Janis Gentner und Alexander Bruns holen Goldmedaillen bei den WorldSkills 2019

Im russischen Kasan kämpften Ende August die besten Nachwuchs-Handwerker um den WM-Titel. Unser Reporter hat die deutschen Bauhandwerker vier Tage lang bei einem dramatischen Wettkampf begleitet – voller Konzentration, Erschöpfung, Enttäuschung und Jubel.

Spätestens als die Fahnenträger ins Stadion einlaufen, erinnert die Eröffnungsfeier der 45. WorldSkills – der Weltmeisterschaften der nicht akademischen Berufe – an die Olympischen Spiele. 45 000 Zuschauer in der voll besetzten Arena im russischen Kasan feiern die fahnenschwenkenden jungen Frauen und Männer: die Indonesier in ihren bunten Gewändern, die Kolumbianer mit den Strohhüten oder die Lederhose und Dirndl tragenden Österreicher. Ausgelassen winken die Teilnehmer ins Publikum, ihre Augen glühen vor Stolz.

Handwerk vor 250 000 Zuschauern

Mit einer gigantischen Show aus Tanz, Licht, Musik und einem Feuerwerk startet am 22. August die Berufe-WM. In den kommenden vier Tagen werden sich 1354 Teilnehmer aus 63 Ländern messen – verteilt auf 56 Disziplinen aus Industrie, Handwerk und Dienstleistungen. Sie alle haben sich über nationale Vorentscheidungen qualifiziert, manche reisen gar als Europameister in ihrer Disziplin an. Doch so einen Wettkampf haben sie noch nie erlebt: Rund 250 000 Zuschauer und 1300 penible Juroren werden ihnen bei der Arbeit auf die Finger schauen.

Mit dabei sind auch die besten deutschen Nachwuchs-Bauhandwerker: Die Beton- und Stahlbetonbauer Julian Kiesl und Niklas Berroth, Fliesenleger Janis Gentner, Maurer Christoph Rapp, Stuckateur Tobias Schmider, Zimmerer Alexander Bruns, Malerin Jessica Jörges, Steinmetz Julian Wally, Bauschreiner Florian Meigel und Möbelschreiner Johannes Bänsch. Sie alle sind zwischen 20 und 22 Jahre alt, aber oft schon besser als ihre Ausbilder. In den vergangenen Monaten haben sie meist nach Feierabend oder am Wochenende für die WM trainiert. Es ist der Höhepunkt ihres bisherigen Berufslebens und oft die einzige Chance auf eine Medaille, da das Alter auf maximal 22 Jahre beschränkt ist. Doch wird es gegen die starke Konkurrenz aus Asien reichen?

In China, Japan oder Taiwan wiegt ein Sieg bei den WorldSkills fast so viel wie Olympia-Gold: Die Teilnehmer werden bis zu vier Jahre vor der WM vom Beruf freigestellt und generalstabsmäßig auf den Wettkampf vorbereitet. Einige Nationen schütten astronomisch hohe Prämien aus: China etwa honoriert jede Goldmedaille mit 125 000 Euro. Ein falscher Anreiz für junge Leute, kritisieren europäische Länder, darunter auch Deutschland, die den Sieg nicht gegen Bares aufwiegen wollen. Können die deutschen Bauhandwerker die Startvorteile der Asiaten durch Talent und technisches Geschick wettmachen?

65 Hölzer in 22 Stunden

Für Zimmerer Alexander Bruns läuft es von Beginn an rund. Der 22-Jährige muss an vier Wettkampftagen einen Pavillon aus 65 Hölzern bauen – bestehend aus Untergestell, Rampe, Dach und Balkon. Wie den Teilnehmern in allen Disziplinen bleiben ihm dafür 22 Stunden. Ein sportlicher Zeitplan. „Alex hat heute als Erster abgegeben und 15 Minuten Zeitgutschrift für den Schlusstag bekommen“, freut sich sein Trainer Sascha Brück. „Bislang ist ihm noch kein Fehler unterlaufen. Er fühlt sich wohl und ist mental gut drauf.“ Das ist wichtig. Denn falls doch ein Patzer passiert, muss Bruns das gedanklich schnell abhaken und konzentriert weitermachen. 

Ein paar Hallen weiter schraubt Stuckateur Tobias Schmider. Auf einer Bodenplatte errichtet der 21-Jährige eine 2,1 x 2,1 x 2,1 m große, gedämmte Unterkonstruktion aus Gipsplatten und Metallschienen. Im Laufe des Tages soll ein würfelförmiger Raum mit Boden, Wänden und Decke sowie Ausschnitten für Türen, Fenster und Technik entstehen. Nach dem Trockenbau muss er die Wände und Laibungen spachteln, an einer Öffnung Stuckleisten anbringen und eine Wand mit Putz frei gestalten. Trotz des engen Zeitplans hat sich die Jury einige Kniffe überlegt: etwa einen zwiebelturmartigen Türausschnitt – eine Form, wie man sie im muslimisch geprägten Kasan mit seinen Moscheen häufig findet.

RUSSIA muss fertig werden

Gegen die Uhr kämpft auch der deutsche Maurer-Europameister Christoph Rapp: RUSSIA lautet der Schriftzug, den die Maurer hochziehen sollen. Eine anspruchsvolle Aufgabe: Die einzelnen Teile des Schriftzugs sind freistehend. Jeder Buchstabe hat eine besondere Schwierigkeit: Das I trägt zum Beispiel eine Krone, im U müssen Hammer und Kelle als dreidimensionales Symbol leicht vorgesetzt vermauert werden. Ihre Aufgabe kannten die Maurer vorher nicht. Trotzdem verlangt die Jury höchste Präzision: Jeder Millimeter Abweichung wird mit Punktabzug geahndet. „Christoph muss Gas geben, aber er schafft das“, sagt sein Trainer Kevin Schulz.

