Goldenes Handwerk
Umbau und Restaurierung eines Görlitzer Hallenhauses

Die Görlitzer Altstadt ist geprägt von Arkadengängen und Hallenhäusern. Bei Letzteren handelt es sich um historische Kaufmannsbauten, die um ein offenes Treppenhaus herum organisiert sind. Das kleinste davon wurde nun zu einem privaten Wohnhaus umgewandelt.

Die Görlitzer Hallenhäuser gehen auf eine Blüte des Tuchgewerbes im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit zurück. Sie entstanden aus dem Wunsch der Stoffhändler, ihre in langen Bahnen gewebte Ware witterungsunabhängig präsentieren zu können. So weisen diese Bauten durchweg eine Eingangshalle auf, die im hinteren Teil in ein offenes Treppenhaus übergeht. Die Häuser haben in der Regel drei Geschosse, die mit geraden, aber umlaufend angeordneten Treppenläufen verbunden sind. Diese bilden so ein schachtartiges Treppenauge, das mitunter sogar einen hofartigen Charakter haben kann. In den einzelnen Geschossen finden sich zahlreiche Balustraden, von denen einst die Tuchhändler ihre Bahnenware herabhängen ließen. Belichtet wurden diese gebäudehohen Hallen über ein seitliches Oberlicht im Dachfirst. Oft lagen diese Fenster aber auch in der Brandwand zu einem niedrigeren Nachbarhaus, weshalb sie – wie auch beim Haus in der Straße „Handwerk“ mit der Nummer 22 – in späteren Jahrhunderten aus Brandschutzgründen geschlossen wurden.

Ausgezeichnete Hausgemeinschaft

Das Haus im „Handwerk“ 22 stammt aus dem Jahr 1717 und gilt als das kleinste der noch erhaltenen 35 Hallenhäuser der Stadt. Sein Treppenhaus ist untypisch eng und verwinkelt. Vor der aktuellen Sanierung gab es im Gebäude drei Wohnungen, die sich jeweils über ein Geschoss erstreckten. Im Erdgeschoss gibt es eine niedrige, aber gewölbte Eingangshalle, eine sich daran anschließende enge Hinterhofdurchfahrt sowie seitlich davon einen Wirtschaftsraum. Den allgemein guten Zustand des Hauses sieht der beauftragte Architekt Christian Weise darin begründet, dass der Bau bis unmittelbar vor seiner Sanierung bewohnt war. So gab es keine Vorschädigungen infolge eines längeren Leerstandes.

Zu DDR-Zeiten wohnten hier besser gestellte Genossen. Gegen Ende der 1960er Jahre wurde die damalige Hausgemeinschaft sogar als vorbildlich ausgezeichnet. Dies bedeutete auch eine besondere Berücksichtigung bei der Zuteilung von Baumaterialien und Arbeitsressourcen, was damals eine Renovierung ermöglichte, mit der vornehmlich der Deckenstuck sowohl im Erdgeschoss als auch in den Obergeschossen instandgesetzt werden konnte. Insofern gab es bei der aktuellen Instandsetzung nicht die Erwartung, verdeckte Schichten zu finden und wieder herauszuarbeiten, da diese im Zweifelsfall bei vorangegangenen Sanierungen verloren gegangen wären. Im Nachhinein erweist es sich als positiv, dass es damals in der DDR „nichts gab“. So hatte man keine „innovativen“ Bauchemikalien wie in Westdeutschland zur Hand. Stattdessen wurden seinerzeit alle Stuckarbeiten in traditioneller Handwerkstechnik mit entsprechenden Materialien überholt und alle mineralischen Farben ebenfalls mit solchen vornehmlich auf Silikatbasis, eventuell sogar mit den historisch korrekten Kalk-Kasein Farben, überstrichen.

