Rekonstruktion des Fassadenstucks und Dachgeschossausbau am Kaiser-Ludwig-Platz in München

Bei der Sanierung eines Mietshauses aus der Gründerzeit am Kaiser-Ludwig-Platz in München entstand durch den Ausbau des Dachgeschosses nicht nur zusätzlicher Wohnraum, für die Rekonstruktion des Fassadenstucks wurde das Projekt mit dem Fassadenpreis der Landeshauptstadt München ausgezeichnet.

Wer am Kaiser-Ludwig-Platz in München wohnt, darf sich vermutlich jedes Jahr aufs Neue im September über den Übernachtungsbesuch auswärtiger Freunde freuen. Denn von dort aus sind es nur wenige Schritte bis zur Theresienwiese, wo alljährlich das Oktoberfest, das größte Volksfest der Welt, Gäste aus aller Herren Länder anlockt. Doch trotz dieser exponierten Lage fällt das Gebäude mit der Hausnummer 1 selbst an Architektur interessierten Wiesn-Gängern wohl erst auf den zweiten Blick auf, denn seine neobarocke Fassade wurde bei der Sanierung so geschmackvoll und zurückhaltend inszeniert, dass sie sich nahtlos in die gründerzeitliche Bebauung der Umgebung einfügt, ohne mit ihrer Pracht und ihren Details zu protzen.

Außerdem hat ein flüchtiger Betrachter ja auch nicht den direkten Vergleich, wie das denkmalgeschützte Gebäude vor der Sanierung ausgesehen hat, für die das Projekt – völlig zu recht – mit dem Fassadenpreis der Stadt München ausgezeichnet wurde. Der Eckbau, den Josef  Wölker von 1893-94 errichten ließ, sah zu Beginn der Fassadensanierung im Jahr 2009 relativ „nackt“ aus. 1964 hatte die damalige Eigentümerin mit Genehmigung der Behörden den größten Teil der bauzeitlichen Stuckverzierungen abschlagen lassen, so dass die ursprüngliche Wirkung praktisch nicht mehr erkennbar war. Nur am Eingangsportal waren ein Rest der Bossierung, sowie einige Stuckelemente und zwei bronzene Putten erhalten geblieben. Die restliche, glatte Putzfassade hatte man in einem kräftigen Gelbton gestrichen, die Fenster mit weißen Faschen abgesetzt. Trotzdem stand das Gebäude, dessen ursprünglicher Architekt sich nicht mehr zweifelsfrei ermitteln lässt, weiterhin unter Denkmalschutz, genauso wie das angrenzende Theresiengymnasium und ein weiteres Mietshaus am Kaiser-Ludwig-Platz.

Der „Schatz“ im Dachgeschoss

„Zunächst sollte es nur darum gehen, eine einzelne Wohnung zu sanieren, die zuvor 30 Jahre lang vermietet gewesen war“, erinnert sich Markus A. Schön, Geschäftsführer der Pro-Bau Baumanagement GmbH, an den Start des Projektes, an dessen Ende das Gebäude mit dem Fassadenpreis der Stadt München 2011 ausgezeichnet wurde. Eigentlich gehören einzelne Wohnungsrenovierungen gar nicht zum Portfolio der Pro-Bau, die sich in München und Umgebung einen hervorragenden Ruf als zuverlässiger Manager für anspruchsvolle Bauprojekte sowohl im Neubau als auch bei Sanierungen und Restaurierungen erworben hat (siehe: bauhandwerk 7-8.2016). Aber da es sich bei der Auftraggeberin um eine langjährige Stammkundin handelte, machte man natürlich eine Ausnahme. Und schon bei seinem ersten Besuch entdeckte der Geschäftsführer des Unternehmens, das in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen feiert, einen „Schatz“. „Im Dachgeschoss befand sich ein Speicher mit einer Höhe von 6,85 m, der praktisch ungenutzt war. Das reicht für zwei zusätzliche Wohnebenen mit immer noch sehr großzügiger Raumhöhe“, schlug Schön seiner Auftraggeberin vor.

