Stampfbeton-Fassade für einen denkmalgeschützten Gasthof in Tyrlaching

Ein denkmalgeschützter Gasthof im ostbayerischen Tyrlaching wurde für rund 6,3 Millionen Euro saniert und um einen Bürgersaal erweitert. Bei der Erweiterung entschied sich das Architekturbüro für einen sich aus dem Hang schiebenden Neubau mit Stampfbeton-Fassade.

Kommunikation und Engagement sind vielleicht die beiden Schlüsselwörter, wenn es um die Sanierung und Erweiterung des Gasthofes im ostbayerischen Tyrlaching geht. Der dortige Bürgermeister Andreas Zepper hatte die Idee eines Ortes der Begegnung für alle Lebensphasen und gleichzeitig den Wunsch, diesen funktional und ästhetisch aufzuwerten. Mit großem Enthusiasmus und der Einbindung der Gemeinde in die Idee und die Umsetzung, ist es ihm gelungen, das Projekt voranzutreiben und zu einem äußerst gelungenen Abschluss zu bringen. Die architektonische Umsetzung erfolgte durch das Büro H2M Architekten, die 2016 über ein VOF-Verfahren (Vergabeverordnung für freiberufliche Leistungen, bis 2016 Vergabe für öffentliche Auftraggeber) für öffentliche Bauten, an das Projekt gekommen waren. Auch das kleinere Kellerhaus mit einem 25 m in den Berg ragenden Kellerraum, für das das Architekturbüro ebenfalls die Eingabeplanung machte, wurde inzwischen saniert.

Geschichte und Idee

Die Stampfbetonfassade weckt Assoziationen mit den Erdschichten des Hanges, aus dem sich der neue Bürgersaal zu schieben scheint Die Stampfbetonfassade weckt Assoziationen mit den Erdschichten des Hanges, aus dem sich der neue Bürgersaal zu schieben scheint
Foto: Sebastian Schels

Die Stampfbetonfassade weckt Assoziationen mit den Erdschichten des Hanges, aus dem sich der neue Bürgersaal zu schieben scheint
Foto: Sebastian Schels
Bereits 1549 wird erstmalig der Gasthof in Tyrlaching erwähnt. In seiner jetzigen Form wurde er 1700 erbaut, einzelne Bauteile stammen jedoch nachweislich aus dem 16. Jahrhundert. Über 300 Jahre bestand also das Gebäude bereits, als der Gasthof 2012 aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden musste. Die Gemeinde erwarb den Gasthofbau mit der Idee, diesen zu sanieren und um einen neuen Bürgersaal zu erweitern. Durch den Neubau sollte nicht nur mehr Fläche für öffentliche Veranstaltungen sowie für die Vereine der Gemeinde geschaffen werden, sondern auch ein kleiner öffentlicher Platz im Zusammenspiel mit dem Bestandsbau entstehen.

Eine weitere Vorgabe war, dass dieser Neubau den Altbau nicht überstrahlen, sondern sich ihm gegenüber zurücknehmen sollte. Daraus entwickelte das Architekturbüro die Idee, den Bürgersaal in den Hang zu bauen. „Der Saal scheint sich mit seinem schrägen, begrünten Dach und der Stampfbetonfassade aus dem dahinterliegenden Hang herauszuschieben und nimmt sich dadurch respektvoll gegenüber dem historischen Bestand zurück“, erläutert hierzu Gabriele Bruckmayer von H2M-Architekten. „Der Stampfbeton bildet dabei sehr schön die Farbigkeit und das Erscheinungsbild der Erdschichten ab.“

Der neue Bürgersaal nimmt sich gegenüber dem historischen Gasthof zurück. Im Vordergrund links im Bild das inzwischen sanierte Kellerhaus Der neue Bürgersaal nimmt sich gegenüber dem historischen Gasthof zurück. Im Vordergrund links im Bild das inzwischen sanierte Kellerhaus
Foto: Sebastian Schels