Denkmalpflege durch Baukernaktivierung

Durch den ausgesprochen guten Vorzustand des Gebäudes war es für den Restaurator Hannes Lahl und seine Partnerin nicht erforderlich, das Stuckgewölbe der Eingangshalle neu zu festigen, und selbst Hohlstellen fanden sie kaum. Der ohnehin unterkellerte Bau befindet sich deutlich oberhalb der nahen Neiße, weshalb es hier weder drückendes Wasser noch eine Hochwassergefahr gibt. Natürlich weist das Baudenkmal keine bauseitigen Fundamentabdichtungen auf, weshalb im Mauerwerk aufsteigende Feuchtigkeit bis zu einem gewissen Grade unvermeidlich ist. Auch sollte das Stadthaus künftig als mehrgeschossige Wohnung für eine vierköpfige Familie dienen, weshalb durch das Treppenhaus bedingte Zugeffekte vermieden werden müssen. Der Architekt Weise entschied sich einvernehmlich mit dem Bauherrn, einerseits die Halle als „thermischen Puffer“ leicht vorzuheizen und zusätzlich zum Treppenhaus mit einer Glastür abzuschotten. Zur Beheizung des Raumes wählte der Planer eine thermische Baukernaktivierung, für die er in die beiden seitlichen Wände Schlauchmäander einbringen und diese an den Heizkreislauf anschließen ließ. So wird einerseits in der kalten Jahreszeit eine Vortemperierung des Erdgeschossraumes erreicht, zum anderen erwärmen sich auf diese Weise auch die historischen Wände soweit, dass ihr kontinuierliches Abtrocknen sichergestellt ist. Die damit einhergehenden geringen Wärmeverluste nimmt man bewusst in Kauf, zumal sich an diese Wände unmittelbar eine ebenfalls temperierte Nachbarbebauung anschließt.

Farben wie im benachbarten „Barockhaus“

Schräg gegenüber liegt auf der Straße „Handwerk“ der Hintereingang des „Barockhauses“ – eines städtischen Museums, das aus einer Folge von Innenhöfen besteht. Das nun sanierte Hallenhaus und das Museum der Barockzeit sind nicht nur gleichzeitig entstanden, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit auch von denselben Handwerkern erbaut worden. Indizien dafür sind zahlreiche konstruktive Details, vor allem die Steinbalustraden in den Obergeschoss-Laubengängen der jeweiligen Hinterhöfe. Bemerkenswert ist, dass diese Obergeschossarkaden in späteren Jahren im „Barockhaus“ mit Fenstern und Brüstungen geschlossen und auf diesen Steinflächen die abgerissenen Baluster malerisch nachempfunden wurden. Tatsächlich existiert noch ein im Original erhaltenes Steingeländer aus dieser Zeit auf der Hinterhausdachterrasse des Hallenhauses. Es sieht der beschriebenen Fassadendekoration auffällig ähnlich. Zudem fanden auch die Sanierungsarbeiten an beiden Gebäuden zur gleichen Zeit statt. Und wieder waren wie damals dieselben Handwerker involviert. In der Gegenwart sind dies der Restauratorbetrieb Stuckhaus-Lahl und der Malermeister Jens Goldfriedrich mit seinen Mitarbeitern. Dabei konnte der Restaurator Hannes Lahl im „Barockhaus“ Farbschichten nachweisen, die den Malern als Grundlage für den Anstrich im Hallenhaus dienten. Da dieses als das kleine Abbild des „Barockhauses“ gilt und wie erwartet keine historisch bedeutsamen Farbfassungen nachgewiesen werden konnten, schlug Malermeister Goldfriedrich dem Bauherrn hier eine Übernahme der „benachbarten“ Farben vor. Dieser nahm den Gedanken begeistert auf und wählte nur für das Wohnzimmer einen neuen, prägnanten Rotton.

Denkmalgerechtes Soundsystem

Der Bauherr hat ein ausgesprochenes Faible für eine digitale Steuerung der Haustechnik und ließ ein Bussystem installieren, das vorwiegend in den Fußleisten verlegt wurde. Seine technische Vollendung findet das Konzept im Wohnzimmer mit einem Soundsystem, bei dem Wandflächen als Lautsprecher dienen. Konstruktiv handelt es sich dabei um dünne Trockenbauwände, die auf eine bestehende Wand aufgedoppelt wird. In Teilflächen dieser Konstruktion montieren die Handwerker keine Gipskartonplatten, sondern harte Membranpaneele, die wie Lautsprecher den Schall direkt abstrahlen. Anschließend wurden diese eingeputzt und mit herkömmlicher Wandfarbe überstrichen. Diese Klangelemente können allerdings nur Mittel- und Hochtöne erzeugen. Die Tiefen werden von einem Subwoofer erzeugt, der ebenfalls taschenartig in die Trockenbaukonstruktion eingebaut ist, jedoch einen Schallschlitz benötigt. Als geeigneten Ort für den Einbau wählten Bauherr und Architekt einen raumbreiten, steinüberwölbten Mauerrücksprung. Die Denkmalpflege sah diese Trockenbaukonstruktion unkritisch, machte jedoch zur Bedingung, dass der historische Versprung weiterhin sichtbar sein sollte. Dass dieser statt der ehemals 30 cm nun nur noch 15 cm tief ist, war offenbar bedeutungslos.

