Sanierung und Umbau des Landtags Baden-Württemberg in Stuttgart
Ein bedeutendes Beispiel deutscher Nachkriegsarchitektur wurde sorgsam saniert. Das Erscheinungsbild des denkmalgeschützten Landtagsgebäudes in Stuttgart blieb unverändert. Mit punktuellen Dachausschnitten und einer Lichtdecke holten Staab Architekten Tageslicht in den introvertierten Plenarsaal.
Das Landtagsgebäude von Baden-Württemberg ist der erste Parlamentsneubau in Europa nach Ende des Zweiten Weltkriegs und ein bedeutendes Baudenkmal des Internationalen Stils in Deutschland. Das von Kurt Viertel, Erwin Heinle und Horst Linde geplante Gebäude wurde 1961 fertiggestellt. Als klar geschnittener Solitär steht der Kubus im Akademiegarten in Stuttgarts Zentrum zwischen dem Neuen Schloss und der Staatsoper. Er hebt sich von den beiden historischen Natursteinbauten durch seine elegante, nach amerikanischen Vorbildern errichtete Curtain-Wall-Fassade aus braunen Glasscheiben und Metallpaneelen ab. Auch der Grundriss des Stahlbetonbaus ist konsequent modern: U-förmig sind die Abgeordnetenbüros und Sitzungssäle entlang den Fassaden angeordnet, umgeben von den frei fließenden Foyerflächen. Das Zentrum des Gebäudes und seine symbolische Mitte bildet der neuneckige, holzverkleidete Plenarsaal. Das Haus wurde seit der Fertigstellung sorgsam instandgehalten und baulich nicht verändert. Doch nach fünf Jahrzehnten war eine grundlegende Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes erforderlich. Dabei sollten nicht nur Barrierefreiheit, Gebäudetechnik und Brandschutz den aktuellen Anforderungen angepasst werden, sondern auch der introvertierte, von der Außenwelt abgeschirmte Plenarsaal natürlich belichtet und zum Foyer hin durchlässiger gestaltet werden.
Öffnung des Plenarsaals zum Tageslicht
Das Auswahlverfahren unter fünf teilnehmenden Architekturbüros gewannen Staab Architekten aus Berlin. Ihr Entwurf verbindet die behutsame Modernisierung des Hauses und die Öffnung des Plenarsaals zum Tageslicht sowie zu Foyer und Schlossgarten, ohne die Charakteristik des Gebäudes zu stark zu verändern. Die visuelle Verbindung zum Foyer und Ausblicke in den Park ermöglichen nun bis an die Unterkante der Besuchertribüne reichende, verglaste Öffnungen in den Saalwänden. Tageslicht fließt in den bislang ausschließlich künstlich belichteten Raum allerdings größtenteils über die neue transluzente Lichtdecke ein. Mit diesem klar ablesbaren Element verleihen die Architekten dem Saal einen neuen Charakter, ohne ihn komplett zu überformen. Wo vorher eine abgehängte Decke aus Holpaneelen den Raum abschloss, öffnet ihn nun die neue durchscheinende Decke als helles, schwebendes Lichtvolumen nach oben und verleiht ihm eine gleichmäßige Beleuchtung. Über den satinierten Deckenpaneelen – im Zwischenraum zwischen abgehängter Decke und Unterkante Dach – verbirgt sich eine komplexe Lichtlösung. Diese wurde von Staab Architekten in Zusammenarbeit mit den Kölner Lichtplanern LichtKunstLicht entwickelt und vereint Tages- und Kunstlicht sowie direktes und indirektes Licht.
