Mobiles Haus mit Tragwerk aus Holzschränken

Ein Haus, bei dem die statisch tragenden Elemente aus Holzschränken bestehen? Doch, in Basel geht so etwas. Dort stellte man vier Schränke auf Betonplatten, legte oben die Deckenelemente für das Dach auf und zog bodentiefe Holzfenster um alles herum. Und mobil ist dieser Prototyp auch noch.

Es ist ein Prototyp, der diesen Sommer in Basel als „movable house“ entstand. Mit 100 m2  Wohnfläche fast schon ein Tiny House, das – obwohl es im Gegensatz zu seinen entfernten Verwandten keine Räder hat – vergleichsweise leicht an einem anderen Ort wieder aufgebaut werden kann. Daher der Name: „movable house“ – ein mobiles Haus, das für eine vierköpfige Familie reichen soll. Dass dies möglich ist, liegt an der ungewöhnlichen Bauart, die auf ebenso ungewöhnliche Materialien zurückgreift. Nico Ros, Mitglied der Geschäftsleitung bei ZPF Ingenieure, und Laura Möckli haben das experimentelle Haus in Auftrag gegeben, das sie mit ihren beiden Kindern mittlerweile selbst bewohnen. Entwickelt wurde die Leichtbauweise gemeinsam vom Büro ZPF Ingenieure mit Rahbaran Hürzeler Architekten und dem Institut Energie am Bau der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW.

Vier Schränke aus Baubuche tragen das Betondach

Natürlich muss ein mobiles Haus schnell auf- und wieder abgebaut werden können. Dazu sollte es aus gut transportfähigen Elementen bestehen. Im Fall des „movable house“ sind dies vier Schränke, die auf vorgefertigten Betonelementen stehen und das Dach statisch tragen. Auf ein „klassisches Tragwerk“ wird bei diesem Baukastensystem also gänzlich verzichtet.

Die vier begehbaren Schränke baute die Schreinerei Hürzeler in nur zwei Wochen aus Buchenholz-Mehrschichtplatten. Die Schreiner schnitten mit der
CNC-Fräse die 40 mm dicken „BauBuche Q Platten“ zu und bauten die Schränke in der Werkstatt in Magden zusammen. Von dort aus wurden sie per LKW nach Basel gebracht und auf die fünf  je 10 m langen und 2 m breiten Betonfertigelemente gestellt, die die Mitarbeiter der Firma Ernst Frey dort mit dem Kran bereits als Bodenplatte verlegt hatten. Während die Bodenelemente 11 cm dick sind, reichen für die fünf Decken-elemente 6 cm aus, da diese aus vorgespanntem Beton bestehen. Da die Deckenelemente das Dach bilden, sind sie bereits ab Werk zwischen den seitlich aufstehenden Rippen gedämmt. Sie wurden ebenfalls per LKW nach Basel gebracht und mit dem Kran auf die Buchenholzschränke gelegt. Für die Verbindung zwischen Decke, Schrankelementen und Boden entwickelte man ein Schreinerdetail: Stahlhalbmonde mit einer sehr hohen Zugkraft von 25 kN verbinden die Holzschränke mit den Betonplatten an Boden und Decke und spannen die Elemente zu einem „großen Möbel“ zusammen.

Da das Dach weit über die Schränke auskragt, entstehen durch die Fassade aus bodentiefen, weiß gestrichenen Holzfenstern übereck verglaste Wohnräume. Diese können über einen außen um das Haus vor der Fassade verlaufenden Textilvorhang verschattet und vor Einblicken geschützt werden.

