Liebe Leserinnen, liebe Leser,

kaum ein Bauvorhaben wird hierzulande so kontrovers diskutiert wie der Wiederaufbau des Berliner Schlosses. Diese Sehnsucht der Deutschen nach dem verloren gegangenen Original ist nicht neu – auch wenn so prominente Beispiele wie das Hotel Adlon in Berlin oder die Dresdner Frauenkirche diese Vermutung nahelegen. Die Geschichte des Wiederaufbaus historischer Gebäude ist lang. Alles begann damit, dass die preußischen Kronprinzen die alten Rheinburgen wiederhaben wollten. Die hatte man nämlich im 30-jährigen-Krieg und im pfälzischen Erbfolgekrieg zerstört. Und weil das 19. Jahrhundert von einer rückwärtsgewandten Romantik beseelt war, wurde der Wiederaufbau der Rheinburgen zu einer Mode der Reichen. Lieber schlief man auf Feldbetten im kalten Rittersaal als im warmen Federbett seiner Villa. Im Rückblick nannte man diese Zeit Romantik.

Ein Wesenszug dieser Epoche war es, Burgen und Schlösser so wieder aufzubauen, wie man sie sich aus einer romantisch verklärten Sicht des Mittelalters vorstellte – also nicht so, wie sie wirklich wohl einmal ausgesehen hatten. Karl Friedrich Schinkel baute zum Beispiel das Schloss Stolzenfels nahe Koblenz ohne die typischen Steildächer wieder auf. Dadurch entstand ein vollkommen neues Bild, das wenig mit dem einer mittelalterlichen Burg zu tun hatte, aber viel damit, wie man sich eine mittelalterliche Burg vorstellte. Schon damals regte sich Widerstand gegen eine derartige Wiederaufbau-Nostalgie: Bereits 1843 wurde der Schinkelschüler Ferdinand von Quast zum ersten „Konservator der Kunstdenkmale des Preußischen Staates“ ernannt und damit die Denkmalpflege begründet.

Nun kann man weder der Frauenkirche noch dem Berliner Schloss den Vorwurf machen, dass dort etwas nach einer Vorstellung wiederentsteht, wie diese Gebäude einmal ausgesehen haben könnten. Zu akribisch wird und wurde dort mit Schwarzweißfotografien und Zeichnungen gearbeitet, eben um dem Original möglichst nahe zu kommen. Was die Gemüter erregt, ist, dass dort Geschichte vorgetäuscht wird, wo sie verschwunden ist. Und wozu eine Kirche ohne Gemeinde? Wozu ein Schloss ohne König? Aber handwerklich interessant ist der Wiederaufbau des Berliner Schlosses natürlich allemal, weshalb wir uns auf den Weg nach Berlin gemacht und der Schlossbauhütte einen Besuch abgestattet haben. Den aktuellen Stand der dortigen Arbeiten erfahren Sie ab Seite 10 in dieser Ausgabe der bauhandwerk.

 

Viel Erfolg bei der Arbeit wünscht Ihnen

Die Sehnsucht der Deutschen nach dem verloren gegange­nen Original ist nicht neu

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 12/2012

Zu Besuch in der Berliner Schlossbauhütte

Zu beklagen ist aus denkmalpflegerischer Sicht sicherlich, dass die Regierung der DDR 1950 dem im Zweiten Weltkrieg stark beschädigten Berliner Schloss endgültig den Garaus gemacht hatte: Der real...

mehr
Ausgabe 03/2013

Geputztes Quaderkleid Wiederaufbau von Schloss Herrenhausen in Hannover

Schloss Herrenhausen in Hannover – einst Sommerresidenz der Welfen – war vor 300 Jahren ein Zentrum des internationalen Hochadels. Mitte Oktober 1943 zerstörten britische Bomben im Zweiten...

mehr
Ausgabe 04/2013

Das Tieranatomische Theater entstand zeitgleich mit dem ebenfalls von Langhans entworfenen Brandenburger Tor

rund eine Million Gebäude stehen hierzulande unter Denkmalschutz. Doch diese könnten unterschiedlicher nicht sein. Neben historisch wertvollen Bauten, wie Jahrhunderte alte Kirchen, Burgen und...

mehr
Ausgabe 7-8/2017

Kolossalfigur des Antinous am Berliner Schloss montiert

Über den Baufortschritt am Berliner Schloss haben wir in bauhandwerk immer wieder berichtet: Von den Arbeiten an den Tonmodellen in der Schlossbauhütte, über die Montage der ersten danach...

mehr
Ausgabe 11/2021

Sandstein und Terrakotta am Eosanderportal am Berliner Schloss

Die Eröffnung des Berliner Schlosses mit dem integrierten Humboldt Forum lief anders als erwartet. Der Termin, dem so viele Beteiligte entgegengefiebert hatten, wurde digitalisiert. Wie für die...

mehr