Walzblei für die Kirchensanierung 

Die St. Johanniskirche ist das Wahrzeichen von Göttingen. In den letzten Jahren wurde das mittelalterliche Baudenkmal aufwändig saniert. Die Verkleidung der Turmhelme stellte eine ganz besondere Herausforderung dar. Zum dauerhaften Schutz vor extremen Witterungsbedingungen kam der Werkstoff Walzblei zum Einsatz.

Schon von weitem sind die Turmspitzen sichtbar: Die gotischen Türme der St. Johanniskirche ragen weit über der Altstadt von Göttingen empor. Ihre achteckige Form und unterschiedliche Höhe sind ein Blickfang, dem sich niemand entziehen kann.  

Das Erscheinungsbild der St. Johanniskirche ist
das Ergebnis ausgereifter Handwerksarbeit. Seit jeher stellten vor allem der Nord- und Südturm hohe Anforderungen an Mensch und Material: Der rund 62 Meter hohe Nord- und der 56 Meter hohe Südturm sind laufend den Witterungseinflüssen ausgesetzt. Insbesondere die Holzkonstruktionen der Turmlaternen wurden durch Niederschläge und eindringende Feuch­tigkeit erheblich beschädigt.  

Anfang des neuen Jahrtausends war der Schaden so groß, dass die Standsicherheit der Konstruktion bedroht war. Tragende Holzbauteile waren von Moderfäule zerstört und mussten saniert werden. Auch die Sandsteinfassade einschließlich des Zierwerks mit Fialen, Kreuzblumen und Maßwerken zeigte erhebliche Schäden. Für Passanten bestand die Gefahr, durch herabstürzende Gesteinsbrocken oder Schieferplatten verletzt zu werden.  

Um eine dauerhafte Lösung zu erzielen, entschieden sich die Bauverantwortlichen bei der Sanierung für den Werkstoff Walzblei. Dachflächen, Gesimse und Brüstungen wurden vollständig mit Walzblei eingekleidet und rekonstruiert. „Durch die Sanierung sollen alle tragenden Bauteile mindestens für die nächsten 100 Jahre vor Schäden durch Witterungseinflüsse geschützt sein“, betont Bauleiter Ralf Grabau vom Ingenieurbüro Götz und Ilsemann.

 

Bauteile dauerhaft verwahren

Bei den Sanierungsarbeiten war handwerkliches Können gefragt. Alle der Witterung ausgesetzten Bauteile sollten zuverlässig und dauerhaft verwahrt werden. Die zu schützenden und einzukleidenden Bauteile und Oberflächen waren sehr variantenreich, kleinteilig und filigran; es gab kaum glatte Flächen. Hierzu zählten etwa Stützen, Streben, Brüstungsriegel und Stiele, Rähme, Kopfbänder und komplette Gesimse. Zudem sollten die Brüstungen der beiden Turmlaternen nach historischem Vorbild mit Andreas- beziehungsweise Negativkreuzen wieder hergestellt werden. Gefordert war ein langlebiger und gleichzeitig flexibler Schutz für alle baulichen Gegebenheiten.

Neben dauerhafter Witterungsbeständigkeit zeigt der Werkstoff Walzblei auch eine gute Verträglichkeit mit anderen Baustoffen. „Er lässt sich mit Materialien wie Schiefer gut kombinieren und verarbeiten“, betont Klempnermeister Hermann Bade vom beauftragten Handwerksbetrieb Bade Dächer aus Bad Bevensen.  

Das Projekt stellt an die Bauplanung große Herausforderungen. Vor Start der eigentlichen Bauarbeiten war ein Fassadengerüst mit insgesamt 5000 Quadratmeter Fläche aufzustellen. Das Gerüst sollte über einen Zeitraum von fünf Jahren Handwerkern ein flexibles und sicheres Arbeiten ermöglichen. Zudem mussten rund 33 Tonnen Walzblei und bis zu acht Meter lange Holzbalken über das Gerüst transportiert werden.  

Neue Haube für den Südturm

Den Anfang der Südturm-Sanierung der Holzkonstruktion. Sie war in erheblichem Maße durch Fäulnis beschädigt. Für die Arbeiten wurden insgesamt 8,5 Kubikmeter Eichenkantholz benötigt. Das Material diente zur Erneuerung der geschwungenen Holzspanten und der oberen Balkenlage im Turmhelm, zur Anfertigung der Andreaskreuze der Turmlaterne sowie zur Sanierung der Turmbalkenlage und der Dachsparren. Im Anschluss wurden die Dachflächen mit Lärchenholz eingeschalt. Um eine Belüftung dieser Bauteile zu gewährleisten, wurden 1,5 Zentimeter dicke und etwa 3 Zentimeter breite Eichenholzleisten in der Längsrichtung der Konstruktionshölzer aufgebracht. So entstand eine durchlaufende Belüftungsebene zwischen den Konstruktionshölzern und den Betoplanplatten als Deckunterlage.

