Abiturienten machen Freiwilliges Handwerksjahr beim Restaurationsbetrieb Kramp & Kramp
Drei Bundesländer bieten das Freiwillige Handwerksjahr an. Junge Leute können vier Betriebe in zwölf Monaten kennenlernen und bestenfalls einen Ausbildungsplatz finden. Lejla Lier und Maximilian Kinder erleben beim Restaurationsbetrieb Kramp & Kramp in Lemgo einen abwechslungsreichen Alltag.
Abitur in der Tasche und was dann? Diese Frage stellen sich Lejla Lier und Maximilian Kinder. Eins zumindest wissen sie: Sie wollen keinen Büro-Job. Sie starteten aus diesem Grund ins Freiwillige Handwerksjahr (FHJ), das es in Ostwestfalen-Lippe seit August 2025 gibt. Im Lemgoer Restaurationsbetrieb Kramp & Kramp ist die 18-jährige Lejla aus Lage in der Tischlerei eingesetzt. Maximilian Kinder (20) kommt aus Bielefeld und sammelt in der Malerei und Lackiererei Erfahrungen.
Lejla Lier und Maximilian Kinder absolvieren bei Kramp & Kramp in Lemgo das Freiwillige Handwerksjahr und erleben die Restaurierung von Bauelementen Schritt für Schritt. Hier schauen sie Tischler Noah Prasuhn (links) zu
Foto: Michaela Podschun
„Ich möchte jeden Tag den Fortschritt meiner Arbeit sehen“, sagt Maximilian. Seine Familie machte ihn auf einen Presseartikel über das Freiwillige Handwerksjahr aufmerksam, das die Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld anbietet. Dort werden Betriebe und Bewerberinnen und Bewerber gezielt zusammengebracht. Es ist ein flexibles Konzept, um junge Menschen fürs Handwerk zu begeistern. In zwölf Monaten können sie vier unterschiedliche Handwerksberufe ausprobieren. Die Praktika dauern drei Monate und werden mit einer Aufwandspauschale von 450 Euro pro Monat vergütet.
Maximilian Kinder ist seit Mitte Oktober bei Kramp & Kramp, Lejla Lier stieß Anfang November hinzu. „Ich hatte mir vorher schon zwei Praktikumsstellen gesucht und war bei einem Malerbetrieb und einer Zimmerei. Aber die Suche nach diesen Praktika war doch mühselig. Von vielen Firmen kam keine Rückmeldung. Da ging die Bewerbung fürs FHJ deutlich einfacher“, zieht die 18-Jährige Bilanz.
Lejla stellt Holzverbindungen her und geht auf Montage nach Lüdenscheid
Lejla poliert Beschläge und war auch bereits auf Montage
Foto: Michaela Podschun
Beide Praktikanten fühlen sich sehr wohl im Lemgoer Fachbetrieb, der sich auf Altbauten, Restaurierung und Denkmalpflege konzentriert. Sie wurden von Anfang an ins Team integriert. Lejla säuberte Beschläge und stellte verschiedene Holzverbindungen her, beispielsweise eine Überblattung und Stützenzapfen. Außerdem war sie bereits mit auf Montage. Beim Stadtmuseum in Lüdenscheid werden alte Fenster restauriert. Bevor diese aber fertig aufgearbeitet sind, müssen Ersatzfenster eingesetzt werden. „Diese Übergangsfenster haben wir nach Lüdenscheid gebracht und für den Einbau vorbereitet. Das ist wie ein Puzzle“, berichtet sie.
Alle Fenster werden vorab durchnummeriert, um sie dem jeweiligen Raum zuordnen zu können. Außerdem mussten Schutzzonen im Museum errichtet werden. Denn in alten Fenstern steckt oftmals Blei im Farbanstrich. Um Handwerker, Museumsbesucher und die dortigen Mitarbeiter vor gefährlichen Stäuben zu schützen, wurden die Arbeitsbereiche abgeschottet. Die 18-Jährige half auch mit, Beschläge und Schrauben so vorzubereiten, dass sie sich leichter an den Fenstern lösen lassen.
