bauhandwerk-Serie über Strukturputze: Wie kantiger Kammzug nachgestellt wird

Für die Nachstellung eines scharfkantigen Kammzugputzes kam ein rasch erhärtender Mörtel und ein zackiger Kamm aus Metall zum Einsatz. Die Herausforderung bei der Nachstellung lag in der Ausbildung des fehlerlos und präzise gezogenen Kammreliefs.

Das viergeschossige, putzgegliederte Mietshaus in der Münchner Trautenwolfstraße 7 wurde Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut, was man an den ornamentalen Jugendstilformen und am turmartig erhöhten polygonalen Erker erkennen kann. An der Fassade des denkmalgeschützten Putzbaus wurde bis zum Gesims im dritten Geschoss hoch ein Kammzugputz aufgetragen, der in der Präzision der Ausführung und der Schärfe der Zacken nahezu einzigartig ist. Nur der von Ortho Orlando Kurz errichtete Mansardendachbau in der Münchner Tengstraße 37 besitzt einen ähnlich präzisen Kammzug, jedoch nicht an einer derart großen Fläche, sondern ausschließlich im Bereich des Erdgeschosses.

Scharfkantiger Kammzugputz an einem Gebäude in der Münchner Trautenwolfstraße Scharfkantiger Kammzugputz an einem Gebäude in der Münchner Trautenwolfstraße
Fotos: Dominik Thoma

Scharfkantiger Kammzugputz an einem Gebäude in der Münchner Trautenwolfstraße
Fotos: Dominik Thoma
Weitere Besonderheiten neben den präzisen, fast schon spitzen Zacken sind die perfekt um die Ecken geführten Kammzüge sowie das tadellose Anarbeiten an die Wölbung des Erkers.  Die Kammzüge selbst sind absolut „schnurgerade“, auch Ansätze, die normalerweise durch Absetzen des Kamms an Gerüstbauteilen beziehungsweise an Fenster- oder Stuckelementen entstehen können, sind nirgends an der Strukturputzfassade zu sehen. Am Übergang vom Sockel zur Fassade befindet sich zudem ein etwa 20 cm hoher, vertikal gezogener Kammzugfries als Vermittlungsebene zwischen Kammzugfassade und Sockel.

Vorbereitung der Putzarbeiten

Zur Vorbereitung der Putzarbeiten wurden zunächst vor Ort die Zacken aufgemessen. Der Abstand der Spitzen zueinander betrug 3 cm, die Tiefe der Zacken 4 cm. Ausbruchsstellen an der sehr gut erhaltenen Putzfassade waren nicht vorhanden, daher konnten Kornzusammensetzung und Zuschläge nur abgeschätzt werden. In der Regel bestanden historisch hergestellte Kammzüge jedoch aus mindestens zwei Lagen Oberputz. In der ersten Lage wurde das Zackenrelief erzeugt. Dabei war es wichtig, dass ausreichend Stützkorn im Mörtel vorhanden war, damit die Kammzugspitzen gut stehen blieben. Mit jeder weiteren angeworfenen Putzlage konnte dann die grobkörnige Textur mehr und mehr geglättet werden. Bei diesem Objekt wurde angenommen, dass nach der ersten Lage noch zwei weitere Putzlagen aufgebracht werden mussten, damit ein Kammzug in dieser Schärfe hergestellt werden konnte.

Arbeiten mit rasch erhärtendem Mörtel

Auf die erste, mit dem Kamm gezogene Putzschicht, wird die zweite Putzschicht aufgetragen Auf die erste, mit dem Kamm gezogene Putzschicht, wird die zweite Putzschicht aufgetragen
Foto: Dominik Thoma

Auf die erste, mit dem Kamm gezogene Putzschicht, wird die zweite Putzschicht aufgetragen
Foto: Dominik Thoma
Für die Nachstellung des Kammzuges und der Erstellung der drei benötigten Putzlagen standen nur drei Tage zur Verfügung. Für die Auswahl des Mörtels war daher eine rasche Erhärtung entscheidend, damit an jedem verfügbaren Tag eine Lage geputzt werden konnte. Im Übrigen entspricht dieser Arbeitsablauf dem heutigen Stand der Technik, bei dem, auch auf Grund der hochvergüteten Werkmörtel, meist schon am Folgetag verputzt werden kann.

