Brokatmalerei im Barock
Die Städtische Meisterschule für das Vergolderhandwerk in München trägt seit über 40 Jahren dazu bei, das immaterielle Kulturerbe an junge Kirchenmalermeister weiterzugeben. Eine ausgewählte historische Mal-Technik, die in der Meisterschule geübt wird, ist die Brokatmalerei.
Die Maltechniken des Kirchenmalerhandwerks sind seit 2018 Teil des Immateriellen Kulturerbes in Deutschland. Die Eintragung in die UNESCO-Welterbeliste beinhaltet als Verpflichtung nicht nur, das Kulturerbe zu bewahren, sondern auch, es in die Zukunft zu führen und an künftige Generationen weiterzugeben.
Die malerische Imitation der wertvollen und dekorativen Seidengewebe in der Brokatmalerei, die ihren Weg aus dem fernen Orient über Italien und Spanien nach Europa gefunden hatten, gehörte bereits seit dem frühen Mittelalter zu einer der anspruchsvollsten und schönsten Aufgaben des Kirchenmalerhandwerks. Sie ist die „leichteste und zarteste Art der illusionistischen Graumalerei.“ Aus dem Mittelalter sind uns die frühesten gemalten Stoffimitationen an Wandflächen erhalten geblieben. Sie finden sich noch in den halbrunden Chorräumen romanischer Kirchen. Ausgeführt in Schablonentechnik und in kraftvollen Farbtönen sollte dem Betrachter die Illusion einer Stoffdraperie auf dem Mauerwerk vorgetäuscht werden.
Brokatmalerei im Barock
Zu einer besonderen Gestaltungstechnik entwickelte sich die Brokatmalerei im Barock und Rokoko im süddeutschen Raum. Die großen Flächen innerhalb von Stuckierungen und Gurtbögen erhielten Malereien im Muster dieser Brokatstoffe. Die Farbigkeit dieser Flächenfüllungen war meist unabhängig vom Muster und wurde, sich dem Gesamtkonzept des Bauwerkes unterordnend, aus einer Tonwertigkeit heraus gestaltet.
Auf plastisch stuckierten Vorhängen oder Draperien gestaltete man den Brokat in freien, ornamentalen Mustern. Bei ebenen, begrenzten Flächen findet sich eher ein strenger und im Verlauf der Fläche gesetzter Rapport. Der gemalte Brokat wird üblicherweise in einfachen Licht- und Schattenwerten ausgeführt. Die Schattenführung folgt dabei in der Regel dem natürlichen Lichteinfall im Raum.
Die charakteristische Farbgebung der Brokate liegt bei Goldockertönen oder bei grau-violetten Farbtönen. Die Kraft der Kontraste in den Farbwerten und die Größe der Rapporte sind dabei abhängig von den Größen der zu gestaltenden Flächen und der Gesamtfarbigkeit des Raumes.
Brokatmalerei in St. Ulrich in Eresing
Katholische Pfarrkirche St. Ulrich in Eresing, Landkreis Landsberg am Lech
Foto: Stephan Wolf / Meisterschule Vergolderhandwerk München
Die Katholische Pfarrkirche St.Ulrich bildet zusammen mit dem Pfarrhof und der Mariensäule ein historisches Ensemble im Ortszentrum von Eresing, im voralpinen Landkreis Landsberg am Lech. Das stattliche Gotteshaus wurde Mitte des 18. Jahrhunderts unter Leitung von Dominikus Zimmermann, kurbayerischer Stukkateur und Baumeister, umgebaut und in reichen Rokokoformen ausgestattet. 1756 ließ Dominikus Zimmermann die Langhauswände erhöhen und fügte die für ihn typischen dreiteiligen Fenster ein.
Nikolaus Schütz, ein langjähriger Mitarbeiter von Zimmermann, schuf den kräftigen Rocaillestuck, der das Hauptfresko im Mittelschiff und die beiden Deckenfresken umrahmt, die der Freskant Franz Martin Kuen aus Weißenhorn ausführte. Die Fresken der Kirchendecke werden von gemalten Brokaten im gesamten Kirchenraum unterstützt und begleitet.
Die Ausführung der in reichhaltiger Fülle vorhandenen Brokate im Langhaus und im Chor ist leider nicht übermittelt, es ist aber davon auszugehen, dass die genannten Künstler – Dominikus Zimmermann, Nikolaus Schütz und Franz Martin Kuen – für den Entwurf und die Umsetzung verantwortlich zeichneten. Die Besonderheit dieser Brokate liegt im Bildprogramm. Neben den bekannten klassischen Stoffmustern finden sich in den Rapporten der Brokate die wichtigsten Attribute des Heiligen Ulrich, dem Schutzpatron der Kirche, wieder, nämlich Fisch, Kreuz, Schlüssel, Mitra und Buch.
Illusionistische Graumalerei
Anlegen der Wachsmordentmasse – Rekonstruktion der Brokate aus der Pfarrkirche St. Ulrich an der Meisterschule für das Vergolderhandwerk München
Foto: Margareta Hauser / Meisterschule Vergolderhandwerk München
Die Barock-Brokate wurden nicht schabloniert, sondern vermutlich nach Aufteilung der Fläche mit Hilfe einer Formpause frei in zwei bis vier Farbstufen als Pinselmalerei in Licht- und Schattentechnik aufgemalt. Malerisch, nicht konturierend, folgte der Pinselauftrag der strengen Ordnung des Rapports. Wie gespannte Tapisserien dienen die gemalten Brokate der architektonischen Gliederung des Raumes. Eingebunden in die farbige Gestaltung der Architektur treten die Brokate weder als dunkle Flecken noch als Einzelbilder in Erscheinung.
