Sanierung der Siedlung Attilahöhe in Berlin mit Rekonstruktion des historischen Kratzputzes

Mit seinem Engagement für den sozialen Wohnungsbau prägte Bruno Taut im vergangenen Jahrhundert eine neue Architektur. Bei der Sanierung der aus fünf Baublöcken bestehenden Siedlung Attilahöhe in Berlin-Tempelhof glich die Kratzputz-Rekonstruktion einer Spurensuche.

Das Gemeinschaftshaus der Siedlung Attilahöhe in Berlin-Tempelhof an der Tankredstraße 13 beherbergte in den vergangenen 100 Jahren sowohl Ladenlokale und einen Kindergarten als auch das Waschhaus, die Heizzentrale und Wohnungen
Foto: Saint-Gobain Weber

Das Gemeinschaftshaus der Siedlung Attilahöhe in Berlin-Tempelhof an der Tankredstraße 13 beherbergte in den vergangenen 100 Jahren sowohl Ladenlokale und einen Kindergarten als auch das Waschhaus, die Heizzentrale und Wohnungen
Foto: Saint-Gobain Weber
Einfache Formen und kräftige Farben: Der Architekt Bruno Taut (1880 - 1938) schuf eine neue Architektur und setzte sich im vergangenen Jahrhundert insbesondere für den sozialen Wohnungsbau ein. In Berlin entstanden nach seinen Entwürfen über zehntausend Wohnungen. Zwischen 1928 und 1930 plante Bruno Taut zusammen mit Franz Hoffmann die aus fünf Baublöcken bestehende Siedlung Attilahöhe in Berlin-Tempelhof. Auffälligstes Merkmal ist ein viergeschossiges Gemeinschaftshaus, das in den rund 100 Jahren seines Bestehens sowohl Ladenlokale und einen Kindergarten als auch das Waschhaus, die Heizzentrale und Wohnungen beherbergte. Vom dominanten Kopfbau geht bogenförmig die Wohnbebauung an der Tankredstraße ab. Ihre geschlossene Form erhielt die Siedlung allerdings erst 1936/37 durch eine von Franz Hoffmann ergänzte, dreigeschossige Blockrandbebauung.

Vier unterschiedliche Putzschichten

Die Farbgebung der Putzfassaden orientiert sich am historischen Vorbild
Foto: Saint-Gobain Weber

Die Farbgebung der Putzfassaden orientiert sich am historischen Vorbild
Foto: Saint-Gobain Weber
Im Jahr 2019 wurden Blumers Architekten von der Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG mit der Sanierung der Wohnanlage beauftragt. Da das Objekt in der Denkmalliste des Landes Berlin als Gesamtanlage geführt wird und vier der fünf Baublöcke dem Denkmalschutz unterliegen, wurden sämtliche Arbeiten eng mit den Vertretern der Denkmalschutzbehörde abgestimmt.

Der Sanierung lagen vorab Gutachten zugrunde. Außerdem beauftragte die Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft den Berliner Diplom-Restaurator Stefan Grell mit restauratorischen Untersuchungen und detaillierten Putzanalysen. Diese wurden stichprobenartig an zehn Objektbereichen durchgeführt. Dabei identifizierte der Restaurator bis zu vier unterschiedliche Schichten, die er drei Renovierungsphasen zuordnete.

Was dies in der Praxis bedeutet, zeigt das Beispiel des Wasch- und Heizhauses der Attilahöhe. Laut Analysen war dieses bauzeitlich mit einem roséfarbenen durchpigmentierten Glattputz ausgeführt worden, der nach dem Krieg sandfarben überarbeitet worden war. In einer späteren Bauphase erhielt dieser sandfarbene Putz eine weiße Anstrichgrundierung und einen hellgrauen Fassadenanstrich. Im Zuge der Überarbeitung der Innenhoffassaden wurden dann Teile des Waschhauses mit gelben Spritzputzen überarbeitet.