Maximilian grundiert und streicht Fensterflügel
Fensterkitt erneuern gehört zu den Aufgaben von Maximilian, der in der Malerei und Lackiererei eingesetzt ist
Foto: Michaela Podschun
Maximilian Kinder hat in der Malerei und Lackiererei Fensterflügel und Eisengitter grundiert und gestrichen. Er lernte auch, alten Kitt herauszukratzen und neuen einzusetzen. In der Metallwerkstatt reinigte er Fensterelemente per Sandstrahlen und war erstaunt, welche Effekte sich erzielen lassen. „Es ist wirklich cool, wie alte Fenster aufgearbeitet werden. Hier sehen wir jeden Schritt“, ist auch Lejla begeistert.
Die beiden Werkstattleiter Dieter Nagel und Rouven Steinbach ermöglichen den beiden Praktikanten je nach Auftragslage vielfältige Arbeiten. „Maximilian kann in den nächsten Tagen auch in einem Gebäude Wände streichen. Wir sind hier kein klassischer Malerbetrieb. Bei der Restauration historischer Bauteile kümmern wir uns auch um Fußböden, Treppen und um Außergewöhnliches wie Vergoldungen“, schildert Dieter Nagel. Daher laufe die Ausbildung auch nicht nach „Schema F“.
Kramp & Kramp ist mit mehr als 100 Mitarbeitern ein Betrieb, der viele Gewerke vereint und traditionelle Techniken im Tischler-, Zimmerer-, Maurer-, Glaser-, Maler- und Lackiererhandwerk bewahrt. Jedes Gebäude sei individuell und erfordere spezielle Arbeitsschritte und Produkte. „Bei Wandverkleidungen schauen wir, welche Farben ursprünglich verwendet worden sind und welche Farbtöne wir nun mischen müssen. Auch Details sind wichtig. Bei einem Torbogen, den wir nachmalen sollten, ging es darum, die Inschrift wieder sichtbar zu machen“, berichtet Rouven Steinbach. Bei Bauten, die unter Denkmalschutz stehen, sind auch zahlreiche Abstimmungen mit den Behörden wichtig.
Ältere Praktikanten sind sehr motiviert
„Bei älteren Praktikanten, die von sich aus zu uns kommen, merken wir, dass sie sehr motiviert sind. Daher ist das Freiwillige Handwerksjahr eine tolle Sache“, so Dieter Nagel. Denn die jungen Leute erhalten vielfältige Einblicke, die ein kurzes Schulpraktikum nicht geben könne. „Der Beruf des Glasers ist nichts für mich“, hat Maximilian Kinder festgestellt. Die Metallarbeiten haben ihn mehr gereizt. „Es ist gut, wenn FHJler feststellen, was ihnen nicht so liegt. Erst dann können sich Interessen erkennen lassen“, antwortet Dieter Nagel.
Beide FHJler wissen noch nicht, welchen weiteren Betrieb sie besuchen und lassen das auf sich zukommen. „Das ist ja das Schöne am Handwerk. Es gibt etliche Gewerke und auch zahlreiche Weiterbildungsmöglichkeiten. Ich muss nicht ein Leben lang Geselle bleiben“, betont Steinbach. Meisterprüfung, Betriebswirt, Schwerpunkte wie Restaurator im Handwerk oder Schimmelsanierung sind denkbar. Wer Maschinen bedient, wie zum Beispiel CNC-Fräsen oder Airlessgeräte, braucht zudem ein gutes technisches Verständnis.