Unmittelbar vor der „Wall of Sound“ befindet sich an der Decke die bedeutendste Stuckarbeit und einzige figürliche Darstellung im ganzen Hauses, ein Relief von Ares und Aphrodite. Gerne räumt der Restaurator Lahl ein, dass die Instandsetzung dieser Halbplastik für ihn eine besonders anspruchsvolle und herausfordernde Arbeit war.

Expressive Architektur durch konstruktive Vorgaben

Im zweiten Obergeschoss fällt das geräumige Schlafzimmer mit dem türlos daran anschließenden Badezimmer auf. Dabei steht die Badewanne frei im eigentlichen Schlafbereich unmittelbar vor einer freistehenden massiven Trennwand. Dieses auf den ersten Blick etwas gewagt erscheinende Arrangement entspringt dem Umstand, dass das Badezimmer einst eine vollständig abgetrennte Kammer war, die nur über die anschließende Dachterrasse erreicht werden konnte. Die massive Trennwand ist statisch relevant: sie trägt das Dach. Entsprechend entschied sich der Architekt Weise einvernehmlich mit dem Restaurator Lahl, seitlich davon zwei Badezimmerzugänge neu zu schaffen und die dort nicht vorhandenen Stuckaturen im Deckenspiegel zu ergänzen. Auch im Fußboden wurde eine konstruktiv-formale Zäsur eingebracht: So erhielt der Nassraum einen Natursteinboden, das Schlafzimmer hingegen eine neue Holzdielung.

Verzögerung durch Hausschwammfund

Im zweiten Obergeschoss entstanden auch zwei Zimmer und ein Bad für die Kinder der Familie. Auch hier war der Baufortschritt zunächst zügig und unkompliziert. Bei den Arbeiten zum Versetzen einer Fachwerkwand nahmen die Handwerker die alte Dielung auf und entfernten die alte, rund 30 cm hohe Erdschüttung. Dabei stießen sie bis zu den tragenden Balken vor und mussten feststellten, dass diese teilweise nicht mehr in ihren Wandauflagern saßen und zudem an ihren Kopfenden von inaktivem Hausschwamm befallen waren.

So war einerseits eine sorgfältige Säuberung aller noch intakten Bauteile erforderlich sowie ein kompletter Austausch der schadhaften Holzbauteile. Da die Entdeckung des Hausschwamms erst gegen Ende der Bauarbeiten erfolgte, ergab sich die skurrile Situation, dass in dem einen Raum der Maler schon hochwertige Wandfarben aufbrachte, während nebenan, nur durch etwas Plastikfolie getrennt, andere Handwerker die Holzkonstruktion entfernten und durch eine neue ersetzten. Dabei machten die Zimmerleute aus der Not eine Tugend und wählten für die hölzernen Pfosten und Riegel neue Ankerlöcher und Ansatzpunkte aus, um so die Trennwand mit dem Mauerwerk und den tragenden Holzbalken besser und dauerhafter zu verbinden.

Dachüberstand grundsätzlich kritisch

Im Rahmen der Sanierung war es dem Architekten überaus wichtig, die Dachschrägen, die Dachüberstände und die Traufbereiche freizulegen. So wollte er sich zum einen vom „sachgemäßen“ Zustand der Holzkonstruktion überzeugen, da er aus seiner über 20-jährigen Planungserfahrung weiß, dass gerade diese Stellen versteckte „Zeitbomben“ sein können. Zum anderen schätzt er aber gerade im Bereich von Traufüberständen und Drempeln eine gewisse natürliche Belüftung, da diese ein problemloses Abtrocknen von letztlich doch unvermeidlicher Feuchtigkeit sicherstellt.

Goldene Hausnummer

Schon seit DDR-Zeiten glänzt über der Haustür eine goldgefasste Nummer 22. Was für einen unbedarften Westdeutschen wie ein beiläufiges, einfach nett gemeintes Detail wirkt, war in der DDR keine Selbstverständlichkeit. Tatsächlich dienten goldene Hausnummern als Erkennungszeichen der eingangs erwähnten ausgezeichneten Hausgemeinschaften. Auch wenn dieses Prädikat heutzutage Geschichte ist, muss man mit einem gewissen Respekt anerkennen, dass die neuen Bewohner, sich dieser Anerkennung zumindest unter denkmalpflegerischen Aspekten als mehr als würdig erweisen.

Autor

Dipl.-Ing. Robert Mehl studierte Architektur an der RWTH Aachen. Er ist als Architekturfotograf und Fachjournalist tätig und schreibt als freier Autor unter anderem für die Zeitschriften DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau.

Im Nachhinein erweist es sich als positiv, dass es damals in der DDR „nichts gab“

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