Neubau des Branchenzentrums für Ausbau und Fassade in Rutesheim

Ein Gebäude als Visitenkarte: Der Neubau des Branchenzentrums für Ausbau und Fassade in Rutesheim zeigt außen wie innen die Handwerkskunst der Stuckateure im Zusammenspiel mit der Architektur von a+r Architekten aus Stuttgart.

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Bundesweit fördern Kompetenzzentren als überbetriebliche Ausbildungsstätten handwerkliche Qualität und bieten fachliche Weiterbildung ebenso wie Informationen für Bauherren und Planer. In Rutesheim, einer Kleinstadt zwischen Stuttgart und Pforzheim, vereint das neue Branchenzentrum für Ausbau und Fassade beide Aspekte unter einem Dach. Im heterogenen Gewerbegebiet setzt der klar geschnittene weiße Baukörper einen deutlichen Akzent. Zusammen mit der bestehenden Werkstatthalle bildet er den Sitz der Geschäftsstelle des Fachverbands der Stuckateure für Ausbau und Fassade Baden-Württemberg und des Kompetenzzentrums für Putz, Fassade, Wärmedämmung und Trockenbau.

Mit ihrem Entwurf gewannen a+r Architekten aus Stuttgart im Jahr 2012 den Wettbewerb. Das komplexe Raumprogramm aus Büros, Konferenz- und Seminarräumen sowie 20 Hotelzimmern ist in einem kompakten Gebäude zusammengefasst, dessen Volumen mit Rücksprüngen, abgerundeten Ecken, der aufgefächerten Hoffassade und vorgeblendeten Pfeilern im Sockelbereich spannungsvoll gegliedert ist. Die differenzierten Fassaden machen dabei die unterschiedlichen Raumfunktionen von außen ablesbar: Im Erdgeschoss ist der große Tagungsraum zur ruhigen Rückseite orientiert, belichtet von raumhohen Fenstern zwischen den geschuppten Wandscheiben. Der gegenüberliegende Speisesaal öffnet sich großflächig verglast zur Straßenseite. Hinter der gleichmäßigen Fensterordnung beider Obergeschosse befinden sich das Seminarhotel und die Büros, während im südlichen Gebäudeteil drei Konferenzräume und das großzügige Foyer angeordnet sind.

Entlang der Straße setzen sich die vorgeblendeten Stützen des Sockelbereichs als portalartige Struktur fort. Diese schirmt den Innenhof ab, der auch für Veranstaltung genutzt wird. Zugleich dient sie als Präsentationsfläche für etwa 60 Mustertafeln, die die Vielfalt von Fassadengestaltungen mit Putzen und anderen Materialien zeigen – vom Aufbau kompletter Dämmsysteme bis zur Schlussbeschichtung. Hierfür sind zwischen die Sichtbetonstützen Stahlschienen gesetzt, die ein leichtes Austauschen der Exponate ermöglichen; die Überdachung sorgt zudem für den notwendigen Schutz. So bietet sich Besuchern schon direkt am Zugang zum Gelände ein Überblick über Putzstrukturen, Arbeitstechniken und aktuelle Produkte.

Das Gebäude als Exponat

Doch auch das Gebäude selbst ist gleichsam ein Ausstellungsstück und veranschaulicht das Leistungsspektrum des Stuckateurhandwerks. Die Fassaden sind mit Referenz auf die Putzbauten der klassischen Moderne entwickelt und charakterisiert durch zwei kontrastierende Oberflächen hoher handwerklicher Qualität. Den Sockel betont ein kräftiger, gröberer, anthrazitfarbener Putz als 9 mm dicker Kellenwurfputz, bei dessen Ausführung auch Vorstandsmitglieder des Verbands eigenhändig mitgewirkt haben. Die traditionelle Putzstruktur ist anspruchsvoll in der Verarbeitung, weil das Material mit der Kelle mit einem Wurf aus dem Handgelenk gleichmäßig aufgetragen werden muss. Bei einer kleinen Fläche wie dieser kamen keine Maschinen zum Einsatz.

Den Großteil der Fassaden überzieht homogen ein heller Kratzputz. Auch dieser ist handwerklich anspruchsvoll, weil der Putz zum Abkratzen eine gewisse Konsistenz im Hinblick auf  Trockenheit und Feuchtigkeit aufweisen muss und der richtige Zeitpunkt entscheidend ist. Die Putzschicht wird aufgetragen und glattgezogen, und dann abgekratzt beziehungsweise abgescheibt, bevor sie zu stark aushärtet. Hier ist der Kratzputz als Teil des WDVS der Stahlbeton-Außenwände einlagig in 20 mm dicke auf Mineralwollplatten aufgebracht. Deren entsprechende Dichte ermöglicht die Tragfähigkeit des Putzes und kommt so ohne Putzträger aus. Kalkputz in Kratzputztechnik ist nachhaltig und langlebig, wird wegen der aufwendigen Verarbeitung und der damit auch höheren Kosten im Vergleich zum WDVS mit Dünnputz nur noch selten ausgeführt; allerdings steigt die Nachfrage seit einiger Zeit wieder.

Ein besonderes Detail der Fassaden sind die Fensterlaibungen. Diese konnten aufgrund der Dicke der Putzschicht profiliert werden. „Angeregt von Fensterdetails von Wohnsiedlungen aus den 1920er- und 1950er-Jahren entwickelten wir eine zurückversetzte Laibung“, erläutert Florian Gruner, Geschäftsführer bei a+r Architekten. „Dieser feine Rücksprung rahmt die Fenster umlaufend und ist mit einem Dünnputz bekleidet.“ Als Alternative zu Aluminiumfensterbänken wurden gedämmte Betonfensterbänke eingesetzt – nicht nur aus gestalterischen Gründen, sondern auch, weil die ähnliche Längenausdehnung von Beton und Putz die Gefahr von Rissen an den Ecken reduziert.

