„In Verträgen sollte eine Preisgleitklausel festgehalten werden“

Die Baustelle muss trotzt Materialknappheit am Laufen gehalten werden. Wer trägt die Kosten, wenn die Preise für Holz, Dämmstoffe und Ziegel steigen? Was können Firmen tun, wenn Termine nicht zu halten sind? Fragen, mit denen sich Rechtsanwalt Felix Korten aus Hamburg derzeit sehr oft beschäftigt und kleinere und mittelständische Betriebe berät.

Viele Handwerker haben vor Monaten kalkuliert und Angebote gemacht. Jetzt sind die Preise nicht mehr zu halten. Können sie die gestiegenen Rohstoff-Kosten an die Bauherren weitergeben?

Felix Korten: Das kommt auf den Vertrag an. Wenn fixe Konditionen abgemacht wurden und der Bauherr diesen Vertrag angenommen hat, dann sieht die Rechtsgrundlage eben so aus: Das Preisrisiko trägt grundsätzlich der Handwerker.  Er muss also zu den angegebenen Preisen seine Leistungen liefern.

Der Materialmangel ist eine besondere Situation, mit der kaum zu rechnen war. Lässt sich mit „höherer Gewalt“ argumentieren?

Korten: Das ist eine hoch komplexe Frage und im Einzelfall zu entscheiden. Zunächst ist zu schauen, ob hierüber entsprechende Vereinbarungen getroffen worden sind. Andernfalls ist zu differenzieren, ob die entsprechenden Rohstoffe irgendwann noch geliefert werden können oder eine Lieferung sogar gänzlich ausgeschlossen ist. Bei einer vorübergehenden Nichtverfügbarkeit ist das Argument „höhere Gewalt“ im Rahmen einer gestörten Geschäftsgrundlage zumindest nicht abwe­gig. Soweit eine dauerhafte Nichtverfügbarkeit besteht oder ein Beschaffungsaufwand für das Unternehmen unver­hältnismäßig ist, könnte der Unternehmer aufgrund fehlender Handlungsmöglichkeiten von seiner Pflicht zur Bauleistung befreit sein.

Auch Bauherren stecken in der Klemme. Die Wohnung ist gekündigt, doch der Einzug ins neue Haus verzögert sich. Manch einer sieht sich womöglich schon im Hotel wohnen. Können diese Kosten den Handwerksbetrieben aufs Auge gedrückt werden?

Korten:  Wurde die Fertigstellung per Vertrag festgelegt, dann könnte der Betrieb durchaus verpflichtet sein, die Unterbringungskosten zu übernehmen. Oftmals lassen sich aber Lösungen finden.

Fungieren Sie in diesen Fällen auch als Mediator?

Korten: Ja, genau. Kein Bauherr hat schließlich ein Interesse daran, dass sein Bauträger in die Pleite getrieben wird. Es besteht die Möglichkeit, sich die höheren Material-Kosten zu teilen, damit der Bau weitergehen kann. Mit dem Vermieter kann ein späterer Auszug vereinbart werden. Es gibt viele Aspekte, über die geredet werden kann, um eine für alle Seiten missliche Lage zu entschärfen.

Wie können sich Handwerksbetriebe in Zukunft vor solchen Preisexplosionen schützen beziehungsweise das finanzielle Risiko minimieren?

Korten: Es sollte eine Preisgleitklausel in Verträgen festgehalten werden. Das ist eine Art Puffer. Es wird zum Beispiel vereinbart, dass Preissteigerungen ab einer gewissen Hürde weitergegeben werden. Dann kostet ein Haus nicht 600 000 Euro, sondern 670 000 Euro, wenn sich die Marktverhältnisse verändern.

Wie sieht eine solche Klausel aus?

Korten: Empfohlen wird eine „offene“ Formulierung, da diese als rechtssicherer gilt: „Für den Fall, dass nach Vertragsschluss die vom Auftragnehmer zu zahlenden Netto-Einkaufspreise für die vertragsgegenständlichen Materialien = (insbesondere Holz, Dämmstoffe, Metalle) zum Zeitpunkt ihrer Lieferung um mehr als (...) Prozent steigen oder fallen sollten, hat jede der beiden Vertragsparteien das Recht, von der jeweils anderen den Eintritt in ergänzende Verhandlungen zu verlangen, mit dem Ziel, durch Vereinbarung eine angemessene Anpassung der vertraglich vereinbarten Preise für die betroffenen vertragsgegenständlichen Materialien an die aktuellen Lieferpreise herbeizuführen.“ Alternativ kann auch eine individuelle Vereinbarung ergänzend zum Vertrag erfolgen.

Autoren
Michaela Podschun und Stephan Thomas sind Redakteure der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.

Zur Person

Felix Korten ist Rechtsanwalt in Hamburg und gründete im Jahr 2003 die Anwaltskanzlei KMP Rechtsanwälte, die 2018 in die Korten Rechtsanwälte Aktiengesellschaft umfirmiert wurde. Als Vorstand führt er die Sozietät mit elf Anwälten rund um die Themen Wirtschaft und
Finanzen. Felix Korten berät Unternehmer sowie kleine und mittlere Unternehmen in den Bereichen Arbeitsrecht und Gesellschaftsrecht. Felix Korten ist Senator im Senat der Wirtschaft.
Weitere Infos: Korten-ag.de

Bund will Preisgleitklauseln stärken

Die Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen e.V. (BVMB) hat zusammen mit weiteren Spitzenverbänden gefordert, Preisgleitklauseln mit Baufirmen verstärkt zu ermöglichen. In jedem künftigen neuen Vergabeverfahren aus dem Bereich des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) wird künftig geprüft, ob die Voraussetzungen für die Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln vorliegen. Das teilte das Ministerium mit. Wenn insbesondere „Sprünge von mehreren Indexpunkten pro Monat“ in den Preisindizes des Statistischen Bundesamts zu verzeichnen sind, liege ein besonders hohes Wagnis der Bieter vor, „dass die Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln nahelegt“, heißt es in der Mitteilung.

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