Neubau aus Stahlbeton hinter historischer Fachwerkwand in Regensberg

Das Architekturbüro L3P arbeitet gerne mit Modellen und entwickelt daraus skulpturale Raumfolgen. Auch im Projekt Lendenmann im historischen Ortskern von Regensberg entstand ein Neubau mit spannenden Grundrissen für drei Wohneinheiten hinter der ursprünglichen Fachwerkfassade.

Das mittelalterliche Städtchen Regensberg in der Schweiz ist ein besonderer Ort. Der historische Kern besteht aus der ringförmigen Oberburg mit Schloss sowie der anschließenden Unterburg und steht unter Denkmalschutz. In diesem historischen Ensemble, auf einem steilen Südhanggrundstück, steht das Haus Lendenmann, mit Ausblick über das Zürcher Unterland bis zu den Alpen.

Wie beim römischen Gott Janus, dem Gott des Anfangs und des Endes, der in der Kunst gern mit zwei verschiedenen Gesichtern dargestellt wird, die in entgegengesetzte Richtungen schauen, hat auch das im Mai vergangenen Jahres in Regensberg neu erbaute Haus Lendenmann zwei Gesichter: Zur Straße hin das alte Gesicht eines historischen Gebäudes und zur Hangseite hin das eines Neubaus. Dazwischen befinden sich drei geschickt ineinander verschachtelte Wohnungen.

Erhaltung und Rückbau

Der Zustand des zweigeschossigen Fachwerkhauses in der Regensberger Altstadt erwies sich als so schlecht, dass eine sanfte Sanierung nicht in Erwägung gezogen wurde. Dennoch war klar, dass die straßen­seitigen Fassaden im Sinne des Denkmalschutzes erhalten und ein historischer Gewölbekeller, der von der Straßenseite aus mit einem Höhenunterschied von gut 4 m im Untergeschoss des Gebäudes liegt, in das Gesamtensemble eingebunden werden musste. Die Aufgabe der Architekten lag nun darin, die Straßenfassaden zu erhalten und dahinter, innerhalb des alten Gebäudevolumens, einen Neubau mit drei gleichwertigen Wohneinheiten zu schaffen.

Dem Schweizer Architekturbüro L3P Architekten ist hier eine hervorragende Lösung gelungen: Ein Neubau, der modernsten Wohnansprüchen gerecht wird und sich dennoch auf angenehm zurückhaltende und harmonische Weise in das Ortsbild fügt, ohne sich anzubiedern. „Wir haben versucht, auch im Neubau Elemente einzubinden, die dem historischen Vorbild entsprechen“, erläutert hierzu Architektin Mareike Beumer aus dem Büro L3P Architekten. „So ragt beispielsweise ein ,Kamin‘ über das Dach hinaus, wie er auch an anderen Häusern im Ort zu finden ist. Aber bei uns ist es ein Oberlicht, das sich nach unten aufspreizt und so zusätzliches Licht in die Dachgeschosswohnung bringt.“ Da der Ortsbildschutz lediglich kleine Dachflächenfenster genehmigt hatte, wäre eine zufriedenstellende Belichtung sonst schwierig geworden. Ein weiteres Element des traditionellen Bauens nehmen die Architekten neu interpretiert im Innenraum auf: In jeder Wohnung findet man sowohl weitläufige, ganz in weiß gehaltene offene Räume, im Gegensatz zu allseitig in Holz verkleideten „Kammern“. Sie sollen Geborgenheit vermitteln und den Bezug zur Geschichte des Ortes herstellen.

Arbeit am Modell

Für die Realisierung der Wohneinheiten nutzten die Architekten die Hangsituation und entschieden sich dafür, mit Splitlevel zu arbeiten, so dass eine fast skulpturale, fließende Raumfolge mit einer Reihe unterschiedlicher Treppenläufe und versetzter Ebenen entstand. Allein innerhalb der Erdgeschosswohnung gibt es neben einem Raum im Untergeschoss Zimmer auf vier verschiedenen Ebenen plus einem kleinen, wohnungsinternen Eingangspodest auf einer fünften Bezugsebene. Hier liegen beispielsweise zwei Zimmer an der Straßenseite auf dem Nullniveau, zwei Bäder und ein daran anschließender Raum mit einem Höhenversprung von zwei Stufen auf -0,38, die Küche wiederum weitere drei Stufen tiefer auf -0,95 und der Wohnraum mit Erker auf -1,33. Besonders raffiniert ist dabei, dass die beiden Räume des Nullniveaus jeweils links und rechts des Treppenraums liegen, so dass sich der hintere zwar auf gleicher Höhe wie der Eingang befindet, dennoch zunächst vier Stufen hinunter- und anschließend zweimal zwei Stufen wieder hinaufgegangen werden müssen.