Fassadenrekonstruktion: eine Herzensangelegenheit

Zunächst wurde jedoch, wie geplant, die leerstehende Erdgeschosswohnung saniert, denn der Ausbau des Dachgeschosses setzte verständlicherweise einen längeren Planungsprozess voraus, zumal alle Ideen mit dem Denkmalamt abgestimmt werden mussten. Um den Wohnkomfort für alle Mieter, auch und vor allem für die zukünftigen Bewohner des Dachgeschosses zu steigern und somit auch den Wert der Immobilie zu erhöhen, sollte außerdem ein Aufzug installiert werden. Aus den gleichen Gründen war man sich auch bald einig, die Balkone auf der Hofseite des Gebäudes wieder anzubringen. Auf historischen Fotos sind solche Freitritte in französischem Stil mit bauchig-geschwungen Metallgeländern zu sehen, die später offenbar ebenfalls abgebaut wurden.

Da klar war, dass der Ausbau des Dachgeschosses nur mit Hilfe eines Gerüstes bewerkstelligt werden konnte, lag natürlich auch die Frage auf der Hand, was mit der Fassade passieren sollte. „Warum richten wir die nicht wieder so her, wie sie mal war?“, stellte Markus A. Schön sich und seiner Auftraggeberin die entscheidende Frage. „Würde das denn gehen?“, zeigte sich die Eigentümerin prinzipiell aufgeschlossen für die Idee, schließlich existierten keine genauen Pläne des ursprünglichen Fassadenschmucks, und auch auf den historischen Fotos lassen sich viele Details allenfalls erahnen. Klar war, dass so eine Rekonstruktion ein Lieberhaber-Projekt sein würde, dessen Kosten sich auch durch den Wertzuwachs der Immobilie kaum amortisieren lassen, schließlich würden allein die Fassadenarbeiten später mit rund 500 000 Euro zu Buche schlagen. Daher war es für die Realisierung auch von entscheidender Bedeutung, dass nach intensiven Gesprächen mit dem Denkmalamt schließlich ein Zuschuss in Höhe von 86 000 Euro gewährt wurde.

Sanierung in bewohntem Zustand

Voraussetzung, um die Sanierung und vor allem den Ausbau des Dachgeschosses in bewohntem Zustand durchführen zu können, war ein Gerüst mit Wetterschutzdach. Die Firma Westermaier Gerüstbau nutze für diese anspruchsvolle Aufgabe ein Gerüst von Layher. Besonders kniffelig war es dabei, über dem gebrochenen Grundriss die Lasten sicher abzutragen, zumal naheliegende Auflagerpunkte nicht genutzt werden konnten, weil die Hofzufahrt an der Seite des Gebäudes für die Feuerwehr freigehalten werden musste.

Zwei zusätzliche Ebenen unterm Mansarddach

Unter dem Wetterschutzdach machten sich die Handwerker zunächst daran, das mit Biberschwanz-Ziegeln gedeckte Mansarddach abzudecken und oberhalb der obersten Geschossdecke alles zurückzubauen, was nicht unter Denkmalschutz stand. Der Dachstuhl selbst musste folglich erhalten bleiben. Da die Konstruktion an einigen Stellen für den Einbau von Fenstern geschwächt werden musste, tauschten die Handwerker nicht nur geschädigte Hölzer aus, sondern ergänzten den Dachstuhl um eine Stahlkonstruktion, die auch die zweite Wohnebene trägt.

Um die neuen Wohnebenen im Dachgeschoss energetisch auf den bestmöglichen Stand zu bringen, bauten die Handwerker eine Zwischensparrendämmung sowie eine 6 cm dicke Aufdachdämmung ein. Das Mansarddach wurde wieder mit neuen Biberschwanziegeln gedeckt, die flachen Bereiche erhielten eine Bekleidung aus Stehfalzblechen. Belichtet wird das Dachgeschoss zum einen durch große Oberlichter im flachen, von der Straßenebene aus nicht sichtbaren Teil des Daches. Zum anderen bauten die Handwerker in die Mansarden kleine Gauben mit Fenstern, sowie besondere Dachflächenfenster ein. Da deren Brüstung so tief liegt, dass Menschen bei herkömmlichen, nach oben öffnenden Modellen herausstürzen könnten, fahren die Flügel der eingebauten Fenster elektrisch nach unten, so dass ihre obere Kante als Brüstung dient. „Das war die perfekte Lösung, um unsere Problem mit der Absturzsicherung auf ästhetische Weise zu lösen. Leider hatten wir im Nachgang schon mehrere Reparaturen an den Fenstern“, berichtet Markus A. Schön. Zur Hofseite hin erhielten beide Dachgeschosswohnungen, die sich als Maisonettewohnungen jeweils über zwei Ebenen erstrecken, eine Loggia beziehungsweise einen Balkon. Den Zugang zum Balkon gewährt dabei ein speziell angefertigtes, raumhohes Glaselement von Schüco, das den Räumen ein atelierartiges Flair verleiht.

