Geländer aufzudoppeln. Hierfür mussten neue, zusätzliche Pfosten und Verstrebungen gesetzt werden. Nachdem die neuen Geländerteile in die Trittstufen eingesetzt worden waren, wurden die Kernbohrungen wieder verschlossen und die Farbgebung des Stufenbelags optisch angeglichen. „Da eines der Treppenhäuser die einzige Erschließung für das dritte Obergeschoss darstellte, in den Treppenhäusern das Baugerüst aber sowohl im Treppenauge als auch auf der Treppe stand, machte die Situation eine ausgesprochen sorgfältige Logistik der Baustelle erforderlich“, betont Stefanie Busch vom Büro ganzWerk, das die Bauleitung des Projektes übernommen hatte.

Gerade in den Treppenhäusern spielten die materialgerechten Ergänzungen der Boden- und Wandbeläge, auf die die Architektinnen und Architekten großen Wert legten, eine wesentliche Rolle. So musste beispielsweise der Bestandsklinker in den Treppenhäusern abgebrochen und ein neuer Klinker angebracht werden. Dieser wurde daher in seiner Optik in Anlehnung an den Bestand ausgewählt. Insbesondere die Anschlüsse der Klinker an die Aufzugsportale mussten individuell angepasst werden, da die Portale sich in ihren Maßen unterschieden.

Die Rohbaufirma musste viel tüfteln, um die Treppe exakt in den Bestand einpassen zu können Die Rohbaufirma musste viel tüfteln, um die Treppe exakt in den Bestand einpassen zu können
Foto: Wolff & Müller Hoch- und Industriebau

Die Rohbaufirma musste viel tüfteln, um die Treppe exakt in den Bestand einpassen zu können
Foto: Wolff & Müller Hoch- und Industriebau
Ebenfalls wurden die Anschlüsse des Bestandsbodenbelags zu den Aufzügen und Mieteingängen angepasst. Im Erd- und Untergeschoss entschied man sich für eine Beschichtung, in den Obergeschossen für einen Belag aus Natursteinfliesen. Bei allen Bodenanschlüssen war es erforderlich, auf relativ kurzer Strecke vom Bestand zur neuen Lage der Büroeingänge das Höhenniveau so anzugleichen, dass die Anforderung „barrierefrei“ eingehalten werden konnte.

Fazit

Mit dem Projekt ist es gelungen, eine nachvollziehbare Brücke zwischen Historie und Jetzt-Zeit zu schlagen, gleichzeitig das Bestehende zu würdigen und doch etwas Modernes zu schaffen. So verkraftet der Bau beispielsweise sowohl den leicht historisierenden, von den Güterwaggons der Deutschen Bahn einst typischen RAL-Farbton „Rotbraun“ für Vordächer, Geländer und Fahrradständer ebenso wie die moderne Kunstinstallation „When Saturday comes“ von Silke Wagner an der Ostfassade.

 

Autorin


Dipl.-Ing. Nina Greve studierte Architektur in Braunschweig und Kassel. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Lübeck (www.abteilung12.de) und ist unter anderem für die Zeitschriften DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau tätig.

Baubeteiligte (Auswahl)

Bauherr Aurelis Real Estate Service, Region Süd, aurelis.de

Architektur Andreas Ferstl Architekten, München, a-f-a.de

Projektsteuerung ganzWerk, Nürnberg,
www.ganzwerk.de

Statik C-I-P Ingenieure, München, c-i-p-gmbh.com   

Rohbauarbeiten Wolff & Müller Hoch- und
Indus­triebau, Nürnberg, www.wolff-mueller.de

Trockenbauarbeiten Gruber
Innenausbau-­Holzbau, Rötz-Bernried,
www.gruber-­unternehmensgruppe.de

Bearbeitung der Betonoberflächen

Artus Oberflächen Instandsetzung, Langenbach, www.artus-instandsetzung.de

Boden- und Wandbeläge Fritz Hiller, Parsberg, www.hiller-fritz.de

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