Phasenwechselmaterialien als Energiespeicher

Aber nicht nur statisch, sondern auch bauphysikalisch geht man in Basel mit dem „movabel house“ neue Wege. So wurden in den Beton der Bodenplatten Phasenwechselmaterialien (PCM) in Form von Salz- und Wachsmodulen eingelassen. So wie ein Akku elektrischen Strom speichern und wieder abgeben kann, ist ein Phasenwechselmaterial in der Lage, Wärmeenergie aufzunehmen und diese bei Bedarf wieder abzugeben. Beim PCM handelt es sich in der Regel um Paraffine (Wachse), deren vergleichsweise niedriger Schmelzpunkt bei Raumtemperatur, also 22 Grad Celsius liegt. Steigt die Temperatur über 22 Grad, so wird das Wachs flüssig, verbraucht dafür Wärmeenergie und kühlt dadurch den Raum. Für den Phasenwechsel von fest nach flüssig wird also Wärme beziehungsweise Energie benötig, die als flüssiger Zustand im Material gespeichert ist. Sinkt die Temperatur unter 22 Grad, wird das Wachs wieder fest und gibt dabei die gespeicherte Energie in Form von Wärme wieder ab, was zu einem ausgeglichenen Raumklima führt.

Wohnen auf das Wesentliche reduziert

Der Grundriss ist vergleichsweise einfach und übersichtlich gegliedert. Die vier kreuzförmig aufgestellten Schränke teilen die 100 m2 große Fläche in unterschiedlich große Räume. In der Kreuzmitte befindet sich ein kreisrunder Raum. Während dieser als Verteiler dient, befinden sich in beziehungsweise an den Schränken Eingang, Küche, Bäder und Haustechnik. Zudem nehmen die Buchenholzelemente als Einbauschränke die Kleidung einer vierköpfigen Familie und alle sonstigen Sachen auf, die diese in Schränken verstauen muss.

Der Raumeindruck wird von den verwendeten Materialien geprägt, die allesamt sichtbar, also nicht verkleidet oder gestrichen sind. Die Untersichten der Betondeckenelemente sind roh belassen, die Bodenelemente geschliffen, um eine terrazzoartige Optik zu erzielen. Auch das  Buchemehrschichtholz der Schrankelemente bleibt unverkleidet sichtbar.

Die Testphase hat begonnen

Nach Bezug im Sommer dieses Jahres wird das Haus von Nico Ros, Laura Möckli und ihren Kindern als Bewohner getestet. Da diese nur einen subjektiven Eindruck vermitteln können, wurden im Gebäude Sensoren verbaut, die alle zehn Minuten die Temperatur im Raum, Fußboden und Erdreich messen sowie den gesamten Stromverbrauch und die Stromproduktion der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach, aber auch den Verbrauch von Heizung und Wasser. Diese Messwerte vergleicht das Institut Energie am Bau der FHNW mit der thermischen Simulation, um das Langzeitverhalten des experimentellen Wohnhauses im Rahmen eines geförderten Forschungsprojektes zu verbessern. Mit den daraus gewonnenen Ergebnissen soll der Prototyp für Nachfolgeprojekte weiterentwickelt werden. Letztlich sollen die Ergebnisse Grundlagen für eine industrielle Produktion liefern.

Autor

Dipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.

Baubeteiligte (Auswahl)

 

Auftraggeber Nico Ros und Laura Möckli

Architektur und Bauleitung Rahbaran Hürzeler

Architekten, Basel, www.rharchitekten.ch

Statik ZPF Ingenieure, Basel, www.zpfing.ch

Bauphysik Institut Energie am Bau – FHNW,

Windisch, www.fhnw.ch

Rohbauarbeiten Ernst Frey, Kaiseraugst,

www.ernstfreyag.ch

Schreiner- und Holzbauarbeiten Schreinerei

Hürzeler, Magden, www.huerzeler-holz.ch

Fensterbauarbeiten Schreinerei Hunziker,

Schöftland, www.ihrschreiner.ch

Flachdach- und Spenglerarbeiten Jäggi Vollmer, Basel, www.jaeggivollmer.ch

 

Herstellerindex (Auswahl)

 

Buche-Mehrschichtplatten Pollmeier, Creuzburg, www.pollmeier.com

Boden- und Deckenelemente Element AG, Veltheim, www.element.ch

Phasenwechselmaterialien SkyCell AG, Zürich,

www.skycell.ch

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