Handwerkliche Rekonstruktion eines Altbaus in Wismar

Mit viel Engagement rekonstruierte Thomas Reinicke in Wismar ein Haus aus dem 19. Jahrhundert. Dabei legte er ausgesprochen viel Wert auf handwerkliche Oberflächen und Handwerkstechniken aus der Erbauungszeit des Hauses und entwickelte aus den widersprüchlichen Forderungen der Ämter eigene Detaillösungen.

Im kommenden Jahr ist es genau zehn Jahre her, dass die UNESCO die Altstadt von Wismar zum Weltkulturerbe erklärte. Das heißt nicht, dass dort nun alles bis aufs i-Tüpfelchen saniert und restauriert wäre. Ganz im Gegenteil: 2005 fand Thomas Reinicke, der gemeinsam mit dem Architekten Arndt Uhlig schon einige Häuser in Wismar saniert hat, an der „Frischen Grube“ ein kleines Haus aus dem 19. Jahrhundert, dessen ursprüngliches Erscheinungsbild ganz offensichtlich verloren gegangen war: „Das Haus hatte man zu Beginn der 1990er Jahre mit einem WDVS aus Polystyrol, unter dem auch die kleinen Fenster im Drempel verschwunden waren, kaputt saniert“, erzählt Thomas Reinicke, der in Wismar auch einen Naturbaumarkt für ökologisches Bauen und Sanieren betreibt. In den Jahrzehnten zuvor waren bereits nach und nach die Gesimse und schließlich auch die ursprünglich nach außen öffnenden Holzfenster verschwunden. Man hatte sie gegen Kunststofffenster ohne Stichbogen und Sprossenteilung ausgetauscht.

 

Hausschwamm und Austausch der Holzkonstruktion

Nachdem die Handwerker das WDVS von der Fassade geschält hatten, kam am Drempel unterm Dach Fachwerk zum Vorschein – und nicht nur das: „Der Hausschwamm, den wir dort gefunden haben, ist vom linken Nachbarn herübergewachsen“, stellte Thomas Reinicke fest. Infolgedessen mussten nicht nur die Fachwerkhölzer, sondern auch die Holzbalkendecke darunter entfernt werden. Den Drempel mauerten die Handwerker unter Berücksichtigung der hier einst vorhandenen vier kleinen Fensteröffnungen aus Porenbetonsteinen wieder auf.

Auch den alten Eichendachstuhl, dessen Hölzer noch aus Vorgängerbauten, vielleicht sogar dem Dachstuhl der benachbarten St. Nikolaikirche stammen, mussten die Handwerker abreißen – allerdings aus einem ganz anderen Grund als Schwammbefall: „Die Eichenbalken waren in einem wunderbaren Zustand. Wir haben die Hölzer aber dennoch untersuchen lassen, weil sie seltsam rochen“, erinnert sich Thomas Reinicke. Bei der Untersuchung kam heraus, dass man den Dachstuhl zu DDR-Zeiten mit DDT und Lindan behandelt hatte. „Das war eigentlich gar nicht nötig, weil in die Eiche sowieso nichts reingeht“, meint Reinicke. Hätte man die verseuchten Eichenbalken behalten wollen, so hätte das Hygieneinstitut eine Wohnnutzung im Dachgeschoss untersagt. Stattdessen ersetzten die Zimmerleute den alten Eichendachstuhl gegen einen neuen aus frisch gesägtem Kiefernholz. Aus dem Wunsch heraus, die Hölzer so zu bearbeiten, wie es die Zimmerleute einst getan hatten, zog Bauherr Reinicke die frischen Kiefernbalken dort, wo sie sichtbar sind (Ständer, Deckenbalken und schräge Windböcke) eine Woche lang von Hand mit dem Zieheisen und Schrubbhobel ab.

So, wie von der Denkmalpflege in Wismar gefordert, verlegten die Handwerker auf dem Dach ziegelrote Hohlpfannen. Darunter befindet sich eine 25 mm dicke Holzweichfaserplatte und eine mit 30 cm recht dicke Zelluloseeinblasdämmung, die nach innen von einer 4 cm dicken Holzweichfaserplatte abgeschlossen wird. So kommt man in der Summe auf eine 36,5 cm dicke Dachdämmung.

 

Auf der Suche nach dem ursprünglichen Erscheinungsbild

„Kreuz und quer waren wir gemeinsam mit dem Denkmalamt unterwegs durch die Stadt auf der Suche nach der Form der Gesimse, die einmal an der Fassade vorhanden gewesen sein mussten“, erinnert sich Thomas Reinicke. Mit den Gesimsen hatte man in den 1970er Jahren natürlich auch die Gesimssteine abgeschlagen. Daher mussten zunächst die alten Reste der abgeschlagenen Gesimssteine, die noch in der Backsteinfassade steckten, abschnittweise ausgestemmt und gegen neue Gesimssteine ersetzt werden. Erst danach konnte der Stuckateur die exakte Form der Gesimse mit einer Schablone, die er nach den Angaben des Denkmalamtes und des Bauherren angefertigt hatte, von Hand mit Muschelkalk ziehen. Auch in der Fläche wurde die Backsteinfassade mit Muschelkalk von Hand verputzt.

 

Traditioneller Fassadenanstrich mit Sumpfkalk

Auf die letzte noch frische Muschelkalkschicht trugen die Handwerker Sumpfkalk auf. „Ausgeführt in freskaler Technik, also frisch in frisch, ist das die einfachste Sache der Welt“, so Thomas Reinicke. Dabei wird eine Kelle Sumpfkalk mit sechsmal soviel Wasser zu einer Kalkmilch verdünnt und mit Pigment (Ocker) versetzt mit einem Quast aufgestrichen. Kostenpunkt: 15 bis 20 Euro pro Fassade – je nach Größe der Fläche. „Billiger kann man eine Fassade wirklich nicht streichen“, meint Reinicke.