Restauratorische Empfehlung

Durch intensive Putzanalysen und restauratorische Befunde wurde der originale Farbton der straßenseitigen Fassade definiert und mit einem mineralischen Kratzputz wiederbelebt
Foto: Saint-Gobain Weber

Durch intensive Putzanalysen und restauratorische Befunde wurde der originale Farbton der straßenseitigen Fassade definiert und mit einem mineralischen Kratzputz wiederbelebt
Foto: Saint-Gobain Weber
Generell riet Stefan Grell dazu, die Edelputzfassaden in ihrer Stofflichkeit und hohen Materialqualität zu erhalten und nicht mit einer Farbschicht zu überdecken. Ein hoher Schädigungsgrad durch zahlreiche artfremde Putzausbesserungen und abgängige Putzflächen sowie der natürliche Verschleiß machten eine vollständige Erneuerung oder zumindest die exakte Anarbeitung und Nachstellung an die Bestandsituation notwendig.

Für die Fassadenreinigung empfahl der Diplom-Restaurator substanzschonende Verfahren, insbesondere an den Durchfahrtswänden, dem Ziegelsockel, den Eingangsgewänden und der Edelputzfassade. Alle Verfahren wurden gemäß Empfehlung anhand von Musterflächen beprobt und zur Freigabe durch die Denkmalschutzbehörde vorgestellt.

Bemusterung zur Farb- und Strukturauswahl

Bei der Bemusterung wurden verschiedene Putzmuster mit dem Bestand abgeglichen
Foto: Saint-Gobain Weber

Bei der Bemusterung wurden verschiedene Putzmuster mit dem Bestand abgeglichen
Foto: Saint-Gobain Weber
Aufgrund der langjährigen Erfahrung und Kompetenz bei der Herstellung von Edelkratzputzen wählten Planer, Bauherrin und Restaurator das Unternehmen Saint-Gobain Weber als Partner bei der Rekonstruktion der Putzflächen. Auf Basis der Putzanalysen und nach den strengen Auflagen des Denkmalschutzes wurden Musterplatten mit Strukturen und Farbtönen hergestellt. So konnten beispielsweise die unterschiedlichen ­Farbeffekte verdeutlicht werden, die durch das Reiben oder Kratzen einer Fassade entstehen. Auch eine Behandlung mit Egalisierungslasur wurde anhand der Muster erprobt. Im weiteren Bemusterungsprozess glichen die Baubeteiligten die verschiedenfarbigen Putzmusterplatten mit Proben des Bestandsputzes ab. Ziel war es, einen Kompromiss zwischen ursprünglicher Zusammensetzung und dem heutigen Stand der Technik zu finden.

Systematische Instandsetzung

Nachdem Strukturen und Farben festgelegt und von der Denkmalschutzbehörde genehmigt worden waren, begann die BIG.B Bau- und Instandsetzung GmbH mit den Putzarbeiten. Straßenseitig wurden alle Fassadenflächen zunächst bis auf die Rohbauwand zurückgebaut und anschließend mit einem Vorspritzmörtel vorbehandelt. Anschließend trugen die Fassadenprofis einen Unterputz mit 15 mm Dicke auf. Als Oberputz kam der mineralische Edelkratzputz „weber.top 200 AquaBalance“ in Körnungen zwischen 2 und 5 mm zum Einsatz.

Wie alle Oberputze von Saint-Gobain Weber ist auch dieser mit der umweltschonenden „AquaBalance“-Technologie ausgestattet. Diese greift das mineralische Wirkprinzip auf und verstärkt es: Feuchtigkeit wird von der Fassadenoberfläche in feine Kapillare transportiert und kontrolliert wieder abgegeben. Auf diese Weise trocknet die Fassade schneller ab, Algen und Pilzen wird die Grundlage entzogen und so der Bewuchs an der Fassade verhindert – ohne die sonst üblichen umweltschädlichen Biozide.

