Ein Haus für Kinder
Umbau und Erweiterung einer Kleinkinderschule zum Wohnhaus

Die Kleinkinderschule, ein 1903 errichtetes Backsteinhaus im neogotischen Stil, war auf dem weitläufigen Bartels-Gelände zwischen all den Produktionshallen, Lagerstätten und dem großen, gegenüber liegenden Verwaltungsgebäude schon immer eine auffällige Erscheinung gewesen. Daran hat sich auch heute nichts geändert: Während ringsherum nach dem Abriss der verfallenen Industriegebäude neue Wohnungen sowie ein Supermarkt entstanden, wurde die Kleinkinderschule originalgetreu restauriert, durch einen Anbau ergänzt und so zu einem modernen Wohnhaus umgebaut.

Den Anstoß zum Bau der Kleinkinderschule gab die Tatsache, dass die beiden Gütersloher Kindergärten zum Ende des 19. Jahrhunderts hoffnungslos überfüllt waren. Daher entschied sich Kommerzienrat Ferdinand Bartels, selbst vierzehnfacher Vater, auf dem Gelände seiner Fabrik eine weitere Kleinkinderschule errichten zu lassen. Mit der Planung des neuen Gebäudes auf der Parzelle 536/22 des weitläufigen Areals beauftragte er den Baumeister Karl Siebold, der ein neogotisches Backsteinhaus mit Satteldach und einem repräsentativen Ziergiebel entwarf. An der anderen Giebelseite ordnete er einen eingeschossigen Anbau an. Im Erdgeschoss befanden sich zwei verschieden große Klassenräume für 80 beziehungsweise 40 Kinder sowie eine Küche, während das Obergeschoss die Wohn- und Aufenthaltsräume der drei Bethel-Schwestern beherbergte, die sich um die Kinder kümmerten. Im Anbau schließlich fanden Toiletten, die Besenkammer und ein Raum zur Lagerung der Spielsachen Platz. Das Gebäude entspricht dem charakteristischen Stil Siebolds, nach dessen Plänen in der Region insgesamt 26 Kleinkinderschulen errichtet wurden. Es bezeugt überdies die Fürsorge eines großen Arbeitgebers für seine Belegschaft, da die Schule natürlich auch als „Betriebskindergarten“ genutzt wurde, was den zum großen Teil weiblichen Angestellten der Weberei sicher eine große Unterstützung war – für eine Frau war die Unterbringung der Kinder in einer solchen Kleinkinderschule damals die einzige Möglichkeit, weiter zu arbeiten.

Der Niedergang der Textilindustrie in den 1970er Jahren machte auch Bartels schwer zu schaffen, so dass die Firma und damit auch die Kleinkinderschule schließlich aufgegeben werden mussten. Die Produktionshallen standen von nun an leer und begannen teilweise zu verfallen, lediglich das Verwaltungsgebäude und die Kleinkinderschule wurden noch bis in die 1990er Jahre von der Kreispolizeibehörde genutzt. Nachdem auch die Polizei das Gelände verlassen hatte, nahm der Verfall aller Gebäude durch ständigen Vandalismus an Geschwindigkeit deutlich zu.


Umbauplanung


Der ursprüngliche Plan aller am Bartels-Gelände interessierten Investoren war ganz gewiss, den kompletten Gebäudebestand abzureißen, was angesichts des desolaten Zustands aller Gebäude auch verständlich erscheint: So waren die Sheddächer der Produktionshallen 2005 teilweise bereits eingestürzt, während die Fabrikantenvilla von der Vegetation schon derart in Beschlag genommen war, dass sie auf den ersten Blick nicht mehr zu erkennen war. Überall wuchsen armdicke Birken aus Backsteinwänden und Flachdächern, keine Fensterscheibe war mehr heil – aber einfach alles abreißen? Gottlob kam es anders: Das Pförtnerhäuschen und der Schornstein wurden ebenso erhalten wie das Verwaltungsgebäude (siehe Seite 20 bis 29). Auch für die Kleinkinderschule fanden sich rasch Interessenten: Familie Flöttmann, die damals nur 100 Meter entfernt wohnte, war das Backsteingebäude ebenso ins Auge gefallen wie dem Gütersloher Architekten Thomas Spooren, der erst vor kurzem direkt gegenüber der Kleinkinderschule sein Büro bezogen und sich seitdem für die Erhaltung des Gebäudes eingesetzt hatte. Da sich Sabine und Friedrich Flöttmann für ihre Tochter Karla noch zwei weitere Geschwister wünschten, waren sie gerade auf der Suche nach einem größeren Zuhause. Die Anforderungen hierfür: Modern wohnen, möglichst aber in einem alten Haus in der Stadt. So kamen sie mit Thomas Spooren ins Gespräch und überlegten, ob dieses Zuhause nicht die alte Kleinkinderschule sein könnte. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass das alte Gebäude für das Raumprogramm (drei Kinderzimmer, Arbeitszimmer und Gästezimmer) zu klein war. Daraufhin entwickelte der Architekt auf quadratischem Grundriss einen modernen zweigeschossigen Anbau mit Flachdach, der im Erdgeschoss das Wohnzimmer und im Obergeschoss das Elternschlafzimmer aufnahm. Somit war im Erdgeschoss des Altbaus genug Platz für die Küche, den Hauswirtschaftsraum sowie Gäste- und Arbeitszimmer, während die drei Kinderzimmer im Obergeschoss angeordnet wurden. Dieser Entwurf überzeugte die Bauherren, die das rund 1000 m2 große Grundstück daraufhin erwarben – die erste verkaufte Parzelle des ehemaligen Bartels-Geländes.↓