48 neue Oberlichter in der Dachfläche
Um die Dachfläche zu öffnen, schnitten die Handwerker zunächst runde Öffnungen aus der Stahlbetondecke: zwölf große mit 2,60 m Durchmesser und 36 kleinere mit 80 cm Durchmesser. Größe und Position dieser Oberlichter wurden so in die bestehende Dachfläche integriert, dass das Tragverhalten der Stahlbetondecke im Wesentlichen unverändert blieb. Bei den kleineren Oberlichtern sind elektrochrome Gläser eingesetzt, die sich entsprechend des Lichteinfalls stufenweise von transparent auf opak schalten lassen und so vor Blendung und Wärmeeintrag schützen. Im Zuge der energetischen Sanierung wurde zugleich auch die Dämmung verbessert. Auf die vorhandenen Schaumglas-Lagen, die nur punktuell ausgetauscht werden mussten, brachten die Dachdecker eine zusätzliche Lage des Dämmstoffs auf; die Abdichtung erfolgte zweilagig mit Elastomerbitumen. Als äußere Hülle wurde in Abstimmung mit den Denkmalschutzbehörden dunkel eloxiertes Aluminiumlochblech gewählt. Für die Aufständerung der Tafeln waren etwa 400 Durchdringungen nötig, die eine exakte Abdichtung erforderten. Die Lochblech-Tafeln verbergen die Zu- und Abluftöffnungen und schließen bündig mit den neuen Oberlichtern ab. So entsteht eine homogene Dachaufsicht, die im Stuttgarter Talkessel als fünfte Fassade ein wichtiger gestalterischer Aspekt ist. Die neue Lösung ist eine Verbesserung der vorherigen Situation, da bislang die Technikaufbauten die Gesamtwirkung des Gebäudes verunklärten.
„Lichttrichter“ und transluzente Deckenpaneele
An der Unterseite der Dachdecke setzen sich die Oberlichter in zwei Ausführungen fort: die kleineren haben kurze, zylinderförmige Aufsätze, ähnlich wie „Lampenschirme“. Sie sind mit hochreflektierender Folie ausgekleidet, die das Licht in den Zwischenraum streut. Die 12 großen Oberlichter sind dagegen mit trichterförmigen Aufsätzen bestückt, die hinunter bis zur Ebene der abgehängten Decke aus satinierten Kunststoffplatten reichen. Auch ihre Wandungen streuen das Licht, das dann durch die transluzenten Deckenplatten weiter als indirektes Licht in den Plenarsaal gestreut wird. Doch die Trichter bieten noch eine weitere Überraschung: Sie sind raumseitig mit klarem Glas verschlossen, leiten so direktes Tageslicht wie Spotlights in den Saal und bieten zugleich Ausblick in den Himmel über der Stadt – dabei verkürzt die Trichterform den Abstand optisch. So sind die unterschiedlichen Stimmungen des Tageslichts selbst im Saal erlebbar. Bedarfsgerecht ergänzt Kunstlicht das Tageslicht beziehungsweise sorgt am Abend für die gleichmäßige Beleuchtung der Lichtdecke. Getragen wird die Lichtdecke von einer lackierten Stahlkonstruktion, die von der Dachdecke abgehängt ist. Die dreieckigen beziehungsweise trapezförmigen Deckenelemente bestehen aus schwer entflammbaren, satinierten PETG-Kunststoffplatten. Jede dieser Platten ist hinsichtlich ihrer Abmessung und Befestigungspunkte individuell. Die Form der Platten nimmt sowohl die Segmentteilung als auch die Fugenteilung der ursprünglichen Holzdecke auf.
Im Zuge der Generalsanierung bauten die Handwerker einen Großteil des Gebäudes in den Rohbauzustand rück und setzten teilweise temporäre Stützen zur Abfangung der Lasten ein. Zudem zogen sie für die Arbeiten an der Lichtdecke einen temporären Zwischenboden aus Holz als Arbeitsplattform ein, der von einer Gerüstkonstruktion getragen wurde. Während der Arbeiten deckten die Handwerker die originalen Natursteinböden zum Schutz vor Beschädigungen ebenso ab wie die Sichtbetonflächen und Metall-Glas-Geländer. Die Unterkonstruktionen der Flurwände verblieben an Ort und Stelle, doch die Holzvertäfelungen wurden in Abstimmung mit der Denkmalpflege ausgebaut und gelagert beziehungsweise restauriert, um sie nach Beendigung der Bauarbeiten wieder originalgetreu einsetzen zu können.