Über Jahrhunderte hinweg hatte man Fassaden mit Sumpfkalk gestrichen. „In den 1970er und 80er Jahren ist das handwerkliche Wissen im Umgang mit Sumpfkalk bei vielen Malern verloren gegangen. Damals war der Saure Regen in aller Munde und Säure greift Kalk an. Daher ist man immer mehr dazu übergegangen, die Fassaden mit Plastefarben zu streichen“, sagt Thomas Reinicke. Erst seit der Mitte der 1990er Jahr hat man das Problem mit dem Sauren Regen weitgehend im Griff. „Seitdem kann man sich auch an Kalkfarben wieder herantrauen.“

 

Handwerkliche Erneuerung mit ökologischen Baustoffen

Auch im Inneren war aufgrund der vorherigen Nutzung des Hauses als Gastwirtschaft so ziemlich die gesamte Originalsubstanz verloren gegangen. Das, was innen noch vorhanden war, hatte mit dem Haus aus dem 19. Jahrhundert wenig zu tun. Daher wurde großzügig entkernt; teilweise erneuerte man sogar die Außenmauern zu den Nachbargebäuden. „Schritt für Schritt mussten wir abschnittweise das alte marode Mauerwerk gegen neue Ziegelsteine austauschen“, erinnert sich Thomas Reinicke.

Die Außenmauern wurden von innen in zwei Schichten mit je 6 cm dicken Mineralplatten gedämmt. Diese verklebten die Handwerker vollflächig stoßversetzt auf dem Ziegelmauerwerk beziehungsweise auf der ersten Schicht Mineraldämmplatten. Darauf montierten sie die Leitungen für die Wandflächenheizung, die anschließend unter drei Schichten Lehmputz verschwanden. Die erste Schicht – der Unterputz – wurde dabei scharf mit den Rohren abgezogen und erreicht dadurch eine Dicke von etwa 2 cm. Mit der zweiten Schicht wurde ein weiterer Zentimeter Lehmputz aufgetragen und mit Gewebe armiert. Den Abschluss bildet ein 0,5 cm dicker Lehmfeinputz. Der darauf aufgetragene Anstrich gliedert sich in drei Bereiche: Für das obere Drittel Wandfläche verwendeten die Maler Sumpfkalk, darunter Sumpfkalkfarbe in Ocker und unten schützt lediglich eine klare Lasur den Lehmputz.

 

Waschbecken und Badewanne aus Tadelakt

Eine handwerklich ganz besondere Behandlung erfuhren die Oberflächen der aus Porenbetonsteinen frei geformten Badewanne und des ebenso hergestellten Waschbeckens im Bad der Ferienwohnung im Erdgeschoss (www.ferienwohnung-frische-grube.de). Hier trug der Bauherr höchstpersönlich in zwei Schichten Tadelakt auf, ein ursprünglich aus Marokko stammender wasserdichter Kalkputz. Hierzu wird mit der Venezianerkelle eine erste etwa 1 mm dicke Schicht Tadelakt auf den vorab mit Kalk verputzten und Gewebe armierten Porenbetonstein aufgetragen und mit der Kelle verdichtet. Die zweite etwa 2 mm dicke Tadelaktschicht wird anschließend mit einem Polierstein extrem verdichtet. Auf diese Schicht wird reine Olivenseife aufgetragen, die ebenfalls mit dem Polierstein verdichtet zusammen mit dem Kalk im Tadelaktputz eine wasserdichte Schicht ergibt. Dadurch entsteht eine Oberfläche mit einer ausgesprochen handwerklichen Anmutung, die an eine vom Wasser glattgewaschene Steinoberfläche erinnert.

 

Fluchtweg und denkmalpflegerisches Detail

Handwerkliche Oberflächen zeigen auch die handgehobelten Eichendielen und Fensterbänke. Auch die in Dänemark gefertigten Holzfenster mit konstruktiv das Glas teilenden Sprossen nach historischem Vorbild, die wie bei den nordischen Nachbarn üblich, nach außen öffnen, sind Teil des von handwerklicher Qualität bestimmten Gesamtbildes.

Eine Besonderheit ist in diesem Zusammenhang das ganz rechte der oberen vier kleinen Fenster im Drempel, dessen Öffnung viel größer ist, als es zunächst scheint. Das Bauordnungsamt hatte für eine Wohnnutzung im Dachgeschoss einen direkten Fluchtweg nach außen gefordert. Dafür waren die Fenster im Drempel natürlich zu klein. Eine größere Fensteröffnung hätte aber das Denkmalamt nicht akzeptiert. Der Bauherr saß in der Klemme zwischen den Forderungen beider Ämter. Er löste den Widerspruch mit einem konstruktiv pfiffigen Detail – einem Fenster im Fenster, bei dem sich ein kleines Fenster, mit dem das Amt für Denkmalpflege leben konnte, in einem großen Fenster, das quasi Teil der Fassade ist, öffnen lässt. Das große Fenster, das zu etwa einem Drittel aus einer mit Muschelkalk verputzten und Sumpfkalk gestrichenen Holzweichfaserplatte besteht, wurde als Fluchtweg vom Bauordnungsamt anerkannt. So waren am Ende alle zufrieden.

„Preiswerter als mit Sumpfkalk kann man eine Fassade nicht streichen“

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