Ornamentale Gliederung
Die Gliederungen der Brokate zeigen Rauten, Vierpaß oder Ovalformen. Längungen im Muster oder Versatz im Rapport folgen der Gesamtrichtung der Fläche. Die eingefügten Fisch-, Schlüssel-, Blatt-, Kreuz- oder Sternornamente wurden in Reihung oder versetzt angeordnet. Je reicher das Ornament und je vielfarbiger die Ausführung ist, umso mehr Klarheit und Ordnung wurde bei der Malerei erforderlich. Die Skala der Möglichkeiten scheint in St. Ulrich unerschöpflich und wurde in unendlich vielen phantasievollen Variationen angewendet.
Lokalton
Brokatmalerei mit Mitra und Bischofsstäben
Jakob Thalmayr / Städtische Meisterschule für das Vergolderhandwerk München
Bei der Ausführung der Brokatmalerei wurde die zu bemalende Fläche vorab im Grund- oder Lokalton ganzflächig angelegt. Dieser Lokalton entspricht in seinem Farbwert einem mittleren Grauwert. Das heißt, er sollte weder zu hell noch zu dunkel, weder zu warm noch zu kühl erscheinen.Es ist dabei davon auszugehen, dass mit Hilfe einer Formpause das Muster der Brokate nach dem Trocknen des Lokaltons übertragen wurde.
Rücklagen
In einem weiteren Arbeitsschritt wurden nun die sogenannten Rücklagen angelegt. Das sind die Hintergrundflächen im Brokat, die kein Motiv tragen. Die Möglichkeiten, die Rücklagen zu gestalten, reichen in der Kirche St. Ulrich von der einfachen Lasur im leicht abgedunkelten Lokalton über die Gestaltung durch Linien, Rauten, Strichungen oder illusionistisch-plastische Körbe oder Quader bis zu feinen Strichlagen in historischer Mordentvergoldung.
Licht und Schatten
Die Schattenführung folgt dem natürlichen Lichteinfall im Raum und wurde in der Regel mit zwei abgestuften Grauwerten angelegt. Der Pinselstrich wurde dabei nicht konturierend der Form des Rapportes folgend, sondern malerisch mit Duktus aufgesetzt, einem in der Breite variierenden Pinselstrich, der sich aus der freien Pinselführung der malenden Hand ergibt. Je breiter die Schatten aufgemalt wurden, desto plastischer und tiefer erscheint der Brokat. Ein Granieren, Lavieren oder Vermalen der Übergänge von den Schattentönen in den Lokalton war nicht zwingend erforderlich, da die Brokatmalerei eher eine flotte und spontane Maltechnik erlaubt. Nichtsdestotrotz folgen die Pinselstriche streng dem Muster und ergeben Rapport für Rapport ein identisches Bild, wie bei entsprechend gewebten Stoffen.
Das Licht wurde, wie bereits die Schattentöne, aus dem Lokalton heraus gemischt. Seine Farbwertigkeit sollte nicht zu hell und zu kühl erscheinen, da der gesamte gemalte Brokat sonst zu grafisch und zu hart erscheinen würde. Auch das Licht wurde in flotten, aber gezielten Pinselstrichen gesetzt. Der Leitspruch „Weniger ist Mehr“ wurde beim Setzen der Brokatlichter ernst genommen. Nur zehn Prozent der gesamten Brokat-Oberfläche wurden als Licht dargestellt. Da die Wirkung der Brokate immer auf Fernwirkung ausgerichtet ist und das menschliche Auge sehr wohl in der Lage ist, Formen zu erkennen und zu schließen, wo es nötig ist, reduzierte sich die Linienführung auf ein Minimum.
Glanzlichter
Andrücken des Blattgoldes auf der Wachsmordentmasse
Margareta Hauser / Städtische Meisterschule für das Vergolderhandwerk München
Die Glanzlichter der Brokatmalerei wurden als sogenannte „Blitzer“ in Wachsmordentgold angelegt. Diese Glanzeffekte treten in den Brokatfelderungen in weichen Goldtönen und mit einer verhaltenen Plastizität in Erscheinung und zaubern eine mystisch-irrationale Stimmung im gesamten Kirchenraum.
Das Wachsmordent, üblicherweise aus drei Gewichtsteilen Bienenwachs, zwei Gewichtsteilen Venetianer Terpentin und einem Gewichtsteil Standöl oder Rindertalg hergestellt, muss in warmen Zustand mit einem Pinsel auf die zu vergoldende Fläche aufgetragen werden.
Unmittelbar nach dem Erstarren der Wachsmasse wird das Blattgold angeschossen, damit eine optimale Haftung des Metalls auf dem Untergrund gewährleistet ist. Nach kurzer Trockenzeit kann das Blattgold eingekehrt werden.
Der Untergrund für das Wachsmordent sollte nicht zu stark saugen, muss aber nicht besonders für die Vergoldung vorbehandelt werden. Durch den pastösen Materialauftrag können Unebenheiten im Untergrund gut ausgeglichen werden, die Verwendung von Transfergold schließt sich dabei allerdings aus.
Im Übrigen stammt das Wort Mordent aus dem Englischen und bezeichnet die Kunst phantasievoller Ausschmückung von Melodien, ganz so wie es die Glanzlichter in St. Ulrich mit den bemerkenswerten Brokatmotiven schaffen!
AutorinMargareta Hauser ist Fachlehrkraft an der Städtischen Meisterschule für das Vergolderhandwerk München.