Unverändertes Äußeres
Da an der Metallfassade keine gravierenden Schäden vorhanden waren, bestand kein Handlungsbedarf für eine Fassadensanierung. Im Gegenteil, man wollte die charakteristische Farbe der inzwischen schwarz-grün patinierten Buntmetallpaneele und der Bronzeprofile belassen. Eine zweite Glasebene mit minimiertem Rahmenanteil, die von außen nicht sichtbar ist, setzten die Handwerker raumseitig vor die bestehende Verglasung. Die neue Isolierverglasung verbessert den Wärme- und Schallschutz. Zudem konnten im Raum zwischen alten und neuen Glaselementen nun Aluminiumjalousien als witterungsgeschützter Sonnenschutz installiert werden. So bleiben die ursprüngliche architektonische Idee des Gebäudes und auch der Großteil der bauzeitlichen Innenausstattung weiterhin unverändert. Mit seiner Formensprache, der transparenten Fassade und den frei fließenden Räumen wirkt das Architekturkonzept auch nach mehr als 50 Jahren erstaunlich zeitgemäß.
Autorin
Dipl.-Ing. Claudia Fuchs studierte Architektur an der TU München. Sie arbeitet als freie Redakteurin und Autorin unter anderem für die Zeitschriften Detail, Baumeister, dach+holzbau und bauhandwerk.
Baubeteiligte (Auswahl)
Bauherr Land Baden-Württemberg vertreten durch den Landesbetrieb Vermögen und Bau
Baden-Württemberg Amt Stuttgart, Stuttgart
Architekten Staab Architekten, Berlin, www.staab-architekten.com
Bauleitung Ernst2 Architekten, Stuttgart, www.ernst2-architekten.de
Statik Leonhardt, Andrä und Partner, Stuttgart, www.lap-consult.com
Lichtplanung LichtKunstLicht, Bonn/Berlin, www.lichtkunstlicht.com
Bauphysik Ingenieurbüro Bauphysik 5, Backnang, https://bauphysik5.de
Rohbauarbeiten Gottlob Rommel Bauunternehmung, Stuttgart, www.gottlob-rommel.de
Dachdeckerarbeiten Werner Scholz, Aalen-Fachsenfeld, http://ws-bedachung.de/
Metallbauarbeiten am Dach Firma Lummel, Karlstadt, www.lummel.de
Rückbau der Holzelemente Uttenrodt & Schreiber, Benningen, www.restaurierung-stuttgart.de
Tischlerarbeiten Alender Innenausbau, Zell a. H., www.alender.de
Wandmontage Ries Akustik-Innenausbau, Alerheim, https://riesakustik.de
Restaurierung K. Westermann, Denkendorf, www.westermann.com
Booz Restaurierungen, Baden-Baden, www.moebel-restaurator.de
Schreinerei Röll, Laufach, www.schreinerei-roell.de
Montage der Metalldecken Linder, Arnstorf, www.lindner-group.com
Montage der Lichtdecke Ullrich & Schön, Fellbach-Schmiden, www.ullrich-schoen.de
Ertüchtigung der Fassade Radeburger Fensterbau, Radeburg, www.rf-fassaden.de
Herstellerindex (Auswahl)
Schaumglasdämmung Deutsche Foamglas, Hilden, www.foamglas.de
Metallkassettendecke Lindner Group, Arnstorf, www.lindner-group.com
Bürotrennwände Strähle Raumsysteme, Waiblingen, www.straehle.de
Baudaten (Auswahl)
Gesamtbaukosten 51 Mio. Euro
Nutzfläche 7000 m2
Bruttogrundfläche 12 500 m2
Bruttrauminhalt 52 900 m3