Um hier einerseits den Überblick zu behalten, sich andererseits aber auch nicht in seinen Phantasien durch die Arbeit am Computer einzuschränken, wird im Architekturbüro L3P gerne mit Modellen gearbeitet. Besonders knifflig wurde es bei der Treppe ins Dachgeschoss. „Diese sehr enge Treppe in Sichtbeton war eine besondere Herausforderung“, erzählt Architektin Beumer, „zunächst für mich beim Entwurf und anschließend für unseren Baumeister in der Umsetzung. Denn bei einer gewendelten Treppe mit Sichtbetonuntersicht geht es zum einen um eine schöne Oberfläche, zum anderen um eine klare geometrische Form der Schalung.“ Daher nutzte die Planerin auch hier das Modell als Sprachmittel. „Tatsächlich habe ich die Treppe zunächst im Modell so konstruiert, wie es später der Baumeister auf der Baustelle 1:1 umgesetzt hat“, so Beumer. „Eine Sichtbeton-Untersicht muss im Grunde wie eine Fassadenansicht gestaltet werden.“ Es wurde also an der umlaufenden Wand die Oberkante der Treppenstufen und dann – unter Berücksichtigung einer Betondicke von mindestens 15 cm – der daraus resultierende untere Treppenverlauf angezeichnet. Im Modell konnte die Architektin nun in Ruhe ansehen, ob die entstandene Untersicht ihren ästhetischen Vorstellungen entspricht.

Das Modell war daher eine große Hilfe sowohl bei der Planung als auch bei der Kommunikation mit den Handwerkern. Das allein ist natürlich noch kein Garant für ein gutes Ergebnis. Dafür bedarf es auch dem entsprechenden Verständnis und Können der Handwerker vor Ort. Sehr zufrieden waren die Architekten mit der ausführenden Betonfirma auch in Bezug auf die hervorragende Logistik bei den vielfältigen Betonieretappen. Die Ausführung der Bodenplatten und teilweise sehr kleinen Wandversatzstücke musste in 10 Etappen hergestellt werden, bei denen es keine Staus geben durfte, so dass ein Handwerker unnötigerweise auf den Vorgänger hätte warten müssen. Durch ein optimal aufeinander abgestimmtes gestaffeltes, paralleles Arbeiten wurde dieser Punkt sehr gut gelöst.

Ornamente an der Neubaufassade

All dies entwickelte sich quasi hinter historischer Kulisse. Die bestehende denkmalgeschützte Fassade sollte zwar in den Entwurf eingebunden, durfte aber auf keinen Fall belastet werden. „Dementsprechend halten alle Wände des Neubaus einen Abstand von 5 cm zu den Fachwerkfassaden und alle Geschossdecken lasten ausschließlich auf den neu erstellten Wänden“, erläutert Beumer. „Im Winkel der beiden Fachwerkfassaden fehlt entsprechend das Auflager, so dass hier eine Stahlstütze errichtet und später in die Innendämmung integriert wurde. Zur Stabilisierung der bestehenden Fachwerkfassade wurden die Balken mit der Stirnseite der Betondecke verankert.“ Die bestehenden Fassaden ertüchtigten die Handwerker energetisch mit einer 20 cm dicken Isofloc-Hohlraumdämmung.

Da das Haus direkt an das Nachbarhaus anschließt, galten sehr hohe Brandschutzanforderungen. In einem Bereich von 1,5 m Breite mussten die Fassaden als nicht brennbar, Dächer in der Klasse EI90 und Fenster in EI30, festverglast ausgebildet werden, um einen Brandüberschlag zu verhindern. Dächer und Vordächer unterlegten die Handwerker daher mit Gipsfaserplatten. Die bestehende Fassade erfüllte diese Vorgaben bereits.

Spannend war auch die Gestaltung der Neubaufassade. Ein schräg herausgeschobener Erker und ein großes Fenster mit von außen vorgesetztem Schiebetor öffnen die Giebelfassade Richtung Westen. Diese sowie die Südfassade zum Tal sind mit einer unregelmäßig ornamentierten Holzverschalung aus vorvergrauter Fichte versehen, wodurch wiederum ein ortstypisches Element aufgegriffen wurde. Erst von innen wird deutlich, dass die gesamte Giebelwand verglast ist, durch die nun die Ornamentik der vorgehängten Verschalung Licht und Schatten spielen lässt. Auch Richtung Süden bringen großzügige Fensteröffnungen ein klares Gegenüber zur Fachwerkfassade mit seinen kleinen Sprossenfenstern und viel Licht in die Räume. Interessant an der Verschalung ist zum einen die geplante Unregelmäßigkeit des Ornament-Motivs, zum anderen die Vorgehensweise bei der Umsetzung: Alle Ornamente wurden zunächst als Pappschablone ausgeschnitten und vor Ort für den Zimmermann vorgezeichnet. „Ich bin selbst auf die Baustelle gegangen und habe jedes Motiv vorgezeichnet, so dass der Zimmermann diese ausfräsen konnte“, erzählt Mareike Beumer. „Der war von der Menge der Ornamente natürlich nicht begeistert, aber nachdem er das Ergebnis gesehen hat, fand auch er, dass es den Aufwand wert gewesen ist!“

Das im Mai vergangenen Jahres fertiggestellte
Gebäude ist nicht nur ein gutes Beispiel für das gelungene Miteinander von Altem und Neuem in der Architektur, sondern auch für die konstruktive Zusammenarbeit von Planenden und Ausführenden an einer komplexen und gut gelösten Bauaufgabe. Man spürt, dass allen Beteiligten daran gelegen war, am Ende ein sehr gutes Ergebnis zu erzielen.

Autorin
Dipl.-Ing. Nina Greve studierte Architektur in Braunschweig und Kassel. Heute lebt und arbeitete sie als freie Autorin in Lübeck (www.abteilung12.de) und ist unter anderem für die Zeitschriften Der Bauherr, Passivhaus Kompendium, DBZ sowie bauhandwerk und dach+holzbau tätig.
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