Als Oberputz kam der mineralische Edelkratzputz „weber.top 200 AquaBalance“ zum Einsatz. Die Hausnummern 1 bis 9 wurden in beigem Farbton und mit einer Körnung von 5 mm ausgeführt
Foto: Saint-Gobain Weber

Als Oberputz kam der mineralische Edelkratzputz „weber.top 200 AquaBalance“ zum Einsatz. Die Hausnummern 1 bis 9 wurden in beigem Farbton und mit einer Körnung von 5 mm ausgeführt
Foto: Saint-Gobain Weber
Die Farbgebung der Putzfassaden orientierte sich am historischen Vorbild. Während die Hausnummern 1-9 eine beigefarbene Gestaltung erhielten, fiel die Wahl bei den Hausnummern 11-15 auf einen roséfarbenen Farbton. Die Fassaden an der Tankredstraße 17-23 zeigten sich in gutem Zustand, so dass hier nach einer substanzschonenden Heißwasser-Spülreinigung, die die Firma Grundmann Restaurierung aus Berlin übernahm, nur noch Fehlstellen ausgebessert wurden. Hofseitig dagegen war es über die Jahre zu starken Absandungen gekommen, so dass die Fassade flächig mit einem dünnschichtigen System aus Armierungsschicht und Filzputz in einer Gesamtdicke von 7 bis
8 mm überarbeitet wurde. Auch hier wurde der Farbton an den Bestand angepasst.

Fazit

Von der gründlichen restauratorischen Untersuchung über die exakte Rekonstruktion von Farbtönen und Strukturen bis hin zur qualitativ hochwertigen Ausführung – die Sanierung der Wohnsiedlung Attilahöhe ist ein gutes Beispiel dafür, wie das baukulturell bedeutende Erbe von Bruno Taut durch die Zusammenarbeit verschiedener Beteiligter bewahrt werden konnte.

Autor

Dipl.-Ing. Georg J. Kolbe ist Leiter des Produktmarketings Putz- und Fassadensysteme bei der Saint-Gobain Weber GmbH in Düsseldorf.

Baubeteiligte

Bauherr
Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG, Berlin-Charlottenburg, 1892.de

Architekten Sanierung
Blumers Architekten, www.blumers-architekten.de, Berlin, Generalplanung Baumanagement GmbH, Berlin, www.mps-archonic.com

Restauratorische Untersuchungen
Dipl.-Rest. Stefan Grell, Berlin, grell-restaurierung.de

Sanierung
BIG.B Bau- und Instandsetzung GmbH, Berlin, www.bigbau-berlin.de, Grundmann Restaurierung, Berlin, grundmann-restaurierung.de

Eingesetzte Produkte
Oberputz „weber.top 200 Aqua Balance“, Vorspritzmörtel „weber.dur 100“,  Unterputz „weber.dur 137“,  Oberputz „weber.top 200 AquaBalance“ (5 mm Körnung, Farbe „W06452“, 2 mm Körnung, Farbe „W21732“)

Saint-Gobain Weber, Düsseldorf, www.de.weber

Wie sich historischer Putz rekonstruieren lässt

Der erste Schritt bei einer historischen Rekonstruktion besteht darin, die Fassadenstrukturen und Materialien anhand von Fotos und Zeichnungen sowie Archivmaterial sorgfältig zu dokumentieren. Bei der anschließenden Materialanalyse werden Stichproben vom Originalputz genommen und im Labor analysiert. Die Untersuchung der technischen Zusammensetzung gibt Aufschluss über die Bindemittelzusammensetzung (etwa Ton, Kalk, Kalk-Zement oder Gips), Färbung der Putze, Sieblinie und Art der Zuschläge (etwa Kies oder Sand). Auch die Handwerkstechnik, mögliche Anstriche sowie zugesetzte Pigmente lassen sich erkennen.

Der Analysebericht wird zusammen mit den Siebfraktionen und Teilen des Bestandsputzes an das Labor des beauftragten Putzherstellers weitergeleitet, wo die historische Rezeptur rekonstruiert wird. Da historische Baustellengemische aus Sanden, Körnungen und Bindemitteln heute nicht mehr zur Verfügung stehen, müssen diese durch neuzeitliche, reinere Rohstoffe ersetzt werden.

Nicht immer liefert die Originalrezeptur daher das gleiche Ergebnis wie früher. Oft wirken die neuen Putze heller, so dass die Rezeptur angepasst werden muss. Dabei werden Musterplatten mit Strukturen und Farbtönen erstellt, die vor Ort an der Baustelle mit dem Bestandsputz abgeglichen werden. So können auch die unterschiedlichen Farbeffekte verdeutlicht werden, die durch das Reiben oder Kratzen einer Fassade entstehen. Ist der Bemusterungsprozess abgeschlossen, erfolgt die Umsetzung der Rekonstruktion.

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