Neuer Fußbodenaufbau


Aus logistischen Gründen war es für das Rohbauunternehmen die erste Bauaufgabe, den Durchbruch vom Altbau zum zukünftigen Anbau herzustellen. Dazu brachen die Handwerker eine Fensterbrüstung bis zum Boden ab. Diese Öffnung war nötig, um den kleinen Keller, der nur etwa 30 Prozent der Erdgeschossgrundfläche misst, mit dem Minibagger bis zur Sohle abgraben und mit bituminöser Dichtmasse neu abdichten zu können. Unter dem restlichen Erdgeschoss befand sich lediglich ein 70 cm tiefer Kriechkeller, der komplett verfüllt werden sollte. Dazu brachten die Handwerker über ein Förderband, das durch den neuen Durchbruch ins Haus verlief, große Mengen Füllsand ins Erdgeschoss, der mit dem Minibagger verteilt und anschließend mit einer mobilen Rüttelplatte verdichtet wurde. Darauf goss das Rohbauunternehmen eine neue Sohlplatte aus WU-Beton, deren Oberkante bündig mit den Scheitelpunkten der preußischen Kappendecke über dem kleinen Bestandskeller abschließt. Die Räume zwischen den Scheitelpunkten wurden ebenfalls mit Sand verfüllt. Nun, da der gesamte Erdgeschossfußboden eben war, verlegten die Handwerker eine 14 cm dicke Schicht druckfeste Dämmung und darauf die Fußbodenheizung und den dazugehörigen Heiz-estrich.


Veränderung der Statik


Für die geplante Nutzung des Obergeschosses waren die alten Grundrisse der Schwesternwohnung völlig unbrauchbar. Sämtliche Fachwerkinnnenwände sollten daher abgebrochen werden, was jedoch ein statisches Problem aufwarf, da diese beiden längs durch das gesamte Obergeschoss verlaufenden Innenwände die Lasten des stehenden Dachstuhls über zwei dünne Mittelpfetten aufnahmen.

Da der Dachstuhl weitgehend intakt war und deshalb auch erhalten werden sollte, galt es für die Zimmerleute zunächst einmal, die unterdimensionierten Mittelpfetten auszubauen und zu ersetzen. Während dieser Arbeiten musste der Dachstuhl natürlich entsprechend abgestützt werden. Die beiden neuen Mittel-
pfetten aus Brettschichtholz schwenkten die Zimmerleute durch zwei „Montagelöcher“ in der rückseitigen Giebelwand ins Obergeschoss und verbolzten sie dort mit den Kehlbalken des Dachstuhls.

Nach dem kompletten Rückbau der Fachwerkwände wurden im Obergeschoss vier neue 70er Stahlstützen angeordnet, welche die Lasten aus den beiden Pfetten aufnehmen (siehe Grundriss auf Seite 31). Diese Stahlstützen stehen wiederum auf Stahlträgern in der Erdgeschossdecke. Diese Stahlträger waren im ehemaligen Klassenraum von der Außenwand bis zur Mittelwand bereits vorhanden und wurden von den Handwerkern durch Anschweißen neuer Stahlbauteile bis zur gegenüber liegenden Außenwand verlängert (siehe Grundriss auf Seite 30). Da sich der Auflagerpunkt am Durchgang zum geplanten Anbau jedoch als zu klein erwies, musste auch hier eine entsprechende Stahlstütze gestellt werden, welche die Lasten nun sicher abträgt.Die vier neuen Stahlstützen im Obergeschoss wurden so positioniert und dimensioniert, dass sie später in den neuen Trockenbauwänden (C 75 Profile) verschwanden. Dazu war es nötig, die Position der Innenwände schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt mit Schnüren genau festzulegen. „Diese Planung hat nicht nur wegen des peniblen Aufmaßes so gut funktioniert“, erinnert sich Architekt Thomas Spooren. „Die Maurer haben vor 100 Jahren eben auch sehr viel genauer gearbeitet als heute. Der Rohbau war exakt rechtwinklig.“


Innendämmung


Da eine Wärmedämmung der Außenfassade aus ästhetischen Gründen nicht zur Diskussion stand, entschied sich der Architekt zur Verbesserung des Wärmeschutzes für eine Innendämmung aus 5 cm dicken Calziumsilikatplatten. Leider erwies sich der originale Innenputz als so schlecht, dass er komplett abgeschlagen und durch eine neue Putzlage ersetzt werden musste. Erst danach konnten die Handwerker mit der Montage der klimaaktiven Dämmplatten beginnen. In diesem Zuge verschwand auch die zuvor erwähnte Stahlstütze im Erdgeschoss – sie wurde einfach ringsum mit Dämmplatten eingekoffert und so thermisch von der Außenwand getrennt.


