Die Deutsche Meisterin im Malerhandwerk Jessica Jörges fährt zu den WorldSkills 2019 nach Kazan

Im russischen Kazan ermitteln Handwerker aller Länder Ende August ihre Weltmeister. Für Deutschlands Maler tritt Jessica Jörges aus Dreieich an. Die Mission der 21-Jährigen: Jugendliche mit gutem Schulabschluss für ihr Handwerk zu begeistern. Dafür betreibt sie sogar einen eigenen Blog.

Ihr wichtigstes Gepäckstück für die Reise nach Kazan hat Jessica Jörges schon gepackt: eine 1,5 Kubikmeter große Box. Darin: Dutzende Pinsel, Rollen, Spachtel, Kellen, Strichzieher sowie Bürsten und Walzen zum Tapezieren. Am Mitte Juli wurde die Box vom Paketdienst abgeholt und nach Russland verschifft. Welches Werkzeug mit darf, regelt eine „Infrastrukturliste“: 80 eng bedruckte Seiten, auf  Englisch. „Das Packen war eine Wissenschaft für sich“, erzählt die 21-Jährige. „Man überlegt dauernd: Brauch ich noch andere Pinsel oder Rollen? Ist das Werkzeug perfekt?“

1600 Teilnehmer, 56 Disziplinen, eine Halle

Jessica Jörges will nichts dem Zufall überlassen beim Höhepunkt ihres bisherigen Berufslebens: Als amtierende deutsche Meisterin vertritt die junge Malerin und Lackiererin aus dem hessischen Dreieich Deutschlands Maler bei den WorldSkills vom 22. bis 27. August im russischen Kazan. Bei der 45. Weltmeisterschaft der nicht-akademischen Berufe messen sich 1600 Teilnehmer aus 60 Nationen in 56 Disziplinen aus Industrie, Handwerk und Dienstleistungen. Zimmerer sägen Holzteile für Pavillons, Fliesenleger gestalten Böden mit Keramik, Maurer türmen Steine zu lotrechten Wänden, Autolackierer bringen Karossen zum Glänzen. Auch Krankenpfleger, Konditoren, CNC-Fräser oder Web-Designer kämpfen um Medaillen – alles in einer Halle. Absperrungen schirmen die Teilnehmer voneinander ab, damit sie sich besser konzentrieren können. Dahinter lösen sie an vier Wettkampftagen verschiedene Aufgaben, für die sie monatelang trainiert haben. Zumindest soweit das geht: Denn laut Reglement werden kurz vor Beginn „mindestens 30 Prozent des Pflichtprogramms“ abgewandelt, um die Spontanität der Kandidaten zu testen. Die Maler wissen also noch nicht genau, welche Aufgabe sie erwartet. Auch manche Details, wie Farbtöne oder Muster, sind noch unklar.

So viel aber steht fest: Sie werden die Wände einer L-förmigen, 2 m breiten, 4 m langen und 2,3 m hohen Kabine tapezieren und streichen. An der Stirnwand müssen sie eine Holztür lackieren – die Türfüllung mit der Spritzpistole, die Leisten freihändig. Die Längswand zieren drei Felder: Eines gestalten die Kandidaten mit einer Technik ihrer Wahl, auf dem nächsten zeichnen sie ein Logo auf und malen es freihändig aus. Im dritten Feld zählen Tempo und Präzision: Ein Logo wird abgeklebt, abgedichtet und mit selbst angemischten Farben gestrichen. Wer besonders schnell ist, bekommt drei Extrapunkte. Bei Fehlern aber drohen Abzüge: Alle 5 cm kontrolliert die Jury die Farbkanten, schon Fehlstellen ab 1 mm werden geahndet. 22 Stunden Zeit bleiben den Teilnehmern für alle Aufgaben. „Das wird stressig“, weiß Jessica Jörges.

Zumal sich viele Fragen erst vor Ort klären lassen: Erhält sie den Termin für die Spritzkabine, den sie sich erhofft? Wie kommt sie mit der russischen Farbe klar, die wegen ihres hohen Kreideanteils mehr Feuchtigkeit zieht? Wie sehr stört der Lärm in der Halle? Zwar tragen die Maler alle einen Gehörschutz, der umliegende Geräusche schlucken soll: „Ich hoffe trotzdem, dass wir nicht die Steinmetze direkt neben uns bekommen.“

Maltraining in der Doppelgarage

Um sich so gut wie möglich vorzubereiten, trainiert die Handwerkerin aus Hessen regelmäßig im WorldSkills-Bundesleistungszentrum der Maler in Fulda. Gregor Botzet, der WM-Trainer der Maler, feilt mit ihr an Technik und Strategie. Unter der Woche übt sie an selbstgebauten Trainingswänden in der Doppelgarage ihrer Eltern. Freitags bekommt sie im Betrieb frei, so dass sie freitags und samstags je acht Stunden trainieren kann.

Das WM-Gelände kennt die Malergesellin schon. Im Mai nahm sie an einem internationalen Wettbewerb in Kazan teil. „Für mich war das ein guter Test, um zu sehen: Wie komme ich mit dem Druck klar? Wo hab ich noch Übungsbedarf?“ Beim Lackieren mit der Spritzpistole sei noch Luft nach oben. Auch ein Messfehler beim Tapezieren soll ihr nicht nochmal passieren.