Auch die Fehlbodendecke über dem letzten Geschoss bauten die Handwerker bis auf die Sparren zurück. Zum Schall- und Wärmeschutz füllten sie den Raum zwischen den Sparren mit einer zementgebundenen Schüttung. Darauf wurde ein komplett neuer Fußbodenaufbau mit einer wassergeführten Flächenheizung eingebaut. Der Innenausbau erfolgte in Trockenbauweise, bei der die Handwerker die Oberflächen in Q3 herstellten.

Französische Balkone

Obwohl die Anforderungen der Denkmalbehörde an die Gestaltung der Hofseite weniger streng ausfiehlen, setzte Markus A. Schön bei der Planung der Balkone auf eine möglichst originalgetreue, ästhetisch hochwertige Lösung: „Aufgeständerte Balkone kamen für mich nicht in Frage!“ Stattdessen ließ er von einem aus langjähriger Zusammenarbeit bewährten Schlosserbetrieb Stahlbalkone anfertigen, die an Abhangträgern befestigt sind. Diese Träger wiederum sind mit mächtigen Ankern in die drei Geschossdecken eingebunden. Die geschwungenen Metall-Geländer der Balkone verfügen sogar über integrierte Halterungen für Balkonkästen, damit ein einheitliches Erscheinungsbild gewährleistet ist.

Rekonstruktion der Fassade

Während die Ergebnisse der bisher beschriebenen Arbeiten für den flüchtigen Betrachter kaum wahrnehmbar sind und vor allem den Mietern des Hauses zugute kommen, wertet die Wiederherstellung der historischen Fassade den Kaiser-Ludwig-Platz insgesamt auf. Bevor die Stuckateure an die Rekonstruktion gehen konnten, mussten zunächst die Oberflächen von Trennschichten befreit werden. Das erledigten sie auf besonders schonende Art und Weise durch das Strahlen mit Trockeneis. Dabei entdeckten auch sie einige „Schätze“, wie die Spuren bauzeitlicher Baluster unterhalb des oberen Fensters des Prachtgiebels.

Abgesehen von derartigen Glücksfällen waren Planer, Handwerker und Denkmalpfleger an vielen Stellen auf Vermutungen und Detektivarbeit angewiesen. Anhand alter Fotos ließ sich nachweisen, dass die am Eingangsportal erhaltene Bossierung sich ursprünglich über das gesamte Erdgeschoss erstreckt hatte. Schwieriger war die Gestaltung der Gesimse und Stuckornamente, die auf den alten Fotos nicht im Detail zu erkennen waren. Da das Gebäude mit dem Nachbaranwesen laut seiner Historie baulich ein „Doppelhaus“ bildet, konnte man davon ausgehen, dass die Fassadengestaltung beider Häuser sehr ähnlich waren, beide Häuser möglicherweise sogar vom gleichen Architekten entworfen wurden. Markus A. Schön holte daher dank seiner Überzeugungskraft von den Eigentümern des Nachbarhauses die Erlaubnis ein, den dort sehr gut erhaltenen Stuck als Vorlage verwenden zu dürfen. Dazu fuhren die Stuckateure jedes einzelne Ornament mit dem Hubsteiger an und formten es ab. Die so entstanden Silikonformen dienten als Vorlage für den Großteil des Fassadenschmucks am Kaiser-Ludwig-Platz 1. Trotzdem war an vielen Stellen noch das Fachwissen und der Geschmack der Planer und Denkmalpfleger gefragt, um aus allen Details ein stimmiges Gesamtbild werden zu lassen. An einigen Stellen kamen auch künstlerische Freiheit und Phantasie ins Spiel, zum Beispiel bei den straßenseitig angebrachten Köpfen eines Ritters und Burgfräuleins, die während der Bauphase von den Beteiligten scherzhaft die Namen „Kunibert“ und „Kunigunde“ erhielten. Insgesamt arbeiteten fünf  Stuckateure sechs Monate an der Fassade. Während die Ornamente in der Werkstatt gefertigt wurden, trugen sie die Gesimse und Bossierungen direkt an. Zum Schluss beschichteten die Handwerker die Fassade mit einer Silikatfarbe von Sto, die in Weißtönen aus der Keimpalette eingefärbt wurde. Genau andersherum als sonst üblich wählte Markus A. Schön nach langen Diskussionen mit der Denkmalschutzbehörde den dunkleren Farbton für die Bossierungen und den Stuck, während die ebenen Flächen mit dem hellen Ton gestrichen wurden, was dem Gebäude eine besonders edle Wirkung verleiht. „Als ich nach dem Abbau der Gerüste das Endergebnis sah, war mir sofort klar: Damit holen wir den Fassadenpreis“.