Zusätzlich musste der Mörtel sowohl im bearbeitbaren Zustand als auch in der Erhärtungsphase formstabil bleiben, damit er nicht in sich zusammenfiel. Der mineralische Haftmörtel „Baumit multiContact MC 55 W“ mit Zuschlägen aus Textilfasern schien hierfür am besten geeignet zu sein, da er ausreichend Formstabilität besaß, auch ohne Zugabe von grobem Stützkorn. Außerdem ist der Haftmörtel auch bei höheren Schichtdicken am Folgetag wieder überarbeitbar. Für die zweite und dritte Lage wurde der Kalk-Feinputz „Baumit multiFine RK 70 N“ nach Mörtelgruppe PII verwendet, der sich aufgrund der geringen Kornstärke von nur 0 bis 0,6 mm ideal zum Glattmodellieren eignet.

Um den Schichtaufbau des Kammzugputzes auf der fertigen Musterplatte für spätere Zwecken nachvollziehen zu können, wurden jeweils fünf  Zacken vor Auftrag der nächsten Putzlage abgeklebt. Die erste Putzlage wurde liegend ausgeführt, um einerseits möglichst viel Mörtel aufzubringen und andererseits eine optimale Haftung zu gewährleisten. Als Putzwerkzeug kam ein metallener Kamm zum Einsatz. Sein Zackenprofil entsprach der originalen Zackung. Der Kamm hatte eine Länge von 55 cm, damit konnte man auf der 1 m breiten Platte zwei Züge ausführen, die sich in der Plattenmitte an zwei Zacken überlagern.

Ausführung eines Kammzugputzes

Zur Erstellung des Kammzugputzes am Beispiel der Trautenwolfstraße 7 sind folgende Arbeitsschritte erforderlich:

Damit der Kammzug absolut gerade gezogen werden kann, müssen im ersten Schritt Führungsschienen an die Fassade geschlagen werden, an denen der Kamm präzise geführt werden kann. Mit einer Schlagschnur oder einem Laser kann die Markierung für den Anschlag der Latten über die gesamte Fassade projiziert werden. Mit dem Ziehen des Kammes wird bei allen Arbeitsschritten oben an der Fassade begonnen und immer von vorstehenden architektonischen Elementen weggearbeitet. Nicht zu verputzende Flächen oder Elemente müssen vorab entsprechend geschützt werden.

Die Zacken werden mit einem Kamm aus Metall gezogen Die Zacken werden mit einem Kamm aus Metall gezogen
Foto: Dominik Thoma

Die Zacken werden mit einem Kamm aus Metall gezogen
Foto: Dominik Thoma
Beim Anwerfen des mineralischen Haftmörtels auf den Putzgrund ist es entscheidend, die optimale Menge an Mörtel vorzulegen. Wirft man zu wenig Material an, bilden sich die Zacken des Kammzugs beim ersten Zug zu gering aus. Trägt man hingegen zu viel Material auf, fällt unter Umständen zu viel überschüssige Putzmasse ab. In diesem Fall müsste der Kamm angehoben, das überflüssige Material entfernt und der Kamm wieder neu angesetzt werden. Es bestünde die Gefahr einer Ansatzbildung im Zugbild. Nachdem die oberste Reihe gekämmt ist, wird die Putzlehre entfernt und um Kammbreite nach unten versetzt.

Um Ansätze zwischen den Zügen zu vermeiden, ist zu beachten, dass die zweite „Zeile“ um ein bis zwei Zacken überlappend zur ersten ausgerichtet wird. Ist die Putzschiene fixiert, kann abermals angeworfen und gezogen werden. Diese Schritte müssen so lange wiederholt werden, bis die zu verputzende Fläche komplett mit der ersten Putzlage bedeckt ist. Nach leichtem Abbinden des Haftmörtels kann mit leichten Zügen überschüssiges Material im feuchten Zustand aus den Vertiefungen entfernt werden.