Etwa 100 Meter entfernt drückt Fliesenleger Janis Gentner auf die Tube. Der 21-Jährige soll eine Duschkabine – bestehend aus zwei raumhohen Wänden, dem Fußboden und einer Seitenwand mit Nische – mauern und verfliesen. Der Start verläuft chaotisch: Nach einer Stunde muss der Wettbewerb abgebrochen und neu gestartet werden, weil an einige Teilnehmer fehlerhafte Pläne verteilt wurden. Später ändert sich erneut ein Maß, wodurch Gentner eine halbe Stunde Zeit verliert. Sein Co-Trainer Erik Brie-Knöpfle sieht ihn trotzdem vorn – wenn er den Zeitverlust aufholen kann. „Er darf sich keinen Fehler erlauben.“

Ein solcher unterläuft Stuckateur Tobias Schmider am ersten Wettkampftag. Dem 21-Jährigen fällt zu spät auf, dass die Breite russischer Gipskartonplatten geringfügig von dem in Deutschland üblichen Maß abweicht. Er verliert dadurch rund anderthalb Stunden und wird nicht mit dem Trockenbau fertig: Das Dach fehlt – wie bei 80 Prozent aller Teilnehmer. Da der erste Wettbewerbstag rund die Hälfte des Endergebnisses ausmacht, ist der Fehler nicht mehr aufzuholen.

Tempo vor Genauigkeit?

„Der Zeitdruck bei der WM ist enorm. Die Jungs gehen an ihre Grenzen“, weiß Tobias‘ Vater Peter Schmider und kritisiert das kaum zu stemmende Programm: „Die Jury sagt: Wenn es einer schafft in der Zeit, dann gilt das als Maß für alle. Trotzdem ist doch die Frage: In welcher Qualität arbeite ich? In Deutschland geht Genauigkeit vor Tempo. Das ist nun mal unsere Mentalität.“

Trotz des Rückschlags bringt Tobias Schmider eine handwerklich starke Leistung. Auch beim Speed-Modul am Schlusstag, bei dem die Teilnehmer eine Wand mit Putz frei gestalten. Sein Minarett mit der Stadtsilhouette Kasans im Abendrot stielt den anderen Arbeiten die Show – und ist doch fürs Endergebnis kaum noch relevant. Nach dem Abpfiff wirkt Tobias entspannt und erleichtert, Druck und Anspannung fallen ab.

Kaum aus Russland zurück musste Tobias Schmider sich allerdings erneut einer Herausforderung stellen: Zusammen mit Auszubildenden des Lehrbauhofs Berlin wollte das Nationalteam der Stuckateure den längsten Stuckstab der Welt ziehen und damit ins Guinnessbuch der Rekorde eingetragen werden. Ob der Versuch erfolgreich war, erfahren Sie hier.

Entspannt endet der Wettbewerb auch für Zimmerer Alexander Bruns: Er ist mit seinem Holzpavillon bereits eine halbe Stunde vor Ablauf der Zeit fertig und nutzt die Gelegenheit für ein paar prüfende Blicke.

Ganz anders nehmen Fliesenleger Janis Gentner und Maurer Christoph Rapp die letzten Minuten des Wettkampfs war: als dramatisches Finish. Beide werden quasi erst in letzter Minute fertig. „Hey, hey, super Christe, super Christe“, singen die mitgereisten Freunde von Christoph Rapp. Nach dem Abpfiff liegen sich Rapp und sein Trainer Kevin Schulz in den Armen. „Der Bengel raubt mir noch alle Nerven“, sagt Schulz und wischt sich die Freudentränen aus dem Gesicht.

Doch wird es für die deutschen Bauhandwerker auch zu Medaillen reichen? Das entscheidet sich erst am Tag der Abschlussfeier. 35 000 Stadionbesucher, darunter Russlands Präsident Wladimir Putin, fiebern der Medaillenvergabe entgegen. Riesenjubel im deutschen Block, als die Moderatoren das Ergebnis bei den Zimmerern verkünden: Alexander Bruns ist Weltmeister! Kurze Zeit später jubelt auch Fliesenleger Janis Gentner über Gold. Die deutschen Beton- und Stahlbetonbauer Julian Kiesl und Niklas Berroth kehren mit Bronze heim. Malerin Jessica Jörges, Maurer Christoph Rapp und Bauschreiner Florian Meigel landen jeweils auf Platz 5, Stuckateur Tobias Schmider wird Siebter (die kompletten Ergebnisse gibt’s hier: www.worldskills2019.com/en/event/results).

Am Ende aber sind alle 1354 Teilnehmer Sieger: Weil sie für ihren Beruf brennen und Jugendliche mit ihrer Begeisterung anstecken. Weil sie zeigen, was Handwerk und Industrie leisten können. Und weil sie die Tage in Kasan wohl nie in ihrem Leben vergessen werden.

Autor

Dipl.-Ing. Michael Brüggemann studierte Architektur in Detmold und Journalismus in Mainz. Er arbeitet als Redakteur und schreibt außerdem als freier Autor unter anderem für stern, DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau.

Wir hatten während der WorldSkills auf Facebook und in einem Ticker auf unserer Homepage quasi "live" berichtet. Wenn Sie die dramatischen Wettkämpfe noch mal im Detail nachvollziehen wollen, finden Sie dort zahlreiche Infos und eine umfangreiche Fotostrecke.

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