Wendeltreppe aus verputztem Stahl

In der besonderen Konstellation dieses Projekts waren die Bauherren zugleich die ausführenden Handwerker. So spielen die architektonischen Ideen der Baukörpergliederung und des Raumgefüges hier auf synergetische Weise zusammen mit der handwerklichen Beratung und der teilweise eigenhändigen Ausführung durch die Bauherren. Das ist nicht nur an der Gestaltung der Fassaden deutlich ablesbar, sondern auch im Inneren des Hauses. Im gebäudehohen Foyer als lichtdurchflutetem Zentrum fällt der Blick auf die skulpturale Wendeltreppe, die mit ihrer hochwertigen Putzoberfläche auch haptisch sehr reizvoll ist. Als offene und kommunikative vertikale Achse verbindet sie die Seminar- und Konferenzräume im Eingangsgeschoss direkt mit den Tagungsräumen im Obergeschoss, während zwei weitere Treppenhäuser die Büros und das Seminarhotel separat erschließen.

Die erste Idee der Stahlwendeltreppe entwickelten Architekten und Bauherr gemeinsam weiter, um die raumplastische Wirkung durch eine von Hand modellierte, schimmernde Putzoberfläche zu verstärken. Stufen und Wangen der Treppenkonstruktion bestehen aus 8 bis 10 mm dicken Stahlblechen, die in Elementen vorgefertigt angeliefert und dann vor Ort verschweißt wurden. Als Unterkonstruktion für die umlaufend etwa 5 cm dicke Ummantelung der Wangen mit unterschiedlichen Arten von Stuckmörteln dienen Stahlstäbe und Rabitzdraht. Darauf wurde in zwei Lagen Stuckmörtel Schicht für Schicht händisch aufgetragen, dann aufgefilzt, geglättet, mehrfach geschliffen und schließlich aufgestuckt, um die Poren zu schließen. Nach dem finalen Schliff wurde die Oberfläche gewachst und poliert. Das integrierte LED-Lichtband unterstreicht zusätzlich die Form der Treppe. „Die Umsetzung dieser außergewöhnlichen Treppe war nur machbar durch den Mut, die Motivation und die Ausführungskompetenz der Bauherren“, erläutert Florian Gruner. „Für uns als Architekten war es sehr inspirierend mitzuerleben, wie ein solch besonderes Bauteil in Zusammenarbeit mit den Handwerksmeistern entsteht.“

Differenzierte Wand- und Deckenflächen

Ein weiteres Highlight ist die große Licht-Ellipse über der Lounge im ersten Obergeschoss, die die dynamische Bewegung der Treppe widerspiegelt. Die effektvolle Deckenbeleuchtung besteht aus vier Ebenen von exakt zugeschnittenen Gipskartonplatten mit zurückversetzten LED-Leisten, die diesen Bereich stimmungsvoll illuminieren.

Subtil gestaltet sind die weißen Wandflächen in der gebäudehohen Halle des Foyers. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass der Körnungsgrad des Putzes an der südlichen Wand bis in die Deckenwölbung immer weiter zunimmt – von einer fast glatten Fläche bis hin zu einem 6er Korn, was den Oberflächen eine samtige Wirkung verleiht. Die Idee zu der ungewöhnlichen Ausgestaltung mit einem kontinuierlichen Verlauf kam von Bauherrenseite. Im Kontrast dazu steht die grau verputzte Stirnseite der Foyerhalle sowie auch die Flurwand des Seminarhotels: Hier verleiht ein dunkelgrauer vertikaler Besenstrich-Putz der Oberfläche eine fast textile Haptik. Die Wandflächen der Hotelzimmer sind mit unterschiedlichen Produkten und Techniken von Industriepartnern ausgeführt, um auch hier die Bandbreite der Gestaltungsmöglichkeiten direkt erleben zu können.

Nachhaltig zukunftsorientiert

Bei der Materialwahl wurde auf Qualität und Langlebigkeit geachtet. So sind die verwendeten Putze frei von Giftstoffen und wirken regulierend auf die Luftfeuchte der Innenräume. In den Details ebenso wie im gesamten Projekt zeigt sich die sorgfältige Planung und qualitätvolle Ausführung. Das neue Kompetenzzentrum vermittelt auch als Gebäude selbst die Wertschätzung des Handwerks und stärkt dessen Selbstbewusstsein. Zugleich ist es ein Ort des Dialogs, der beruflichen Qualifizierung und der Zusammenarbeit verschiedener Gewerke, gerade auch im Hinblick auf die Herausforderungen der Zukunft.

Autorin

Dipl.-Ing. Claudia Fuchs studierte Architektur an der TU Mün­chen. Sie arbeitet als freie Redakteurin und Autorin un­ter anderem für die Zeitschriften Detail, Baumeister, dach+holzbau und bauhandwerk.

Baubeteiligte (Auswahl)

 

Bauherr Berufsförderungsgesellschaft des Stuckateurhandwerks, Leonberg, www.ueba-stuckateure.de 

Architektur a+r Architekten, Stuttgart und Tübingen, www.ackermannraff.de 

Statik bde, Stuttgart, www.b-d-e.de 

WDVS-Montage Gottfried Mack Stuckateurfachberieb, Pliezhausen, gottfried-mack.de 

Putz- und Malerarbeiten Branchenzentrum für Ausbau und Fassade, Rutesheim,
www.branchenzentrum-ausbau-fassade.de

 

 

Herstellerindex (Auswahl)

 

Außenputz und WDVS Sto, Stühlingen, www.sto.de 

Innenputz und Innenfarbe Knauf, Iphofen, www.knauf.de

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