Der neue Bürgersaal nimmt sich gegenüber dem historischen Gasthof zurück. Im Vordergrund links im Bild das inzwischen sanierte Kellerhaus
Foto: Sebastian Schels
Für die Sanierung des Bestandes stand die Rückführung zum ursprünglichen Raumgefüge und dem entsprechenden Erscheinungsbild im Mittelpunkt. Überflüssige Überformungen, aber auch Baufehler, typischerweise aus den 1960er und 70er Jahren, wurden entfernt beziehungsweise korrigiert. So war beispielsweise das gesamte Dach in den 1960er Jahren neu – statisch aber vollkommen verkehrt – errichtet worden. Auch die Anpassung an die aktuellen Brandschutzvorgaben sowie das Herstellen der Barrierefreiheit durch einen Aufzug brachten sanierungstypische Herausforderungen mit sich.

Im Altbau befinden sich nach wie vor im Erdgeschoss die Gasträume des Wirtshauses mit der Küche und der Fletz, einem Mittelgang, mit dem für die Region typischen Stichkappengewölbe. Im Obergeschoss liegen jetzt der große Seminar- und ein kleiner Konferenzraum sowie die Räume für die Vereinsnutzungen. In dem neuen Verbindungsbau befindet sich das Eingangsfoyer für den Bürgersaal mit den notwendigen Nebenräumen. Um den 290 m2 großen Bürgersaal mit Bühne liegen hangseitig die fensterlosen Lager- und Technikräume.

Stampfbetonfassade

Markantestes Motiv des Neubaus ist neben der großflächigen Verglasung die Stampfbetonfassade. Bei dieser handelt es sich nicht um eine tragende Wand, sondern um eine vorgesetzte Fassade vor der tragenden Stahlbetonwand mit einer 18 cm beziehungsweise im Bereich der Raffstore 38 cm dicken, dazwischenliegenden Kerndämmung aus XPS. Die Stampfbetonebene wurde dabei mit Edelstahlankern an der Stahlbetonwand rückverankert.

Ein großer Teil des Gebäudes wurde im Pilgerschrittverfahren statisch ertüchtigt Ein großer Teil des Gebäudes wurde im Pilgerschrittverfahren statisch ertüchtigt
Foto: Pfingstl

Ein großer Teil des Gebäudes wurde im Pilgerschrittverfahren statisch ertüchtigt
Foto: Pfingstl
Eine besondere Ausstrahlung erhält der Stampfbeton durch die unterschiedlich farbigen, etwa 30 cm hohen Schichten. Diese Farbigkeit entsteht nicht durch Farbpigmente, sondern durch sorgfältig ausgewähltes Hinzufügen unterschiedlicher Zuschläge. „Farbpigmente würden sich auf Dauer herauswaschen und unschöne Schlieren auf der Wand hinterlassen“, erklärt Georg Hofer, der mit seiner Firma die Stampfbetonwände des Bürgersaals hergestellt hat. „Es sind die unterschiedlichen Zemente, Kiese und Sande, mit denen wir die gewünschte Farbigkeit erreichen.“ Im Endeffekt aber müssen Mischungen entstehen, die zwar möglichst große Farbunterschiede, aber nur minimale Unterschiede beim Quellen und Schwinden sowie im Abhärteverhalten zeigen. Sind die Abweichungen zu groß, entstehen Risse zwischen den Schichten. „Die Rezepturen muss man allerdings immer wieder ausprobieren, das kann man nicht rechnerisch ermitteln“, so der Maurer und Lehmbaumeister.