Drei Bundesländer bieten das FHJ an
Das FHJ ist bislang noch kein flächendeckendes Programm, sondern wird in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und NRW (Ostwestfalen-Lippe) angeboten. Schleswig-Holstein hat die bislang meisten Erfahrungen. Das FHJ begann dort im September 2024. OWL und Baden-Württemberg starteten im August beziehungsweise im September 2025. In Baden-Württemberg heißt das Modell „Freiwilliges Berufsorientierungsjahr“ (FBJ) und wird von der Kreishandwerkerschaft Böblingen organisiert.
„Das erste Match hatten wir innerhalb von 24 Stunden“, ist Annika Reimann als Ansprechpartnerin bei der Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld begeistert. Ein junger Mann fing als erster FHJ-
ler in OWL am 1. September bei der Tischlerei Hoffmann in Steinhagen im Kreis Gütersloh an. „Ich freue mich, dass das so schnell geklappt hat“, meint Inhaber Karsten Hoffmann. „Es ist immer großartig, wenn wir Leute für das Handwerk begeistern können. Daher appelliere ich auch an alle anderen Betriebe: Macht mit, seid dabei und unterstützt das Projekt.“
„Wir rennen offene Türen ein“, zieht auch Nadine Grün, Leiterin der Abteilung Nachwuchsgewinnung bei der Handwerkskammer Lübeck, positive Bilanz. Mehr als 70 Jugendliche haben bisher das Angebot zur Berufsorientierung wahrgenommen. Und 20 davon haben sich für eine Ausbildung im Handwerk entschieden und im Sommer damit begonnen.
Unterschiede beim Alter und der Bezahlung
Das FHJ läuft in den drei Bundesländern unter ähnlichen Bedingungen ab. Unterschiede bestehen in der Höhe der Aufwandsentschädigung und des Teilnahmealters. In Schleswig-Holstein und OWL erhalten FHJler 450 Euro pro Monat, in Baden-Württemberg 500 Euro. In OWL müssen Interessierte ihre Schulpflicht erfüllt haben oder volljährig sein. Schleswig-Holstein konkretisiert dies für ESA, MSA, Abitur oder an-/abgebrochenes Studium. Baden-Württemberg definiert ein Mindestalter von 16 Jahren. Minderjährige können im Landkreis Böblingen bei ausgewählten Schulen von der Schulpflicht befreit werden.
Die Handwerkskammern unterstützen diejenigen, die sich für ein FHJ interessieren und Betriebe, die Praktikanten aufnehmen möchten. Sie koordinieren Angebote und übernehmen das Matching. Handwerker und Jobinteressierte sollen möglichst passgenau zusammenkommen. Vorteil für die Firmen: Sie können für den eigenen Bedarf ausbilden. Zusätzlich profitieren auch gestandene Handwerker von frischen Ideen und erhalten Unterstützung, ohne sich langfristig binden zu müssen. Bewerbungen laufen per Mail oder über Online-Anmeldemöglichkeiten bei den Handwerkskammern und der Kreishandwerkerschaft. Weitere Infos zum FHJ und FBJ gibt es hier:
bauhandwerk-Bericht: FHJ in drei Bundesländern
www.hwk-luebeck.de/ausbildung/wege-ins-handwerk/freiwilliges-handwerksjahr
AutorinMichaela Podschun ist Redakteurin der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.
OWL setzt mit Workshops zusätzliches „PLUS“
OWL setzt – ähnlich wie die Baden-Württemberger – mit zusätzlichen Workshops noch ein I-Tüpfelchen drauf. In begleitenden Workshops erlernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Freiwilligen HandwerksjahrPLUS unter anderem Soft Skills, die über fachliche Kenntnisse hinaus im Berufsleben entscheidend sind. „In Seminaren und Workshops geben wir Dir einen Rahmen zur Selbstreflexion, aber auch zur Vernetzung mit anderen Freiwilligen“, spricht die Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld junge Leute direkt an. Das Projekt wird als JOBvision-Projekt aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung, Familie, Soziales, Frauen und Jugend gefördert.