Auftrag der zweiten Putzlage

Spätestens vor dem Auftragen der zweiten Putzlage müssen alle übrig gebliebenen Rückstände in den Vertiefungen der Zacken mit dem Spachtel ausgekratzt werden. Nur so kann der Kamm sauber durch die Riefen gezogen werden. Für die zweite Lage ist weniger Mörtel erforderlich als bei der ersten, da die Grundstruktur der Zacken bereits angelegt ist. In diesem Zusammenhang ist nochmals zu erwähnen, wie wichtig die erste Lage eines Kammzugputzes ist: Sie gibt die Richtung vor, Korrekturen an der Linienführung sind im Nachgang nicht mehr möglich. Der Kalk-Feinputzmörtel benötigt eine mittlere Konsistenz und muss gut kellengängig sein.

Der Putzvorgang der zweiten Lage entspricht im Grunde genommen dem der ersten Lage, jedoch sind in diesem Fall die Putzlatten nicht mehr nötig. Die Kammzugstruktur der ausgehärteten ersten Lagen hält den Kamm in allen weiteren Lagen gut in der Spur. Der Feinputzmörtel wird zu Beginn des zweiten Arbeitsgangs in einem horizontalen Streifen auf die erste Lage angeworfen, der mindestens der Breite des Kamms entspricht. Im Anschluss wird der Mörtel mit dem Kamm abgezogen. Die Arbeitsschritte wiederholen sich so lange, bis die zweite Lage komplett verputzt ist.

Mit rasch erhärtendem Mörtel und Kamm aus Metall nachgebildeter Kammzugputz Mit rasch erhärtendem Mörtel und Kamm aus Metall nachgebildeter Kammzugputz
Foto: Dominik Thoma

Mit rasch erhärtendem Mörtel und Kamm aus Metall nachgebildeter Kammzugputz
Foto: Dominik Thoma
Sollte bereits in der zweiten Lage der Kammzug eine ähnliche Präzision wie sein historisches Vorbild haben, ist keine weitere Putzlage nötig. Um ein perfektes Ergebnis zu erzielen, kann der zweite Arbeitsgang in einer dritten Putzlage wiederholt werden. Nach der Erhärtung des Mörtels können Fehlstellen bei Bedarf an den Zackenspitzen ausgebessert oder unebene Stellen leicht nachgeschliffen werden, besonders im Eckbereich des Gebäudes.

Fazit

Im Vergleich zur Originalfassade war die angefertigte Nachstellung des Kammzugputzes trotz der unterschiedlichen Mörtelrezepturen sehr ähnlich. Höhe und Breite des Zackenreliefs stimmten ebenfalls überein. Des Weiteren gelang es, die speziellen Eigenschaften des historischen Vorbildes – Präzision der Kammzugführung und geometrisch perfekt gelungene Zacken  – mit Werkmörteln nach heutigem Stand der Technik nachzustellen. Dieser Kammzugputz ist sehr aufwändig zu verputzen; zum einen, da er mindestens zwei oder gar drei Putzlagen benötigt, zum anderen zum Erreichen der ansatzlosen, streng geometrischen Struktur. Zusätzlich muss an jedem architektonischen Element, wie Fenster, Erker, Gesims, angearbeitet werden, was bei Rundungen besonders schwierig ist.

In bauhandwerk 4.2024 ging es in unserer Strukturputz-Serie um modellierten Putz, in bauhandwerk 6.2024 wird es im fünften Teil um den wackeligen Kammzug gehen.

 

Autor

Dominik Thoma ist Architekt, Maler- und Lackierermeister sowie staatlich geprüfter Farb- und Lacktechniker. Er lebt und arbeitet als Architekt und Autor in München. 2022 erschien sein Buch Münchner Strukturputze.

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