„Haus Stöcker“ im LWL-Freilichtmuseum Detmold: Zeitzeugin hilft Restauratoren bei Spurensuche

Der Fernseher in der guten Stube, Kühe und Hühner gleich nebenan: Das „Haus Stöcker“, das im Freilichtmuseum im September eröffnet wurde, ist eine weitere geschichtliche Bereicherung. Zeigt es doch den allmählichen Wandel hin zum Lebensstil der 60er Jahre.

Während die Tiere noch wie früher direkt im Haus statt in einem separaten Stall untergebracht waren, hatte sich das Ehepaar Annette und Herbert Stöcker doch schon die ein oder andere moderne Errungenschaft gegönnt. In der Waschküche stand eine Waschmaschine, in der Küche der Elektroherd. Und die ersten Filme flimmerten über die Mattscheibe.

Nach gut dreijähriger Restaurierung bauten die Handwerker das ursprünglich aus dem Jahr 1797 stammende „Haus Stöcker“ aus Burgholdinghausen (Kreis Siegen) im Bereich des Siegerländer Weilers wieder auf. Eingelagert war es im Museum bereits seit 1965.  Das Besondere: Die über 90-jährige Annette Stöcker stand dem Restauratoren-Team als Zeitzeugin zur Verfügung. „Ein Glücksfall. Sie hat uns vor ihrem Tod im vergangenen Jahr mehrere Interviews über einen Zeitraum von fünf Jahren gegeben und vieles noch aus ihrer Erinnerung schildern können. Dieses Wissen ist in den Wiederaufbau des Hauses miteingeflossen“, sagt Lisa Niemann. Sie ist im Museum im Bereich Marketingassistenz tätig. Auch Tochter Jutta Stöcker steuerte noch Details aus ihrer Kindheit bei.       

Restauratoren leisten Detektivarbeit

Das Wohnhaus ist das zweite Gebäude, das die 1960er Jahre im Gelände repräsentiert. Die historische Tankstelle aus Siegen-Niederschelden aus dem Jahr 1951, die im Zustand der 1960er Jahre zu sehen ist, war das erste Gebäude aus diesem Jahrzehnt, das der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) 2013 in seinem Freilichtmuseum eröffnet hat.

 „Es ist immer eine Art Detektivarbeit, dem Leben der damaligen Bewohner nachzuspüren“, schildert Restaurator Holger Kelm. Ein Blick fürs Detail hilft ihnen, so ein Haus aus unzähligen Puzzleteilen zu rekonstruieren. „Die Treppe ins obere Geschoss beispielsweise ist original. Auf den Stufen haben wir noch Reste von Grannen gefunden, die übermalt waren. Ein Hinweis für uns, dass die Bewohner Stroh für ihr Vieh oben auf dem Dachboden gelagert haben, und es über die Treppe getragen haben. Eine mühselige Arbeit.“

Erbaut wurde es ursprünglich von einem jüdischen Kaufmann

Erbaut wurde das Wohnhaus 1797, der erste Besitzer war der jüdische Kaufmann Benjamin Moses, der für die damalige Zeit ein sehr modernes Wohnhaus errichtete. Modern war, dass es komplett auf einem hohen Bruchsteinsockel stand und damit besser vor Bodenfeuchte geschützt war. Daraus ergaben sich grundsätzlich bessere Wohnverhältnisse. Der Name Stöcker taucht erst mit dem Besitzwechsel um 1860 an die Familie Stöcker auf. Sie bewohnten es bis 1959. Im Inneren wird der Zustand aus den 50er Jahren gezeigt.

Der Bau-Blog des LWL-Freilichtmuseums zeigt, wie das „Haus Stöcker“ wieder aufgebaut wurde. Einige Details:

Der Dielenboden:  Er besteht in den Räumen des Obergeschosses aus Eiche und Fichte. Anhand der Aufzeichnungen, die während des Abbaus angefertigt wurden, konnten die Handwerker genau nachvollziehen, welcher Bodenbelag wo zu finden war. Nur die Dielenstärke fehlte. „Aber bei genauerem Hinsehen fanden wir in den Deckenbalken noch zahlreiche Dielennägel. So war schnell klar, dass sie drei Zentimeter stark gewesen sind. Abdrücke auf Holzständern haben uns die Einbauhöhe und Stärke der Dielen ebenfalls verraten“, berichtet das Team.

Putz: Die Restauratoren unterscheiden zwei Arten von Decken: Bei der ersten Variante sind die Felder zwischen den Deckbalken verputzt - beispielsweise im Flur. Bei der anderen Variante sind auch die Deckenbalken umputzt, so wie in der Küche. An Deckbalken erkannten sie die alte Plisterung, ein Putzträger aus Stroh und Lehm.

Innenwände: Ursprünglich waren die Gefache mit Staken (Weichholzruten) und Flechtwerk gefüllt. Die Restauratoren haben sich dazu entschlossen, die Innenwände mit Lehmsteinen zu füllen. So lassen sich die Gefache einerseits einfach und schnell füllen, andererseits ist der Feuchteeintrag in das Gebäude geringer.

Fassade:  Das Fachwerk wurde zweimal mit einer Leinölfarbe gestrichen. Hierfür wird zuerst das Fachwerk gereinigt, dann folgt ein Voranstrich mit einer Holzlasur auf Leinölbasis. Als Deckanstrich wurde eine tief dunkelbraune Leinölfarbe verwendet.

Quelle:  #BauBLOGdes LWL-Freilichtmuseums, www.lwl-freilichtmuseum-detmold.de/de/blog

Autorin

Michaela Podschun ist Redakteurin der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.


 


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