Das Stampfen des Betons erfolgt manuell. Der 20 kg schwere Stampfer besteht aus einer Eisenstange mit einem viereckigen Block am unteren Ende. Unverstärkt, nur mit eigener Kraft, wird dieser immer wieder in den in die Schalung gegossenen Beton hineingestampft und wieder herausgezogen. Dabei ist es sehr wichtig, dass dies in immer derselben Weise, also mit identischer Technik, Intensität und einem entsprechenden Verdichtungsgrad erfolgt. „In Tyrlaching war es eine gewisse Herausforderung, an den großen Fensteröffnungen mit immer gleichen Bewegungen, dem gleichen Winkel und der gleichen Kraft durchzustampfen, weil hier teilweise extrem wenig Platz zwischen Eisen und Schalung war“, so Hofer. „Bereits ein kleinerer Stampfer oder ein Stampfen in einem anderen Winkel hätte ein anderes Erscheinungsbild erzeugt.“ Architektin Bruckmayer ergänzt allerdings: „Uns war wichtig, dass die handwerkliche Ausführung im Erscheinungsbild und auch haptisch spürbar bleibt. Mit dem Ergebnis sind wir vollauf zufrieden.“ Etwa 40 m Fassadenlänge mussten gebaut und die jeweiligen Mischungen dafür vor Ort angemischt werden. Realistisch erreicht man 1 bis 1,25 m pro Tag.

Arbeiten im Bestand

Die bauzeitliche Holzwand vor der Betonage, unterstützt durch ein Trägerrost aus Stahl Die bauzeitliche Holzwand vor der Betonage, unterstützt durch ein Trägerrost aus Stahl
Foto: Pfingstl

Die bauzeitliche Holzwand vor der Betonage, unterstützt durch ein Trägerrost aus Stahl
Foto: Pfingstl
Der denkmalgeschützte ehemalige Gasthof zur Post selbst sollte im Prinzip wieder seiner ursprünglichen Nutzung zugeführt werden, musste aber an zeitgemäße Vorgaben zum Brandschutz und zur Barrierefreiheit angepasst werden. „Die Sanierungsarbeiten waren vielfältig und reichten vom abschnittsweisen Unterfangen eines großen Teils des Gebäudes im so genannten Pilgerschrittverfahren über den Ausbau und das Entsorgen von Schadstoffen bis zum Herstellen der Barrierefreiheit durch einen Aufzug“, erzählt Robert Kellner vom Bauunternehmen Pfingstl GmbH & Co. KG. „So sitzt der Aufzug beispielsweise im Erdgeschoss unmittelbar an der Bestandswand im Übergang eines Gewölbeanschlusses zu einer Fehlbodendecke. Hier musste der Aufzug zum einen zur Vermeidung von Schall- und Vibrationen entkoppelt werden, zum anderen galt es, die Schubkräfte des Gewölbes aufrecht zu erhalten und kraftschlüssig wieder einzuleiten.“

Eine andere Herausforderung war, dass die Wand im kleinen Gang des Obergeschosses lediglich aus Holz mit Schilfmatten und Putz bestand, aufgrund der Bauzeitlichkeit aus denkmalpflegerischer Sicht aber zwingend erhalten werden musste. Auch in die Wand gegenüber der Treppe im Obergeschoss sollte aus Denkmalgründen so wenig wie möglich eingegriffen werden. Hier ergab sich in der Bauphase in Summe ein komplizierter Bereich, insbesondere in Verbindung mit den Höhenzwangspunkten durch die Treppen und Bestandböden sowie durch die Vorgaben des Brandschutzes und den damit verbundenen zukünftigen Rettungswegen.

Aber auch die notwendige Betonage einer einseitigen Schalung gegen den Bestand und der damit einhergehende Betondruck mussten aufgefangen werden. Hierfür waren vielfältige Abstützungs- und Schalungsmaßnahmen in unzähligen kleinen und wohl überlegten Schritten notwendig, um hier ein Korsett aus Stahl und Holz für die Einbringung des Aufzugschachtes zu erstellen.

Ein anderes Thema im Bestand war der Umgang mit den Wandoberflächen im Innen- und Außenbereich. An den Fassaden wurde der alte zement- und kunstharzhaltige Putz abgeschlagen und ein neuer Luftkalkputz handwerklich als Kellenputz, also durchaus mit beabsichtigten kleinen Dellen und Unebenheiten, aufgebracht. „Die Oberfläche wurde anschließend geätzt, um eine gleichmäßige Abtrockung zu gewährleisten und größere Helligkeitsunterschiede im getrockneten, sichtbar belassenen Putz zu vermeiden. Die Umrisse der Faschen an den Fenster- und Türöffnungen wurden in barocker Art vorgeritzt und anschließend weiß gekalkt“, erläutert hierzu Dr. Gerald Dobler, der als denkmalpflegerischer Berater in das Projekt eingebunden war.