Jessica Jörges freut sich schon riesig auf die WM und den Austausch mit den Teilnehmern aus anderen Nationen. Natürlich würde sie gern eine Medaille mitnehmen: „Einmal oben auf dem Podest stehen, ist mein größter Traum.“ Als deutsche Meisterin ist sie inzwischen selbst ein Vorbild für den Nachwuchs. Ihr Ziel: Gleichaltrige für ihr Handwerk zu begeistern. Lehrlinge werden dringend gesucht: 2018 blieben in Deutschland 57 700 Ausbildungsplätze unbesetzt – dreimal so viel wie vor zehn Jahren. Eigentlich ideale Chancen, um eine Lehrstelle zu finden. Doch immer mehr junge Leute ziehen ein Studium vor.

Eine Ausbildung – wo ist das Problem?!

Auch Jessica Jörges war sich nach dem Abitur zunächst unsicher: „Wir bekamen einen dicken Ratgeber mit Studienfächern“, erinnert sie sich: „Ich hab nur drei davon mit ‚vielleicht‘ markiert.“ In keinem der Fächer fand sie sich richtig wieder. Genervt vom Gedanken ans Studium, fragte sie ihre Eltern: „Kann ich nicht einfach eine Ausbildung als Malerin und Lackiererin machen? Wo ist das Problem?!“

Kirsten und Jürgen Jörges hatten nichts dagegen. Das Ehepaar führt in dritter Generation den Malerbetrieb Maler Schmidt in Dreieich. Eine Ausbildung im elterlichen Betrieb – warum nicht?! Ihre handwerklich begabte Tochter hat schon als Kind gern gewerkelt und Bretter gesägt oder aus Holzklötzen Boote gebaut. Doch die Eltern warnten sie auch: „Der Beruf ist anstrengend. Und es gibt bei manchen noch immer Vorbehalte gegenüber Frauen im Handwerk.“

Jessica Jörges schreckte das nicht ab. Ihr war klar: Das Malerhandwerk ist mein Ding. Inzwischen hat sie ihre Ausbildung abgeschlossen, ist Innungs-, Landes- und Bundessiegerin der Maler geworden. Auch mit den männlichen Kollegen gibt es keine Probleme: Im Betrieb ist sie als Malerin anerkannt. „Beim Großhändler gucken manche zwar noch komisch, wenn ich als Frau im Malerkittel Farben kaufe.“ Doch spätestens, wenn ihnen ein Kollege steckt: Das ist „Deutschlands beste Malerin“, hat sich das Thema erledigt.

Ein Malerblog – für Abiturienten

Parallel zur Ausbildung startete Jessica Jörges 2016 ihren Blog „Bunte Zukunft“: In Texten, Bildern und Videos berichtet sie über ihr Leben als Auszubildende im Maler- und Lackierhandwerk. Sie möchte junge Menschen für den Beruf begeistern. Die Idee kam ihr, als sie die Bewerbungen sah, die im Betrieb ihrer Eltern eingingen: „Da stand nichts dazu, warum die Leute Maler werden wollen. Ich hab mich gefragt: Warum bewirbt sich niemand, der wirklich Lust dazu hat?“

Ein möglicher Grund: Unkenntnis. „Viele wissen gar nicht, wie vielfältig unser Beruf ist. Die denken, wir würden den ganzen Tag nur Fassaden weiß streichen.“ Dabei macht sie fast jede Woche etwas anderes: spachtelt und poliert Wände, tapeziert Wohnzimmer, saniert Holzfenster, isoliert Keller oder bessert Wasserschäden aus. „Mir wird nie langweilig.“ Auf ihrem Blog gibt sie Einblicke in ihre tägliche Arbeit, stellt Kreativtechniken vor oder interviewt erfolgreiche Handwerker. „Manche fürchten, dass sie nach der Ausbildung ein Leben lang Geselle bleiben. Dabei gibt es vielfältige Möglichkeiten, sich weiterzubilden: den Meistertitel, den Betriebswirt im Handwerk oder ein duales Studium BWL-Handwerk.“

So viel Begeisterung steckt an: Mittlerweile hat Jessica Jörges auf Instagram und Facebook rund 3000 Follower. Mit ihrem Blog will sie vor allem handwerklich geschickte Abiturienten erreichen. „Nicht für jeden ist ein Studium nach dem Abitur das Beste. Manche sind mit einer Ausbildung besser aufgehoben oder brauchen noch zwei Jahre, um zu wissen, was sie studieren möchten.“ Ihr Tipp: Ausbildungsmessen anschauen und ein Praktikum oder einen Ferienjob im Handwerk machen. „Vielen Abiturienten empfinden eine handwerkliche Ausbildung als Rückschritt. Aber wo steht geschrieben, dass man studieren muss, um erfolgreich zu sein?!“

Wie ihre nächsten Schritte im Beruf aussehen? Sie weiß es noch nicht genau. „Ich bin ja noch jung“, sagt Jessica Jörges. Jetzt konzentriert sie sich erstmal auf die WM. Eines ist sicher: Der Wettbewerb wird ihrem Leben und ihrer bunten Malerkarriere zusätzlich Farbe verleihen.

Autor

Dipl.-Ing. Michael Brüggemann studierte Architektur in Detmold und Journalismus in Mainz. Er arbeitet als Redakteur und schreibt außerdem als freier Autor unter anderem für stern, DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau.

Wir sind vor Ort

Die bauhandwerk ist mit Michael Brüggemann vor Ort und wird quasi live von den Wettbewerben in Kazan berichten und täglich brandaktuelle Informationen und Fotos veröffentlichen. Wer nichts verpassen will, sollte am besten unseren Live-Ticker von den WorldSkills 2019 bookmarken und unsere Facebookseite liken

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