Anbau


Den schlichten, kubischen Anbau, der sich der Kleinkinderschule gestalterisch angenehm unterordnet, mauerten die Handwerker auf einer neuen Sohlplatte aus 17,5 cm dicken KS-Steinen auf. Die Erdgeschossdecke und das Flachdach bestehen ebenso aus Beton wie die umlaufende Attika, die gleichzeitig als Überzug für die Fensteröffnungen im Obergeschoss fungiert. Den Zugang ins Bestandsgebäude stellt im Obergeschoss die aus der EG-Decke auskragende Betontreppe dar.

Die Außenwände des Anbaus erhielten ein 18 cm dickes WDV-System, das anschließend verputzt und in einem hellen Grauton gestrichen wurde. Den Übergang vom Anbau in die Kleinkinderschule markiert eine ebenfalls zweigeschossige Stahl-Glas-Konstruktion als Fuge zwischen Neu und Alt.


Fazit


„Ich hatte den Anspruch, den Altbau in seiner äußeren Erscheinung so zu behandeln, als wenn er unter Denkmalschutz stehen würde“, erklärt Architekt Thomas Spooren. Dazu gehörte unter anderem die Versetzung der Haustür an die originale Stelle, der Wiederaufbau des Ziergiebels und die exakte Rekonstruktion der alten Fenster.

Im Innenraum sollte diese Maxime jedoch nicht aufrecht erhalten werden, so dass hier bedarfsgerechter, moderner Wohnraum für eine mittlerweile fünfköpfige Familie entstehen konnte, die den Erhalt der Kleinkinderschule nun dauerhaft sichert. Die hat auch nach Umbau und Erweiterung ihren Charme behalten, was durch zahlreiche feine Details wie die originale, manuell zu bedienende Straßenlaterne an der Grundstücksgrenze, aber auch durch die inzwischen über hundert Jahre alte und irgendwie zum Haus gehörende Buche im Garten garantiert wird.

Baubeteiligte
 
Planung und Bauleitung:
Architekturbüro Spooren, Gütersloh

Zimmerarbeiten:
Vorderwisch GmbH,

Gütersloh
 
Dachdeckerarbeiten:
Pähler GmbH, Gütersloh
 
Fensterbauarbeiten (Holz):
Tischlerei Temme,

Gütersloh

Fensterbauarbeiten (Alu):
Schmitfranz Metallbau GmbH, Oelde-Lette

WDVS-Arbeiten:
Rickmann & Rehage GmbH, Gütersloh

Innenputzarbeiten:
Firma Rolf Osthus,

Gütersloh

Trockenbauarbeiten:
Scheidig-Gaisendrees GmbH, Gütersloh

Estricharbeiten:
Kerwien GmbH, Gütersloh

Treppenbauarbeiten

(Holztreppe innen):
Treppenbau Aufderstroth, Verl

Herstellerindex:

Dachziegel:
Dachziegelwerke Meyer-Holsen GmbH, Hüllhorst, www.meyer-holsen.de
 
WDVS:
Brillux GmbH & Co. KG, Münster, www.brillux.de
 
Innendämmung:
Calsitherm Silikatbaustoffe GmbH, Paderborn, www.calsitherm.de

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 1-2./2015

Raum im Rücken Sanierung und Anbau an ein Gründerzeitwohnhaus in Gütersloh

Maßstäbliche Pläne Maßstäbliche Pläne (Schnitte, Grundrisse und Details) finden Sie in der gedruckten Ausgabe der Zeitschrift bauhandwerk. Hier geht es zum Heft -> Das 1902 in der...

mehr
Ausgabe 1-2/2009

Exklusiv Umnutzung der Alten Polizei in Gütersloh zu Loft-Wohnungen

Einst waren die ostwestfälischen Städte Bielefeld und Gütersloh für ihre florierende Textilindustrie bekannt. In den Hecheleien, Spinnereien und Webereien stellte man dort Kleidung und Stoffe her,...

mehr
Ausgabe 1-2/2009

Spukschloss

Bisher nur ein Spuk im Bundestag und in den Köpfen der geplagten Wettbewerbsjury soll es nun Realität werden: das Stadtschloss in Berlin. Gebaut wird das so genannte Humboldt-Forum nach Plänen des...

mehr
Ausgabe 05/2017

Umbau eines Schafstalls zum Wohnhaus

Man erkennt sofort, dass dieses Gütersloher Fachwerkhaus einmal ein Wirtschaftsgebäude war. Die doppelte Deelendurchfahrt und der hohe Natursteinsockel weisen es als ehemaligen Schafstall aus. Der...

mehr
Ausgabe 09/2012

Charaktersache Umnutzung einer Remise in Gütersloh zum Wohn- und Geschäftshaus

Der Osten Westfalens ist seit jeher landwirtschaftlich geprägt. Schon in karolingischer Zeit gab es hier sogenannte Meier. Das waren vom Gutsherrn ernannte Aufseher über ein landwirtschaftliches...

mehr