Im Inneren konnten im ersten Obergeschoss die Stuckdecken des 18. Jahrhunderts restauriert und ergänzt werden. Kleinere Malereien sowohl an einer Wand im Erdgeschoss – zwei Musikanten aus dem 17. Jahrhundert – als auch an einer der Stuckdecken – eine fliegende Schwalbe aus dem 19. Jahrhundert – wurden freigelegt. „Das Spannende an dem Gebäude war vor allen Dingen, wie weit die Bausubstanz hier zurückreicht und wie viele verschiedene Generationen von Bewohnern ihre Spuren hinterlassen haben“, betont Dobler. „Dass es schriftliche Überlieferungen schon aus dem Mittelalter zu einem solchen Gasthaus gibt, ist nicht so ungewöhnlich, aber hier waren beispielsweise in der Wirtsstube noch zwei Deckenunterzüge vorhanden, deren Fällzeitpunkt dendrochronologisch in das Jahr 1565 datiert wurden,  die aber bereits nachträglich eingebaut worden waren.“

Eiskeller

Auch das so genannte Kellerhaus wurde saniert. Im Obergeschoss befindet sich heute eine Wohnung, das Erdgeschoss wird nach wie vor als Kühl- und Lagerraum genutzt Auch das Kellerhaus wurde saniert. Im Obergeschoss befindet sich heute eine Wohnung, das Erdgeschoss wird nach wie vor als Kühl- und Lagerraum genutzt
Foto: Pfingstl

Auch das Kellerhaus wurde saniert. Im Obergeschoss befindet sich heute eine Wohnung, das Erdgeschoss wird nach wie vor als Kühl- und Lagerraum genutzt
Foto: Pfingstl
Vor Kurzem konnte nun noch durch einen privaten Bauherrn ein weiteres Nebengebäude des Ensembles saniert werden: das so genannte Kellerhaus. Der Eiskeller, der straßenseitig ebenerdig bis zu 25 m in den Hang hineinreicht, wurde 1847 angelegt und ein Jahr später mit einem Obergeschoss aus Natursteinquadern ergänzt. Hier befindet sich eine Wohnung. Das Erdgeschoss wird nach wie vor als Kühl- und Lagerraum genutzt. Die Fassade aus Tuffstein und Nagelfluh mit ihren markanten Stichbogenfenstern und -türen wurde saniert. Auch das zweiflügelige Tor aus Eichenholz auf der Südseite konnte restauriert und wie die detailgenau nachgebauten Fensterläden, grün gestrichen werden.

Fazit

Mit der Sanierung des Gasthof-Ensembles und seiner Erweiterung scheint nun also tatsächlich genau das gelungen, was sich der Bürgermeister der Gemeinde erhofft und sicher alle Bürger des Ortes gewünscht haben: ein Ort der Begegnung in allen Lebensphasen.

 

Autorin

Dipl.-Ing. Nina Greve studierte Architektur in Braunschweig und Kassel. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Lübeck (www.abteilung12.de) und ist unter anderem für die Zeitschriften DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau tätig.

Baubeteiligte (Auswahl)

 

Bauherr Gemeinde Tyrlaching, tyrlaching.de                                    

Architektur H2M Architekten + Ingenieure, München und Kulmbach, www.h2m-architekten.de

Statik esg Ingenieure, Traunreut, www.ingenieur-group.de

Denkmalpflegerische Beratung Dr. Gerald Dobler, Wasserburg, www.denkmalpflege-dobler.de

Stampfbetonfassade Georg Hofer Lehm & Bau, Kößlarn, www.lehmdesign.de

Rohbau- und Maurerarbeiten Pfingstl GmbH, Burgkirchen, www.pfingstl.de

Stucksanierungsarbeiten Michael Stein, Kirchenmaler, Inzell, www.kirchenmaler-stein.com

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