Autor

Thomas Schwarzmann ist Redakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.

Baubeteiligte (Auswahl)

Bauherrin Immosignum, München

Planung und Bauleitung Pro-Bau Baumanagement, München

Denkmalschutz Untere Denkmalschutzbehörde der Landeshauptstadt München

Gerüstbau Gerüstbau Westermaier, Bockhorn

Abbrucharbeiten Michael Nagy Abbruch- & Rückbau, Kirchheim

Zimmererarbeiten Häusler Holzbau, Ampfing

Aufzugsbau Butz & Neumair, Bergkirchen

Atelierfensterbau Metallbau Regler, Königsbrunn

Balkone, Zaun Schöfer Schlosserei, Wallersdorf

Innenausbau Graband & Ruppert,

Rosenheim-Happing

Malerarbeiten Firma Rauch, Bäumenheim

Parkettarbeiten Wöretshofer Innenausbau,

Garmisch-Partenkirchen

Innentüren und Treppen Schreinerei Walter Bauer,

Schönberg

Herstellerindex (Auswahl)

Gerüst Layher, Güglingen, www.layher.com

Flachdachfenster Velux, Hamburg, www.velux.de

Biberschwanzziegel Erlus, Neufahrn, www.erlus.de

Blechdach Prefa, Wasungen, www.prefa.de

Atelierfenster Schüco, Bielefeld, www.schueco.com

Trockenbauplatten Knauf, Iphofen, www.knauf.de

Zementgebundene Schüttung Fibo Exclay, Lamstedt, www.fiboexclay.de

Zwischensparrendämmung Saint-Gobain Isover, Ludwigshafen, www.isover.de

Aufdachdämmung Pavatex, Mannheim,

www.pavatex.de

Fassadenfarbe Sto, Stühlingen, www.sto.de

Parkett Adler, Dirlewang, www.adlerparkett.com

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 12/2008

Deutscher Fassadenpreis 2008 Handwerksbetriebe jeder Größe unter den Gewinnern

Die hervorragende Umsetzung der Arbeiten, die bei dem mit insgesamt 17400 Euro dotierten Deutschen Fassadenpreis 2008 ausgezeichnet wurden, stammen sowohl von handwerklichen Kleinbetrieben als auch...

mehr
Ausgabe 05/2015

Perle am Ostseestrand Rekonstruktion der Villa „Großfürstin Marie – Perle“ in Heiligendamm

Die Perlenkette in Heiligendamm, ein Ensemble aus sieben Strandvillen mit spektakulärem Meerblick, zählte einst zu den prachtvollsten architektonischen Schmuckstücken an der mecklenburgischen...

mehr
Ausgabe 11/2010

Deutscher Fassadenpreis 2010 – Die Besten beherrschen die leisen Töne

Es gibt einen großen Unterschied zwischen Dekor und Gestaltung - und dieser wird nirgendwo deutlicher als an der Fassade. Wie eine prämierungswürdige Fassadengestaltung aussieht, zeigen Jahr für...

mehr
Ausgabe 11/2013

Meister der Farbe Deutscher Fassadenpreis 2013 verliehen

300 Arbeiten waren zum diesjährigen Wettbewerb eingereicht worden, die ein durchweg hohes Niveau präsentierten, wie die zehnköpfige Jury unter dem Vorsitz von Prof. Jürgen Braun anerkennend...

mehr
Ausgabe 10/2008

Experimentierfeld Totalumbau einer Schlosserei in Memmingen zum Wohnhaus

Was sich wie eine harmlose Bauaufgabe anhört, bewies sich in der Realität jedoch als hoch komplexes Spannungsfeld, dessen Kern eine grundsätzliche Frage war: Wie kann man in einer engen Altstadt...

mehr