 Umfangreiche Klempnerarbeiten waren erforderlich

Danach begannen die Dachdeckungsarbeiten und Bleieinfassungen am Südturm. Im ersten Arbeitsschritt deckten die Handwerker die obere geschwungene Dachhaube einschließlich der Gesimse mit Walzblei in einer Stärke von 2,5 Millimetern ein. Dabei kamen Deckschare mit einer Abmessung von circa 600 x 1000 Millimetern zum Einsatz. Die Arbeiten wurden mit Hohlwulstfalzen als Stehfalze und einfachen Liegefalzen mit kupfernen Einhangblechen ausgeführt. Zur Vorbereitung wurden die Falze in der Werkstatt vorgekantet und mit Treibhammer durch Stecken und Stauchen in eine geschwungene Form gebracht. Auf der Baustelle wurde die einzelnen Bleibleche mit Holz- und Kunststoffschlegel miteinander verfalzt. Die Traufe wurde mit dem Gesims durch ein kupfernes, doppelt gekantetes Traufblech mit Einhangfalz verbunden. Das gesamte Traufgesims wurde anschließend komplett mit Walzblei verkleidet. 

In der zweiten Phase stand die Verkleidung der Turmlaterne und des Laternenbodens mit Walzblei an. Die gekanteten Bleischare wurden in den Nähten mit Doppelstehfalzen versehen. Das Material wurde unter Berücksichtigung der Dehnungsmöglichkeit bis zu 1,5 Zentimeter aufgekantet und verschweißt. Auch für den Boden in der offenen Turmlaterne wurde eine Holzschalung mit rund fünf Grad Steigung zum mittleren Hochpunkt vorgesehen. Die Eindeckung erfolgte strahlenförmig mit konisch zugeschnittenen Bleischaren. Sie wurden in den Nahtbereichen durch doppelt gefalzte Hohlwulstfalze verbunden. Das umlaufende Gesims des Laternenbodens ermöglicht eine reibungslose Entwässerung auf die unteren Turmdachflächen. 

Die unteren Turmdachflächen wurden in einem dritten Bauabschnitt auf einer Gesamtfläche von rund 105 Quadratmetern mit Naturschiefer in altdeutscher Deckung eingedeckt. Das untere Turmgesims wurde ebenfalls mit 2,5 Millimeter starkem Walzblei verkleidet.

Brüstungserneuerung am Nordturm

Auch am Nordturm mussten zunächst Holzarbeiten an der Konstruktion des Turms ausgeführt werden. Im Gegensatz zum Südturm verfügt der Nordturm über eine große und kleine Laterne. Da die oberhalb gelegene kleine Turmlaterne geschlossen ist, wurde sie mit Belüftungsöffnungen versehen. Anschließend wurde sie vollständig mit Walzblei eingefasst. Die untere wesentlich größere Laterne besitzt einen Umgang. Die umlaufende Brüstung war nachträglich mit einer Holzschalung verkleidet worden. Im Rahmen der Sanierung wurde sie vollständig entfernt und nach alten Marienstichen durch Brüstungsriegel, Holzstiele und Laternenpfosten ersetzt. Die Flächen wurden mit gefalzten oder geschweißten Nahtverbindungen in Walzblei eingedeckt. Die Köpfe der Zwischenpfosten kleideten die Dachdecker mit Bleikappen ein.  

Die offenen Brüstungsfelder wurden – anders als beim Südturm – mit jeweils vier hölzernen Hohlkassetten aus 27 Millimeter starken Betoplanplatten ausgefüllt. Die Bauteile wurden so angeordnet, dass die Zwischenräume jeweils ein Andreaskreuz in Negativform bilden. Alle Flächen wurden mit Walzblei ummantelt. Die Nähte wurden flächenbündig verschweißt, und nach der Fertigstellung alle Walzbleiflächen mit Patinieröl behandelt. Zum Schutz gegen Tauben verschlossen die Handwerker alle Öffnungen mit Schutzgitter. 

Nach einem Brand am Nordturm, der diesen komplett zerstörte, mussten die Arbeiten von vorne beginnnen. Der gesamte Turmhelm wurde in den Folgemonaten mit der kompletten Holzkonstruktion, den Schalungen aus Lärchenholz und der Walzblei-Eindeckung neu erstellt. 

Die Gewährungleistungsabnahme an den Türmen erfolgte ohne jeden Mangel. „Die fachgerechte Eindeckung und Verkleidung mit Walzblei erweist sich als nahezu wartungsfrei und somit richtig in der Wahl für ein so bedeutendes Bauwerk“, sagt Bauleiter Grabau. Eine Turmbesteigung lohnt sich. Vom Nordturm bietet sich nicht nur ein grandioser Blick über die Göttinger Altstadt. Aus nächster Nähe kann dann auch handwerkliche Feinarbeit bewundert werden.

Autor

Jürgen Seifert ist Schulungsleiter und materialtechnischer Berater der Gütegemeinschaft Saturnblei e.V.

Das Gerüst mit 5000 Quadratmeter Fläche war nur eine von vielen Herausforderungen

Brandstiftung am Nordturm verzögerte die Bauarbeiten

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